Die Debatte um die sogenannten RKI-Files zeigt, dass vieles noch nicht aufgearbeitet ist. Und weit dringender: Wir haben als Gesellschaft noch kein Konzept, wie wir in einer nächsten Pandemie handeln könnten.
Die Wissenschaft spricht nicht nur mit einer Stimme
Die Corona-Pandemie hat die Wissenschaft auf den Plan gerufen, so heißt es. Und die Politik hat versucht, sich in ihren Entscheidungen von der Wissenschaft bzw. wissenschaftlichen Studien leiten zu lassen.
Das erste Problem dabei ist, dass es die einheitliche Wissenschaft nicht gibt. Natürlich gibt es unterschiedliche Fachrichtungen, die verschiedene Sichtweisen auf ein Problem und daher auch unterschiedliche Lösungsansätze mitbringen. So setzen die Virolog*innen gerne erstmal auf das Eindämmen, die Impfstoffforscher*innen auf Impfstoffentwicklung und die Modellierer*innen versuchen alles erstmal unter allen möglichen Szenarien durchzurechnen.
Der wissenschaftliche Diskurs wurde öffentlich ausgetragen
In der Wissenschaft werden diese unterschiedlichen Ansätze in einem wissenschaftlichen Diskurs gegeneinander abgewogen und oft auch weiterentwickelt. So weit, so normal. Nur wurde dieser wissenschaftliche Diskurs diesmal öffentlich ausgetragen. In Talkshows, Nachrichtensendungen und in der Politikberatung. Und immer wieder kamen neue Erkenntnisse, neue Daten, neue Situationen auf, auf die die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlich reagierten.
Bevölkerung wurde durch den oft chaotisch wirkenden Diskurs verunsichert
Das hat die Bevölkerung, wenn nicht überfordert, so doch extrem gefordert. Es gab einfach keine einheitliche bzw. eindeutige Linie. Die einen hielten dem Virologen Hendrik Streek von der Universität Bonn die Stange, die anderen setzten auf Christian Drosten von der Charité. Und dann sagte auch noch der damalige Vorsitzende der Ständigen Impfkommission, Thomas Mertens, bei der Erläuterung der Covid-19-Impfempfehlung für Kinder, er würde seine Kinder nicht impfen lassen. Für Menschen, die diese Auseinandersetzungen im Wissenschaftsbetrieb nicht gewohnt waren, war das Chaos pur.
Planungen wie das nächstes Mal besser laufen könnte gibt es nicht
Doch wie könnte das bei einer weiteren Pandemie anders laufen? Dazu gibt es keine Pläne, keine Ideen, keinen Rahmen, keine Struktur, auf die dann zurückgegriffen werden könnte. Oder wir wissen nicht davon.
Impfen: Das können wir aus der Corona-Pandemie lernen
Nur Einschätzungen von bestimmten Wissenschaftszweigen
Das zweite Problem war: Es wurden nur bestimmte Wissenschaftszweige von der Politik, aber auch den Medien zur Einschätzung der Situation gefragt.
Soziolog*innen, Psycholog*innen und Historiker*innen, die die Auswirkungen der Lockdowns auf die Psyche der Menschen hätten einschätzen und vor den möglichen sozialen Verwerfungen hätten warnen können, wurden zumindest zu Beginn der Pandemie - als die weitreichenden Entscheidungen über den Lockdown getroffen wurden - weder von der Politik, noch von den Medien angefragt.
Diese Aspekte kamen in der allgemeinen Panikstimmung zunächst viel kurz, die Auswirkungen wurden erst viel zu spät bedacht. Das räumen die beteiligten Politikerinnen und Politiker jetzt ein. Doch wäre es das nächste Mal anders?
Corona-Regelungen war je nach Bundesland unterschiedlich
Auch bei der politischen Umsetzung der Corona-Regeln haperte es deutlich. Denn erinnern Sie sich noch an die unsäglichen Konferenzen der Ministerpräsident*innen, in denen jedes Bundesland gefühlt eine andere Wahrheit verkündete?
Menschen konnten nicht mehr nachvollziehen, warum welche Regeln gelten
Daraus folgten dann logischerweise auch andere Regeln zum Beispiel bezüglich der Maskenpflicht, aber auch bezüglich der 3G-Regeln : wer darf wo mit wie vielen Impfungen ins Restaurant. Das war sehr skurril und den Menschen nicht mehr gut verständlich zu machen. Haben die Landesfürsten hieraus gelernt? Gibt es eine Idee, wie das im Fall der nächsten Krise besser laufen könnte? Davon habe ich auch noch nichts gehört.
Wie kann man sich auf die nächste Pandemie vorbereiten?
Was könnten die Medien beim nächsten Mal besser machen?
Auch die Rolle der Medien- und damit fasse ich bewusst an die eigene Nase- muss überdacht werden. Haben wir zu wenig klar gemacht, dass es nicht die eine richtige Meinung gibt, sondern der Chorus der Wissenschaft vielstimmig ist? Haben wir uns zu sehr auf die Berichterstattung über einige wenige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fokussiert, die medientauglich waren und die schließlich auch von der Politik als Hauptratgeber ausgewählt wurden? Auch das müsste offen diskutiert werden - mit dem Ziel, in der nächsten Krise möglicherweise pluraler zu berichten.
Wollten wir uns also tatsächlich für weitere Krisen wappnen, gäbe es durchaus ein paar Stellschrauben, die wir anziehen sollten.