Was ist Übersterblichkeit?
Eine Übersterblichkeit liegt vor, wenn deutlich mehr Menschen versterben als in einem bestimmten Zeitraum üblich. Um die durchschnittliche Sterberate zu erfassen, werden über mehrere Jahre hinweg die durchschnittlichen Todesfälle pro Tag errechnet. Gibt es dann einen Ausreißer über einige Wochen hinweg durch zusätzliche Tote, dann ist das ein Indikator für eine Krise. Zum Beispiel für ein schweres Infektionsgeschehen.
Gibt es in Deutschland eine Übersterblichkeit aufgrund der Corona-Krise?
In Deutschland zeigt sich laut der aktuellen Daten des Statistischen Bundesamts derzeit noch keine starke Übersterblichkeit. Trotzdem liegt die Zahl der Toten schon seit Ende März leicht über dem Schnitt der vergangenen Jahre. In der 15. Kalenderwoche lagen sie deutschlandweit sogar 12% über dem Schnitt der letzten drei Jahre. Danach sind sie wieder leicht gesunken. In der 20. Kalenderwoche lagen sie noch etwa 8 % über dem Durchschnitt.
Das Statistische Bundesamt schreibt dazu: Da die Grippewelle 2020 seit Mitte März als beendet gilt, ist es naheliegend, dass die aktuell beobachtete leichte Übersterblichkeit in einem Zusammenhang mit der Corona-Pandemie steht.
Eine SWR-Datenauswertung zur Übersterblichkeit in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg gibt es hier.
Wie sieht es in unseren Nachbarländern aus?
Die Datenbank EuroMomo berechnet die Übersterblichkeit für alle europäischen Länder. Dabei zeigt sich, dass Deutschland im Vergleich mit seinen Nachbarn immer noch recht gut dasteht. Denn die Todesfälle sind in vielen europäischen Ländern ab Mitte März stark angestiegen. Diese Übersterblichkeit war wegen des rasanten Verlaufs der Coronakrise erwartet worden.
So hat in den besonders vom Coronavirus betroffenen Ländern wie England, Frankreich, Belgien, Spanien und Italien, aber auch in Schweden und der Schweiz die Übersterblichkeit die Spitzen der Grippewellen deutlich überschritten. Das nationale Statistische Amt Italiens berichtet beispielsweise von einer um 49 Prozent erhöhten Sterbefallzahl für März 2020 im Vergleich zum Durchschnitt der letzten vier Jahre.
Wieso muss man die Zahlen zur Übersterblichkeit mit Vorsicht betrachten?
Die Daten zur Übersterblichkeit sind schwierig zu interpretieren. Denn die Übersterblichkeit kann nicht allein auf laborbestätigte Covid-19 Todesfälle zurückgeführt werden. So lässt sich zum Beispiel bei Menschen mit Vorerkrankungen kaum feststellen, welche Krankheit am Ende zum Tod geführt hat. Außerdem ist völlig unklar, welche anderen Faktoren möglicherweise noch dazu beigetragen haben. Gerade die Kontaktbeschränkungen hatten starke Auswirkungen auf die Gesamtgesellschaft.
Welche Faktoren können einen Einfluss auf die Übersterblichkeit haben?
Ärzte haben schon früh gewarnt, Menschen würden indirekt an den Folgen der Coronakrise sterben, weil medizinische Kontrolltermine nicht stattfinden könnten und wichtige Eingriffe verschoben würden. Seit dem 16. März wurden alle nicht lebensnotwendigen Operationen in Deutschland verschoben – um genügend Intensivbetten für Corona-Kranke bereitzustellen. Zu lange verzögerte Operationen können auch zum Tod führen.
Außerdem sind vermutlich zahlreiche Menschen aus Angst vor Ansteckung im Wartezimmer nicht zum Arzt gegangen und haben so schwere Erkrankungen verschleppt oder gar nicht behandeln lassen. Sie sterben dann zu Hause beispielsweise an einem Herzinfarkt, weil sie medizinisch nicht mehr ausreichend versorgt werden. Und es wird vermutet, dass die Suizidrate angestiegen ist, weil auch psychisch Kranke schlechter versorgt werden.
Auf der anderen Seite hat mit dem geringeren Straßenverkehr vermutlich auch die Zahl der Unfalltoten abgenommen. Und es wird vermutet, dass die Zahl der Morde und tödlichen Gewaltverbrechen abgenommen hat.
Wann wissen wir, wie viele Menschen an Covid-19 gestorben sind?
Die reinen Zahlen erfasst das statistische Bundesamt. Die Interpretation dagegen liegt bei Experten wie den Wissenschaftlern des Robert-Koch-Instituts. So wurden zum Beispiel für die Grippesaison 2017/18 nur 1674 Grippetote tatsächlich im Labor nachgewiesen. Wegen der Übersterblichkeit in diesem Zeitraum hat das Robert-Koch-Institut die Zahl der tatsächlichen Grippetoten im Nachhinein aber 15-mal höher eingeschätzt. Denn unter bestimmten statistischen Voraussetzungen können diese zusätzlichen Todesfälle der Grippe zugeordnet werden.
Eine wirklich fundierte Schätzung der Todesfälle durch Covid-19 kann es nach Ansicht von Experten aber erst geben, wenn die Pandemie vorbei ist.