Raumfahrt

"Der Mond ist so unentdeckt und doch so zum Greifen nah" – ein Interview mit Alexander Gerst

Stand
Autor/in
Ute Spangenberger
Onlinefassung
Elisabeth Theodoropoulos

Vor zehn Jahren ist ESA-Astronaut Alexander Gerst zum ersten Mal zur Internationalen Raumstation (ISS) geflogen. Insgesamt war er zweimal auf der ISS. Im Interview mit SWR Wissen erinnert er sich an seinen ersten Start und gibt einen Ausblick auf die geplanten Mondmissionen.

SWR Wissen: Vor genau zehn Jahren sind Sie zum ersten Mal zur ISS geflogen. Waren Sie aufgeregt?

Alexander Gerst: Als Astronaut hat man vor dem ersten Flug die größte Sorge, dass etwas dazwischenkommt, dass man krank wird oder ein technisches Problem an der Rakete auftritt. Je näher man dem Start kommt, desto kleiner ist statistisch gesehen die Wahrscheinlichkeit, dass ein Problem auftritt. Der beruhigendste Moment im Leben eines Astronauten ist also tatsächlich, wenn man die Triebwerke spürt und es losgeht.

Was mich beim ersten Start irritiert hat: Beim Training im Simulator gehen dauernd rote Lampen an, es bimmelt, brennt oder Luft tritt aus. Im richtigen Vehikel ist das zum Glück nicht passiert. Alles blieb grün, alles hat funktioniert. Das war erstmal „komisch“, weil es ungewohnt war.

Zusammenarbeit zwischen Menschen und Robotern ist entscheidend

SWR Wissen: In den nächsten Jahren sollen ja mit den Artemis-Missionen der Amerikaner wieder Menschen zum Mond fliegen. Was können Astronauten auf dem Mond besser erforschen als Sonden und Rover?

Alexander Gerst: Exploration – also die Erforschung des Weltraums – kann letztendlich nur in Synergie, als Zusammenarbeit zwischen Menschen und Robotersonden, stattfinden.

Wir haben Robotersonden, die schicken wir als Vorhut, um erstmal Daten zu sammeln und zu schauen, ob Menschen dort leben und arbeiten können. Das passiert gerade auf dem Mars, das hat auch auf dem Mond bereits funktioniert.

Japanischer Lander SLIM auf Mondoberfläche.
Die japanische Mondsonde SLIM untersuchte die Mondoberfläche.

Aber um dann effizient arbeiten zu können, müssen wir als Forschende schon selbst hin. Menschen können sehr viel flexibler auf Situationen reagieren, die unvorhergesehen sind.

Roboter alleine sind nicht flexibel genug

SWR Wissen: Sie verweisen in diesem Zusammenhang gern auf die amerikanischen "Viking"-Sonden, die in den 1970er-Jahren zum Mars geflogen sind, um unter anderem die Frage zu klären, ob es Wasser auf dem Roten Planeten gibt.

Alexander Gerst: Es wurden damals auf dem Mars nur kleine Spuren von Wasser gefunden, aber inzwischen wissen wir, dass sich Wassereis oftmals direkt unter der Erdoberfläche befindet.

Hätte der Bagger nur ein paar Zentimeter tiefer gegraben, hätte er wahrscheinlich blankes Eis gefunden. Genau das, was gesucht wurde, hat man nicht gefunden, denn der Roboter war nicht flexibel genug, und weil er seine Umgebung auch nicht so gut erfassen konnte, wie wir Menschen es können.

Diese wissenschaftliche Intuition zu sagen, hier lohnt es sich weiter zu graben, haben wir Menschen. Das können Roboter nicht. Und in dem Fall hat das genau den Unterschied gemacht. Ein erfahrener Geologe hätte vielleicht gesagt: Hier fühlt sich der Boden etwas anders an, da schaue ich etwas genauer nach.

ESA Astronaut Alexander Gerst links, Russischer Kosmonaut Maxim Suraev mitte und NASA Astronaut Reid Wiseman.
Die Zusammenarbeit zwischen Menschen und Robotern ist entscheidend bei der Erforschung des Weltraums. Am Ende können Menschen aber sehr viel flexibler auf unvorhergesehene SItuationen reagieren. Hier zu sehen sind: ESA Astronaut Alexander Gerst (links), Russischer Kosmonaut Maxim Suarev (Mitte) und NASA Astronaut Reid Wiseman.

Mond als "achter Kontinent unseres Planeten"

SWR Wissen: Seit 1961 gibt es die bemannte Raumfahrt. Wo stehen wir jetzt?

Alexander Gerst: Wenn wir jetzt zum Mond fliegen, dann wird tatsächlich ein völlig neues Kapitel der Astronautik aufgeschlagen. Wir Menschen sind inzwischen seit einigen Jahrzehnten im niedrigen Erdorbit aktiv. Wir haben gelernt, wie wir im Weltraum leben und arbeiten können, jetzt ist der Mond nachhaltig in unserer Reichweite, nicht nur mehr als „giant leap“.

Wir sagen, aus meiner Sicht zu Recht, das ist der achte Kontinent unseres Planeten. Er ist wahrscheinlich aus unserem Planeten heraus entstanden. So genau wissen wir das noch nicht.

Wir als Menschheit – als Inselvolk im Kosmos – haben die berechtigte Sorge, dass von draußen auch Gefahren auf uns einwirken. Und deswegen müssen wir dieses „Meer“, diesen Kosmos um uns herum, verstehen. Und der erste Schritt dazu ist die Erforschung des Mondes.

Internationale Kooperation wichtig für nachhaltige Wissenschaft auf dem Mond

SWR Wissen: Die Idee ist jetzt, zum Mond zu fliegen und dort längere Zeit zu leben und zu arbeiten, anders als bei den Apollo-Missionen der sechziger und siebziger Jahre. Was bedeutet das?

Alexander Gerst: Die geplanten Mondmissionen sind komplex, mit vielen logistischen Schritten. Man muss dort landen und ist auf dem Mond durch dessen Gravitation gefangen. Die Umgebung ist lebensfeindlich, mit Temperaturen weit unter minus 100 Grad auf der Nachtseite und weit über 100 Grad auf der Tagseite, dazu Weltraumstrahlung und Vakuum.

Wir haben auf der ISS gelernt, mit der Schwerelosigkeit umzugehen und im Weltraum zu leben.

ESA Astronaut Alexander Gerst und NASA Astronauten Reid Wiseman und Steve Swanson machen Pause zwischen Experimenten auf der ISS und schauen live Fußballweltmeisterschaft 2014.
Die Astronauten Alexander Gerst (ESA), Reid Wiseman und Steve Swanson (NASA) konnten zwischen ihren Experimenten 2014 auch Teile der Fußballweltmeisterschaft verfolgen.

Es folgt der nächste logische Schritt. Jetzt fliegen wir zum Mond, um nachhaltig Wissenschaft zu betreiben.

Wir steuern die Polregionen an, dafür waren die Apollo-Missionen schlichtweg nicht geeignet. Am Südpol gibt es interessante Dinge zu erforschen – und gefrorenes Wasser, um uns zu versorgen. Dazu ist die internationale Kooperation, die wir haben, immens wichtig.

Die Apollo-Missionen waren nationale Missionen der USA. Damals ist ein Vehikel gelandet, die Astronauten sind ausgestiegen, haben ein paar Steine mitgenommen und sind wieder zurückgeflogen. Auch das hat völlig neue Erkenntnisse über unsere Entstehungsgeschichte geliefert, aber nichts im Vergleich dazu, was wir noch lernen müssen.

In Zukunft: Permanente Forschungsstation auf dem Mond?

SWR Wissen: Wie wird es in einigen Jahrzehnten auf dem Mond aussehen? Leben dort Menschen in Habitaten und fahren mit modernen Rovern durchs Gelände?

Alexander Gerst: Wenn man voraussagen möchte, wie es in 20, 30 oder 40 Jahren auf dem Mond aussehen wird, muss man sich die Geschichte der Antarktis anschauen. Da ging es auch zuerst darum, eine Flagge am Südpol aufzustellen. Danach gab es erstmal jahrzehntelang wenig Forschung.

Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts kam dann der große Schub nach vorne, als man realisiert hat, dass es sehr wichtige wissenschaftlichen Gründe gibt, um die Antarktis zu erforschen.

Und vor dieser zweiten Welle stehen wir jetzt auch beim Mond. Das werden am Anfang „nur“ Expeditionen sein, wir fliegen hin und wieder zurück. Aber bald danach wird es so sein wie in der Antarktis, dass wir permanente Forschungsstationen etablieren.

ESA-Astronaut Alexander Gerst blickt während seines Fluges mit der Internationalen Raumstation ISS durch ein Fenster in der Kuppel.
ESA Astronaut Alexander Gerst blickt während seines Fluges mit der Internationalen Raumstation ISS durch ein Fenster in der Kuppel.

Beiträge der ESA für zukünftige Missionen

SWR Wissen: Ist schon klar, was wir als Europäer dazu beitragen?

Alexander Gerst: Wir, die ESA, wollen für zukünftige Missionen etwa den sogenannten „Argonaut“ beitragen. Das ist ein robotisches Landemodul, das Fracht und wissenschaftliche Experimente zum Mond bringt.

Außerdem wollen wir ein Satellitennavigations- und Kommunikationssystem um den Mond herum aufbauen, das wir „Moonlight“ nennen. Das ist elementar wichtig, damit Raumschiffe auf dem Mond wie auf der Erde auch mit dem Navi navigieren können und eine stabile Datenverbindung haben.

Das sind die nächsten Vorschläge für die europäischen Beiträge zu den Artemis-Missionen, zusätzlich zu den Bestehenden. Wir liefern ja jetzt bereits das Antriebsmodul für das Orion Raumschiff und mehrere Module für die Gateway Raumstation, die in wenigen Jahren als Zwischenstation um den Mond kreisen wird.

Treibstoff sparen durch Nutzen der Ressource Wassereis

SWR Wissen: Auf dem Mond will man in Zukunft das Wassereis in der Südpolregion nutzen. Wie hat man sich das vorzustellen?

Alexander Gerst: Es geht darum, dass wir dort die Ressource Wassereis nutzen, weil wir Wasser brauchen, um dort zu leben. Dadurch können wir sehr viel Treibstoff sparen, da wir das Wasser nicht zum Mond fliegen müssen.

Gerade in der Südpolregion gibt es Krater, in die nie die Sonne hineinscheint. Dort ist es so kalt, dass sich tatsächlich über die Jahrmillionen Wassereis gehalten und gesammelt hat.

Das wollen wir finden, auftauen, zum Trinken benutzen oder aufspalten, um Sauerstoff oder Raketentreibstoff – Sauerstoff und Wasserstoff – daraus zu gewinnen, um dann damit wieder zurückzufliegen zur Erde oder weiterzufliegen zum Mars.

Untersuchung von Meteoritenkratern und Mondstaub geplant

SWR Wissen: Was wollen Sie noch auf dem Mond erforschen?

Alexander Gerst: Wir wollen Dinge erforschen, die eventuell überlebenswichtig für uns auf der Erde sind. Unter anderem das Thema Asteroiden, die als Meteoriten auf der Erde und auf dem Mond einschlagen können. Das ist eine große Gefahr auch für uns Menschen.

Wir haben selbst einen 15 Kilometer großen Meteoritenkrater in Süddeutschland, das Nördlinger Ries. Solche Einschläge wird es wieder geben. Wir wissen aber nicht genau, wie wahrscheinlich das ist.

Darum müssen wir auf dem Mond die vorhandenen Meteoritenkrater untersuchen, um das Risiko eines erneuten Einschlags auf der Erde besser einschätzen zu können. Dann könnten wir auf dem Mond vielleicht eine Abwehrstationsbasis einrichten, um von dort aus schneller Abwehrmissionen gegen Asteroiden zu starten, wenn einer wieder Kurs auf die Erde nimmt.

Mond mit Kratern und blauem Planeten Erde im sternenklaren Raum.
Untersuchungen der vorhandenen Meteoritenkrater auf dem Mond können dazu beitragen, das Risiko eines Meteoriteneinschlags auf der Erde besser einzuschätzen.

Wir können vom Mond aus auch tiefer in den Weltraum schauen, um die anfliegenden Asteroiden schneller zu entdecken. Insgesamt werden wir auf dem Mond, wie in der Antarktis, viele neue Dinge entdecken.

Zum Beispiel haben wir erkannt, dass die Antarktis ein wichtiges Klimaarchiv ist. Klimainformationen sind dort im Eis eingefroren. Auf dem Mond wird es so ähnlich sein mit dem Sonnenwind, der ist eventuell eingefroren im Mondstaub der vergangenen Millionen Jahre.

Wir können dann vielleicht den Sonnenwind rekonstruieren und Rückschlüsse ziehen, wie wahrscheinlich es ist, dass uns die Sonne vielleicht irgendwann mal durch erhöhte oder verringerte Aktivität gefährlich werden könnte.

"Der Mond ist so unentdeckt und doch so zum Greifen nah."

SWR Wissen: Warum wollen Sie persönlich zum Mond fliegen?

Alexander Gerst: Ich bin Entdecker, das habe ich schon in frühester Kindheit gemerkt und immer den Drang gehabt, irgendwie Licht ins Dunkel zu bringen. Ich habe mich stets für die Stellen in der Wissenschaft interessiert, wo man die Chance hatte, Neues zu entdecken.

ESA Astronaut Alexander Gerst kurz vor dem Start der Sojus Rakete in Kasachstan 2014, freut sich und zeigt den Daumen nach oben.
ESA Astronaut Alexander Gerst kurz vor seinem ersten Start ins All. Am 28. Mai 2014 reiste er mit einer Sojus-Rakete zum ersten Mal zur Internationalen Raumstation.

Deswegen habe ich auch erstmal studiert, um Geophysiker und Vulkanologe zu werden. Mich hat das Erd- und Mondsystem schon immer interessiert. Gerade als Geophysiker hat man selten die Chance, sein Untersuchungsobjekt mal von außen zu sehen.

Der Mond ist so unentdeckt und doch so zum Greifen nah. Das übt für mich eine Faszination aus, da hinzufliegen und dann dazu beizutragen, dass man ein bisschen was von dieser Dunkelheit mit Licht füllt und Wissen mit zur Erde zurückbringt.

SWR Wissen: Wie bereiten Sie sich auf eine mögliche Mond-Mission vor?

Alexander Gerst: Ich bin derzeit Leiter des europäischen Astronautenkorps für die neue Generation der ESA-Astronautinnen und -Astronauten, aber gleichzeitig selbst noch aktiv. Für die Artemis-Missionen brauchen wir Astronautinnen und Astronauten, die bereits lange in der Schwerelosigkeit gelebt und gearbeitet haben. Ich habe regelmäßig Trainingseinheiten auf dem Plan, die mich und meine Kolleginnen und Kollegen auf solche Missionen vorbereiten. Zum Beispiel das Arbeiten im Raumanzug oder Flugtraining.

Außerdem üben wir, in schwierigen Umgebungen Wissenschaft zu betreiben, also etwa in der Antarktis, in unterirdischen Höhlen oder in Vulkanregionen.

Wie ist das Leben auf der ISS?

Raumfahrt Wie schläft man auf der ISS in der Schwerelosigkeit?

Man hat einen Schlafsack, in dem man sich festschnallen kann, damit man nicht mit dem Kopf in der Ecke aufwacht. Man würde sonst tatsächlich einfach so herumschweben. Von Alexander Gerst

Astronomie Sieht man von der ISS aus Sternbilder?

Sternbilder sieht man, wenn in der Nacht der Mond scheint, damit es hell genug ist. In einer mondlosen Nacht sieht das schon anders aus. Und schnell muss man auch sein. Von Alexander Gerst | http://x.swr.de/s/sternbilder

Weltraum Gibt es auf der ISS Schichtarbeit oder legen sich um 23 Uhr alle schlafen?

Im Vergleich zu einem Spaceshuttle muss man auf einer Raumstation nachhaltiger mit seinen Ressourcen umgehen, deswegen gehört eine gemeinsame Erholungszeit dazu. Von Alexander Gerst