SWR2 Impuls Moderatorin Christine Langer sprach mit Dominik Schwarzinger, Professor und Fachbereichsleiter Psychologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW).
Dominik Schwarzinger hat zusammen mit einem Kollegen ein Buch geschrieben: Die Masken der Psychopaten. Darin wird beschrieben, wie man Psychopathinnen und Psychopathen durchschaut und wie man am besten mit ihnen umgeht.
Ist mir heute schon jemand über den Weg gelaufen, der Wesenszüge eines Psychopathen hat?
Dominik Schwarzinger: Das kommt darauf an, wie viele Menschen Sie heute schon getroffen haben. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, da besonders milde Ausprägungen von Psychopathie deutlich häufiger auftreten, als wir denken. Man geht davon aus, dass 10 bis 15 Prozent der Menschen eine milde Form haben könnten. Das heißt: Im Grunde ist jeder Zehnte oder sogar jeder Achte ein Psychopath.
Das bedeutet nicht, dass diese Menschen eine echte, voll ausgeprägte Psychopathie im Sinne einer klinischen Störung haben. Man muss deutlich sagen, dass sie keine Killer oder irgendetwas sind, sondern lediglich psychopathische Merkmale in einer etwas stärker ausgeprägten Form als der Durchschnitt aufweisen.
Was sind die Merkmale einer Psychopathie?
Dominik Schwarzinger: Die Psychopathie, wie sie die Wissenschaft erforscht, besteht aus vielen unterschiedlichen Aspekten. Bis zu 20 einzelne Merkmale werden unterschieden. Von einer Persönlichkeitsstörung – „Psychopathie“ – kann man dann sprechen, wenn sich aus all diesen Aspekten eine Art Muster ergibt und diese auch etwas höher ausgeprägt sind, als beim Durchschnitt.
Diese Merkmale sind zum Beispiel:
- Eine sehr starke Impulsivität und Unkontrolliertheit
- Die ständige Suche nach Nervenkitzel und Bedürfnisbefriedigung
- Eine starke emotionale Kälte
- Wenig Mitgefühl mit Anderen
- Kaum Reue bei Fehlern
Ist es schwierig zu erkennen, ob jemand psychopathische Züge hat?
Dominik Schwarzinger: Psychopathen zeigen diese Züge dann, wenn wir ihnen „im Weg stehen“. Wenn jemand einem Psychopathen beispielsweise die Handtasche rauben möchte, reagiert der Psychopath absolut rücksichtslos und zeigt seine Kälte, seine Brutalität. In solchen extremen Momenten erkennt man Psychopathie gut.
Aber wenn Sie Glück hatten und noch nie Opfer eines „echten“ Psychopathen wurden, dann sind diese Merkmale eher versteckt. So wird beispielsweise eine Chefin, die etwas stärkere psychopathische Züge hat, natürlich nicht von Anfang an ihr negatives Gesicht zeigen. Sie wird erst mal versuchen, mit anderen Aspekten der Psychopathie – wie mit einem charmanten Auftreten oder einer manipulativen Art – das zu bekommen, was sie möchte.
Solange das funktioniert, muss sie ihre schlimmsten Züge nicht hervorholen. Aber nehmen wir an, die Chefin möchte Sie irgendwann einmal loswerden. Dann wird sie in der Situation, in der Sie entlassen werden, extrem hart und skrupellos sein und keinerlei Mitleid mit Ihnen empfinden.
Kann es sein, dass jemand eigentlich charmant ist, und trotzdem ein Psychopath dahinter steckt?
Dominik Schwarzinger: Das kann sein, das gehört dazu. Da muss man aufpassen. Nicht jeder Mensch, der charmant ist, ist selbstverständlich ein Psychopath. Aber zum vollen Merkmalsbild Psychopathie gehört auch ein eher oberflächlicher Charme, ein Anbiedern, ein Einschmeicheln: Sie versuchen, jemanden um den Finger zu wickeln, um dann ihre Ziele zu erreichen.
Wie merke ich denn, dass ich es mit jemandem zu tun habe, der solche psychopathischen Eigenschaften besitzt?
Dominik Schwarzinger: Am Anfang merkt man das leider meistens gar nicht. Außer in dem Fall, dass der Psychopath Sie direkt als sein „Opfer“ auserkoren hat, was wir nicht hoffen wollen. Ansonsten ist das Erkennen eines Psychopathen schwer.
Psychopathie zeigt sich meistens erst mit der Zeit, wenn man im längeren Kontakt zu jemandem steht und sich nach und nach ein Muster abbildet. Anfangs ist die Person vielleicht sehr positiv, kommt selbstbewusst und charmant rüber. Aber dann merkt man, dass dieser Mensch einen eigentlich ausbeuten möchte. Vielleicht ist er gegenüber anderen Menschen gar nicht so nett und charmant, sondern wehrt diese ab und macht sie runter. Möglicherweise scheint die Person sogar ihren Spaß daran zu haben oder verhält sich nur so, um bei Ihnen gut anzukommen.
Und wenn sich so ein Muster über einen längeren Zeitraum verdichtet, wenn man immer mehr Merkmale eines Psychopathen erkennt, dann kann man eigentlich davon ausgehen, dass man einem von ihnen auf die Schliche gekommen ist.
Sind Psychopathen in bestimmten Berufen häufiger zu finden als in anderen? Findet man sie eher auf der Chef-Etage?
Dominik Schwarzinger: Es gibt Studien dazu, die zeigen, dass Psychopathinnen und Psychopathen in manchen Berufen häufiger vorkommen, als in anderen. Das sind zum Beispiel hohe Führungspositionen, Vorstandsvorsitzende von Unternehmen, aber auch Juristen, Rechtsanwälte und Menschen im Medienbereich oder im Verkauf. Meistens finden sie sich in Position und Berufsfeldern, in denen man gutes Geld verdienen und Macht bekommen kann.
Berufe, durch die man einen gewissen Einfluss hat – so etwas suchen Psychopathen. Jobs hingegen, in denen sie das nicht bekommen können, wie zum Beispiel pflegende Berufe oder einfache Sachbearbeiter-Tätigkeiten, das sind Jobs, in denen Psychopathen weniger häufig vorkommen. Diese entsprechen eben nicht ihren bestimmten Bedürfnissen.
Und zu der Frage, ob es eher die Chefs sind: Es gibt etwas überproportional mehr Psychopathen in ganz hohen Positionen. Das bedeutet wiederum nicht, dass jeder Chef ein Psychopath ist oder dass man ein Chef wird, weil man Psychopath ist. Aber da sie sich eben diese Rollen suchen und da sie auch sehr hart und rücksichtslos sind, haben es viele von ihnen in höhere Positionen geschafft.
Wie kann ich verhindern, dass ich zum „Opfer“ eines Psychopathen werde? Was kann ich tun, wenn ich im Job psychisch unter Druck gesetzt werde?
Dominik Schwarzinger: Das allereinfachste wäre, zu kündigen und sich einen neuen Job zu suchen oder zumindest die Abteilung zu wechseln. Doch nicht jeder hat die Möglichkeit dazu.
In jedem Fall sollte dem Psychopathen oder der Psychopathin immer sehr deutlich signalisieren, dass diese ganzen Manipulationen bei einem nicht funktionieren, dass man sich nicht zum Opfer machen lässt. Wenn man merkt, dass jemand versucht, einen zu manipulieren, auszubeuten, auszunutzen, muss man klar signalisieren, dass das nicht geht, dass man das nicht mit sich machen lässt. Das hemmt bereits viele Psychopathen, weil sie sich eigentlich ein leichtes Opfer suchen.
Ein Psychopath versucht bei allen Mitmenschen und zu jeder Gelegenheit, das für sich selbst Beste herauszuholen. Und wenn er merkt, er kommt irgendwo nicht weiter, dann wird er normalerweise erst mal einen anderen, einfacheren Weg gehen. Ihm oder ihr direkt zeigen: „Bei mir funktioniert das nicht“, ist eine Möglichkeit.
Doch was, wenn es bereits zu Mobbinghandlungen kommt? Dann muss man so handeln, wie man auch auf andere Probleme im Job reagieren würde – ganz unabhängig davon, ob die Person, die Schwierigkeiten bereitet, psychopathisch ist oder nicht.
Man kann sich zum Beispiel Hilfe bei Arbeitnehmervertretungen oder im Kollegenkreis suchen. Vielleicht kann man auch externe Hilfe oder Beratung in Anspruch nehmen und dann entsprechend dagegen vorgehen: Dokumentieren, was diese Person macht, sich entsprechend hilfesuchend darüber beschweren und diese Dinge transparent und greifbar machen. Gerade Mobbing ist oft etwas Unsichtbares. Nur wenn man es benennt, kann man dann auch dagegen vorgehen.
Psychologie Mobbing am Arbeitsplatz – Warum sich viele so hilflos fühlen
Willkürliche Dienstpläne, vorenthaltene Infos, Geläster in der Teeküche: Mobbing im Job ist psychisch belastend. Vielen fällt es schwer, über die Schikanen zu sprechen.