Die Maus ist das Säugetiermodell für die Forschung. Ohne sie gäbe es viele Errungenschaften aus der Medizin heute wahrscheinlich nicht. Doch warum sind es ausgerechnet Mäuse, die in so vielen Tierversuchen zum Einsatz kommen?
Hyperaktivität: Verhalten von Mäusen lässt sich gut beobachten
Der Biologe Moritz Mall forscht am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg zu Entwicklungsstörungen des Gehirns. Am Institut sind hunderte Mäuse untergebracht.
Für seine Forschung führt Moritz Mall zwar auch molekulare Analysen in Zellen durch. Diese Untersuchungen, sagt er, hätten aber ihre Grenzen: Denn wenn man eine genetisch veränderte Zelle isoliert untersucht, lassen sich zwar Veränderungen feststellen, die Auswirkungen auf den gesamten Organismus - beispielsweise auf das Sozialverhalten - bleiben aber unklar.
Für einen Versuch hat Malls Team deshalb einigen Mäusen ein verändertes Gen eingesetzt. Sie wollen herausfinden, ob es Hyperaktivität auslösen kann. Denn das Verhalten von Mäusen könne man gut beobachten. So zeigt sich, dass die Mäuse nach der genetischen Veränderung viel aktiver sind - quasi hyperaktiv.
Durch die Versuche konnte das Team von Mall herausfinden, wie man hyperaktive Kinder mit dem entsprechenden Gendefekt mit bereits zugelassenen Medikamenten behandeln kann.
Maus als Modellorganismus für Krebs
Ein weiteres großes Forschungsfeld, in dem Mäuse zum Einsatz kommen, ist die Krebsforschung. Die Tierärztin Merle Kempfert untersucht am DKFZ Mäuse, denen Tumorzellen - teilweise auch von Patienten - injiziert wurden. "Die Haare sind wegrasiert worden", erklärt die Forscherin anhand einer Versuchsmaus, "und da sieht man diesen kleinen abgegrenzten Tumor auch. Da gibt es auch bei uns dann eine ganz spezifische Kriterien, welche Größe der erreichen darf."
Tierversuche sind nämlich streng reguliert. Für jedes Tier legen die Behörden vorher fest, welche Belastung aus welchem Grund genehmigt ist – und wann der Versuch zu Gunsten der Maus abgebrochen werden muss. Diese Maus kann weiter der Forschung dienen. Mit ihr wollen Forschende herausfinden, wie man Tumore bei Darmkrebs eindämmen kann.
Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Maus
An Tumoren und ihrer Ausbreitung forscht am DKFZ auch der Biologieprofessor Hellmut Augustin. "Heute arbeiten wir daran, den Prozess der Metastasierung zu verstehen", erklärt er. "Wie gelangt ein Tumor im Körper von einem Ort zum anderen? Wie kommt ein Brusttumor ins Gehirn?"
Auch für solche Fragen werden Mäusen Tumore eingesetzt. Dann werden sie herausoperiert – so wie es bei Menschen auch gemacht wird – und danach können die Forschenden schauen, ob und wo sich trotzdem Metastasen bilden und wie man diese behandeln kann. Augustin konzentriert sich dabei vor allem auf den Einfluss der Blutgefäße.
Und er sagt: Die Herz-Kreislauf-Systeme von Maus und Mensch sind sich sehr ähnlich. Deshalb könne er zufrieden auf 35 Jahre tierexperimentelle Forschung zurückblicken, die wirklich zu 100 Prozent den Test des Transfers von der Maus in Menschen bestanden habe, so der Forscher.
Außerdem betont Augustin, als gelernter Tierarzt sei er dem Wohl von Tieren beruflich verpflichtet. Trotzdem hält er an Tierversuchen fest – wegen der Erkenntnisse, die man durch sie erlangt.
Nobelpreis-Tier der Forschung
Auf seinem Laptop zeigt Hellmut Augustin eine Liste aller Medizin-Nobelpreisträgerinnen und -träger. Vermerkt ist dort auch, mithilfe welcher Tiere die ausgezeichneten Ergebnisse erlangt wurden. Die Maus taucht regelmäßig auf, in den vergangenen Jahrzehnten noch öfter, weil sie große Säugetiere ersetzt hat.
Forschung an Mäusen seit mehr als 100 Jahren
Um zu erklären, wie wichtig Tierversuche sind, warum sie aber auch streng reguliert sein müssen, hat sich die Initiative „Tierversuche verstehen“ gegründet. Sie arbeitet im Auftrag einer Allianz der großen deutschen Wissenschaftsorganisationen.
Roman Stilling von „Tierversuche verstehen“ sagt: Die Maus ist das Versuchstier Nummer eins, weil sie uns genetisch ähnlich ist, aber auch aus historischen Gründen. Denn schon vor mehr als 100 Jahren wurde viel mit Mäusen gemacht, so Stilling. Heutzutage wisse man also sehr viel über den Organismus der Maus. Nur deshalb könne man Mäuse heute so gut gentechnisch verändern, Krankheiten vom Menschen auf die Maus übertragen und Moleküle an- und abschalten.
Weil Mäuse so klein sind, können Forschungseinrichtungen sie vergleichsweise kostengünstig halten. Sie vermehren sich schnell. Und weil sie eine kurze Lebensdauer haben, könne man auch Alterungsprozesse gut erforschen.
Aber auch in der Hirnforschung, der Krebsforschung, Immunologie, Hormon- und Reproduktionsforschung sind Mäuse ein passendes Modell. Laut „Tierversuche verstehen“ gäbe es ohne sie heute keine Arzneimittel gegen Herzerkrankungen, Diabetes, Arthritis oder Parkinson. Wir haben den kleinen Nagern also einiges zu verdanken.