Grundimmunität durch frühere Coronainfektionen möglich
Das neuartige Coronavirus hatte zu Beginn ein leichtes Spiel: Es konnte sich relativ ungehindert verbreiten, denn das Immunsystem der Menschen kannte es noch nicht – niemand war immun dagegen und quasi jeder konnte sich anstecken und das Virus weitergeben. Das ist zumindest der aktuelle Stand der Forschung, davon gehen Virologen derzeit aus.
In dem NDR-Podcast "Corona Virus Update" spricht der Virologe und Coronaviren-Experte Christian Drosten aber darüber, dass es vielleicht doch eine gewisse Grundimmunität in der Bevölkerung geben könnte – zum Beispiel, weil die Menschen sich in den vergangenen Jahren mit anderen Coronaviren infiziert hätten.
Vorveröffentlichte chinesische Studie untersucht Coronainfektionen in Familien
Auf den ersten Blick wirkt die Aussage von Christian Drosten von der Charité in Berlin überraschend: Er sagt, man müsse darüber nachdenken, ob es nicht doch eine Grundimmunität gegen das neue Coronavirus in der Bevölkerung gebe – zumindest vielleicht eine teilweise. Bisher geht man davon aus, dass sich vor dem letzten Winter niemand mit dem Virus infizieren konnte und daher auch niemand dagegen immun ist.
Anlass für diesen Kommentar des Virologen ist unter anderem eine chinesische Studie, die letzte Woche auf einem Preprint-Server vorveröffentlicht wurde. Das heißt, man kann sich das Manuskript im Internet anschauen, es wurde aber noch nicht von Fachleuten gegengelesen, überprüft oder in einem Fachmagazin publiziert.
Ansteckung mit Covid-19 nur bei 20 Prozent innerhalb eines Haushalts
In der Studie haben sich chinesische Wissenschaftler angeschaut, wie wahrscheinlich es ist, dass sich Menschen in einem Haushalt gegenseitig mit dem neuen Coronavirus anstecken. Dafür haben sie in etwa 200 Fällen beobachtet, ob ein bestätigter Covid-19-Fall die Menschen infiziert, mit denen er oder sie zusammenlebt. So eine Ansteckung gab es laut der Studie nicht einmal bei 20 Prozent der Fälle.
Christian Drosten sagt, er hätte erwartet, dass diese Zahl höher sei. Also dass sich mehr Menschen anstecken, wenn sie mit einer infizierten Person zusammenleben. Und er wirft die Frage auf, weshalb das nicht der Fall ist.
Grundimmunität gegen neues Coronavirus bisher nur eine Spekulation
Eine mögliche Erklärung wäre, dass es eben doch eine gewisse Grundimmunität in der Bevölkerung gibt – dass die Mitbewohner und Verwandten zum Beispiel im Jahr zuvor eine Infektion mit einem anderen Coronavirus hatten und sich deshalb nicht mit dem neuen Virus angesteckt haben oder das zumindest nicht mehr so leicht ging.
Aber Christian Drosten sagt selber: Das ist Spekulation. Es gibt keinen Beweis für so eine Immunität durch andere Coronaviren. Es gibt nur die Hinweise aus einigen Studien, in denen sich weniger Menschen gegenseitig anstecken, als man erwarten würde.
Neue Hoffnung auf Herdenschutz beruht auf Spekulation
Wenn es so eine Grundimmunität gäbe, wäre das ein Hoffnungsschimmer: Denn dann könnte sich die Situation schneller wieder normalisieren, als man bisher annimmt – es könnte schneller ein ausreichender Herdenschutz eintreten. Ganz wichtig dabei: Könnte, denn wir bewegen uns hier klar im Bereich der Spekulationen.
Diese Diskussion zeigt vor allem eines: Die Forscher wissen noch sehr wenig über das Virus und den Verlauf der Infektion.
Denn eines darf man nicht vergessen: Für die Wissenschaft ist das Virus noch sehr neu. Vieles, was wir scheinbar wissen, ist noch vorläufig und unsicher. Deshalb plädiert auch Christian Drosten für eine intensive, schnelle Forschung rund um das neue Coronavirus.