Pharmakologie

Uni Mainz findet möglichen Ersatzstoff für Opioide

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Ein Team der Uni Mainz hat mit einen Wirkstoff gefunden, der vielleicht einmal Opioide ersetzen könnte. Ein Interview über Suche nach der Substanz mit Professor Thomas Efferth.

Opioide - das sind Substanzen, die gegen Schmerzen oder als Betäubungsmittel in der Anästhesie eingesetzt werden, aber leider oft auch als Drogen missbraucht werden. Über die mögliche Opioid-Alternative, die die Uni Mainz identifiziert hat und darüber, wie man solche neuen Wirkstoffe überhaupt findet, hat Martin Gramlich von SWR Wissen mit Professor Thomas Efferth gesprochen.

Er ist Direktor des Instituts für Pharmazeutische und Biomedizinische Wissenschaften an der Uni Mainz und leitet die Arbeitsgruppe, die diesen neuen Wirkstoff gefunden hat.


SWR Wissen: Herr Efferth, was ist das für neuer Stoffen, wie sind Sie darauf gekommen?

Thomas Efferth: Das ist ein Stoff, der aus einem Pilz stammt, den man in Meer findet. Marine Wirkstoffe sind sehr interessant in der Wirkstoffforschung. Aber nicht nur Marinewirkstoffe, sondern Wirkstoffe aus der Natur ganz allgemein.

Wir können zurückblicken auf 100 Jahre Medikamentenforschung und wenn wir uns die Medikamente anschauen, die heute auf dem Markt sind, dann lassen sich zwischen Zweidrittel und Dreiviertel aller Medikamente auf Naturstoffe zurückführen. Daraus kann man schlussfolgern, dass auch eine hochmoderne Medikamentenentwicklung auf Naturstoffe nicht verzichten kann.

Wir können hier neue chemische Strukturen finden, die dann im Syntheselabor weiterentwickelt werden können, um bessere Wirksamkeit gegen Krankheiten und weniger Nebenwirkungen erzielen zu können.

Wir untersuchen seit ganz vielen Jahren Naturstoffe in unterschiedlichen Fragestellungen. Schmerzmittelforschung ist ein ganz wichtiger Ausgangspunkt, weil wir es hier unter Umständen mit sehr großen Nebenwirkungen zu tun haben. Wir können von Opioiden abhängig und süchtig werden. Das Zweite ist: Es kann eine Atemdepressionen entstehen. Das heißt, es kommt zu einer Atemlähmung, die tödliche ausgehen kann.

SWR Wissen: Könnte dieser Wirkstoff aus einem Meerespilz, den Sie jetzt gefunden haben, wenn er als Alternative zu Opioiden eingesetzt werden könnte, diesen Probleme entgegenwirken?

Thomas Efferth: Wir haben in Zellkulturexperimenten und in biochemischen Experimenten gefunden, dass wir etwa eine tausendfach höhere Konzentration brauchen, um toxische Nebenwirkungen festzustellen. Das lässt hoffen, dass wir tatsächlich eine Substanzklasse gefunden haben, die weniger Nebenwirkungen hat. Aber das muss selbstverständlich jetzt im Anschluss im Tierexperiment geprüft werden.

Den großen Vorteil ist, dass wir hier eine völlig neue chemische Klasse haben. Die Detailarbeit beginnt jetzt, um zu schauen, wie sieht das Nebenwirkungsprofil aus.

SWR Wissen: Wie kommen Sie auf so einen Wirkstoff wie zum Beispiel diesen Pilz?

Thomas Efferth: Die klassische Methode ist die biologische Hochdurchsatzmessung. Das heißt, man hat viele tausend Substanzen, die man tatsächlich im Experiment durchmessen muss. Das kostet viel Geld, ist auch zeitaufwendig und wenn man Glück hat, findet man einige. Heute geht man hin und macht eine computergestützte Wirkstoffentwicklung. Das heißt, der größte Teil der Arbeit wird vom Computer gemacht. Man kann sich vorstellen, dass jedes Eiweiß in unserem Körper eine räumliche, eine dreidimensionale, Struktur hat und das chemische Moleküle an diese dreidimensionale Struktur binden können.

Unsere Eiweiße sind aus einzelnen Bausteinen aufgebaut. Diese Bausteine, die heißen Aminosäuren und geben eine Gestalt, die man sich nach dem Schlüssel -Schloss-Prinzip vorstellen kann. Das heißt, Sie haben eine Struktur auf dem Eiweiß, die es erlaubt, das ganz spezifisch bestimmte chemische Stoffe anbinden können.

Die Kunst ist nun, dass der Computer berechnen kann, wie gut findet ein Schlüssel sein Schloss. Wir haben in unserem Ansatz 40.000 verschiedene Schlüssel verwendet. Das sind die chemischen Moleküle und unser Opioidrezeptor war das Schloss. Nun haben wir gesucht, welche dieser 40.000 Schlüssel passt in das Schloss. Da gibt es aufwendige Berechnungen, die die Wechselbeziehung zwischen den einzelnen Bestandteilen des chemischen Moleküls und diesen Aminosäuren im Protein berechnen.

Das ist ein sehr aufwendiger Prozess, den kann man jetzt nicht unbedingt mit seinem Handy oder mit seinem PC durchführen dazu. Sie brauchen einen Supercomputer, den wir glücklicherweise hier an unserer Universität haben.

SWR Wissen: Man muss jetzt also nicht mehr jeden einzelnen in Frage kommenden Stoff durchtesten, sondern Sie können sich auf die Stoffe konzentrieren, die der Computer eingeschränkt hat.

Thomas Efferth: Der große Vorteil ist, dass man einige Kandidaten identifizieren kann, die mit großer Wahrscheinlichkeit ein Wirkstoff sein könnten. Also wir haben 40.000 Substanzen getestet und haben dann geändert auf die besten 100 Substanzen. Die wurden mit weiteren Verfahren noch einmal nachgerechnet und schließlich hatten wir am Ende die Top Ten, die besten zehn Substanzen und diese zehn Substanzen, die wurden dann im Labor untersucht - also nicht wie früher, dass 40.000 Substanzen im Labor untersucht wurden, sondern wir haben nur zehn Substanzen untersucht, weil der Rest der Arbeit vom Computer erledigt wurde.

SWR Wissen: Warum ist der Bezug auf die Naturstoffe so wichtig? Es wäre ja auch möglich, einfach zu versuchen, alles synthetisch herzustellen.

Thomas Efferth: Es gibt Untersuchungen über alle Medikamente der letzten 50 Jahre. Diese Untersuchungen wurden vom Nationalen Krebsforschungszentrum in USA durchgeführt und auch mehrfach publiziert. Diese Untersuchungen zeigen ganz klar, dass je nach Krankheit zwischen Zweidrittel und Dreiviertel aller Medikamente einen Bezug zu Naturstoffen haben.

Wir haben chemische Klassen, die in der Natur vorkommen, die dann selbstverständlich im chemischen Labor verändert werden können. Es können sogenannte Abkömmlinge oder Derivate hergestellt werden, um die Eigenschaften noch für unsere medizinischen Zwecke zu verbessern; bessere Wirksamkeit, weniger Nebenwirkungen. Aber die Vorlage kommt aus der Natur. Aus diesem Grund sind wir an der Universität Mainz besonders an Naturstoffen interessiert, um neue Leitstrukturen, neue chemische Klassen zu finden, die sich zu verbesserten Medikamenten weiterentwickeln lassen.

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SWR