Warum haben Menschen nach einer Corona-Infektion so unterschiedlich starke Symptome? Vieles liegt an den Vorerkrankungen von Patienten wie Übergewicht, Diabetes oder Bluthochdruck. Doch schützt vielleicht auch eine frühere Erkältung durch andere, harmlosere Coronaviren?
Ein Forschungsteam der Universitätsmedizin Münster hat jetzt in zwei Studien Hinweise gefunden, dass eine frühere Infektion mit einem bestimmten Corona-Erkältungsvirus das Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf senken kann. Die Theorie dahinter: Durch eine frühere Infektion mit einem Corona-Erkältungsvirus könnte das Immunsystem auch die gefährlichere SARS-CoV-2-Variante besser erkennen und bekämpfen.
Zusammenhang zwischen Erkältungsvirus und COVID-19-Verlauf
Das Forschungsteam hat dazu nach einer Pilotstudie mit 60 Patienten in einer weiteren Folgestudie weitere 296 Probanden mit COVID-19 untersucht. In der im Fachmagazin "Journal of Clinical Virology" veröffentlichten Studie wurde das Blut der Probanden analysiert und nach Antikörpern gegen Corona-Erkältungsviren gesucht.
Das Ergebnis: Wenn im Blut der Probanden Antikörper gegen ein bestimmtes Corona-Erkältungsvirus gefunden wurde, hatte der Patient oder die Patientin im Schnitt auch einen weniger schweren COVID-19-Verlauf. Dieser Effekt der Kreuzimmunität zeigte sich allerdings nur bei einem der insgesamt vier Corona-Erkältungsviren – dem humanen Coronavirus OC43. Nur wer sich mit diesem Virus angesteckt hat, kann laut der Studie auf einen milderen Verlauf durch eine frühere Erkältung hoffen.
„Patienten haben bereits ab 40 Jahren ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf, insbesondere Männer“, sagt Prof. Martin Dugas, der die Studie geleitet hat. Neben dem Alter und dem Geschlecht sei das Fehlen von Antikörpern gegen das Coronavirus OC43 ein relevanter Risikofaktor.
Kontakt mit Kindern scheint das Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf zu senken
Ob eine Corona-Erkältung sogar zu einer symptomfreien Infektion führen kann, beantwortet die Studie nicht. Das Forschungsteam hat nur Patient:innen mit COVID-19-Symptomen untersucht. Die Studien schauen auch nur auf die Antikörper. Die mit dem Immungedächtnis verknüpfte T-Zell-Antwort wird nicht untersucht.
Doch was dagegen immer klarer wird: Vor allem Eltern sowie Erzieherinnen und Erzieher zeigen seltener schwere Verläufe von COVID-19. Das hat die Universitätsmedizin Münster bereits vergangenes Jahr in einer Studie im "International Journal of Infectious Diseases" untersucht.
Die Forschenden sprechen von einem protektiven, also schützenden Effekt für Menschen, die regelmäßig Kontakt zu Kindern unter zehn Jahren haben. Die Beobachtung bestätige den Verdacht der Kreuzimmunität – sagen die Forschenden. Denn unter Kindern sind die Corona-Erkältungsviren besonders verbreitet. Für die Studie sind 4.100 COVID-19-Patienten befragt worden. Das Forschungsteam arbeitet bereits an weiteren Studien und hofft, dass sich aus den Ergebnissen auch neue Aspekte für die Therapie von COVID-19-Patienten ableiten lassen.
Können frühere Erkältungen gegen COVID-19 schützen?
Forschungsteam empfiehlt Screening
Das Forschungsteam sieht eine Infektion mit dem humanen Coronavirus OC43 als einen bedeutsamen Faktor, an dem sich das Risiko für einen schweren Verlauf zumindest ein bisschen besser einschätzen lässt. „Unsere daraus abgeleitete Empfehlung ist, dass OC43-Antikörper bei stationär aufgenommenen COVID-19-Patienten gemessen und als Teil der Risikobewertung betrachtet werden“, sagt Prof. Hartmut Schmidt von der Universitätsmedizin Münster. Sie fordern Antikörper-Bluttests auf das Corona-Erkältungsvirus.
Ein Screening auf die Corona-Erkältungsviren wird in der Universitätsmedizin Münster seit März 2021 durchgeführt. Fehlen die Antikörper, ist das Risiko höher. Wie hoch, ist aber weiterhin offen. Aber die Hinweise werden zumindest immer klarer, dass neben dem Alter, dem Gewicht und dem Geschlecht auch eine frühere Erkältung den COVID-19 Krankheitsverlauf beeinflussen kann. Eine Infektion mit dem richtigen Corona-Erkältungsvirus könnte zumindest ein bisschen schützen.