Escherichia coli – kurz E. coli – zählt zu den am intensivsten erforschten Lebewesen der Welt. Seit ihrer Entdeckung im Jahr 1885 haben die stäbchenförmigen Bakterien die moderne Biologie revolutioniert.
Die Biotechnologin Susanne Gebhard von der Universität Mainz betont die Bedeutung dieses Organismus: "Wenn das nicht entdeckt worden wäre, dann hätten wir die ganze moderne Molekularbiologie so nicht."
Das Labor-Allroundtalent: Wie E. coli die Forschung unterstützt
E. coli kommt immer dann zum Einsatz, wenn DNA vervielfältigt wird oder Proteine hergestellt werden müssen. Im Labor in Mainz findet das Bakterium optimale Bedingungen in speziellen Inkubatoren – einer Art Schüttel-Brutkasten. Da E. coli normalerweise in unserem Darm bei konstanten 37 Grad lebt, reproduzieren die Forschenden diese Temperatur präzise in den Inkubatoren.
In Röhrchen verwandeln sich die E. coli-Kulturen im Inkubator über Nacht von einer klaren Lösung in eine trübe Brühe – ein Zeichen für die sich vielfach vermehrten Bakterienzellen, Millionen von ihnen.
Aus einem Bakterium werden Milliarden
Unter optimalen Bedingungen kann sich aus einem einzigen Bakterium innerhalb von sieben Stunden eine Population von über einer Milliarde Nachkommen entwickeln. Diese außergewöhnlich schnelle Vermehrung und kurze Generationszeit macht die Bakterien für die Forschung besonders wertvoll.
Denn bei optimalen gemütlichen Laborbedingungen teilen sich die Einzeller alle 20 Minuten, erklärt Susanne Gebhard: "E. Coli ist da schon extrem umgänglich, zum Teil, weil wir einfach so genau wissen, was er gerne mag."
Sie können unglaublich viele verschiedene Nährstoffe verarbeiten und verstoffwechseln. Obwohl sie Sauerstoff bevorzugen, können sie auch komplett ohne auskommen. In diesem Fall stellen sie auf einen anderen Stoffwechsel um und produzieren dabei Säuren und Alkohol.
Meister der DNA-Verarbeitung
Eine besondere Stärke der Bakterien liegt in ihrer Fähigkeit, fremde DNA problemlos aufzunehmen. Sie besitzen spezielle ringförmige DNA-Stücke, die sogenannten Plasmide. Diese ermöglichen es, fremde DNA einfach einzubauen – ein wahrer Glücksfall für die Forschung.
"E. coli ist schon sehr einfach dazu zu bewegen, so ein DNA-Molekül aufzunehmen in die Zelle. Und wenn wir mit diesen winzigen Mengen arbeiten in der Molekularbiologie, dann ist das schon wichtig, dass wir nicht die ganze DNA verlieren, weil die Bakterien sie nicht aufgenommen haben.", so Susanne Gebhard.
Forschenden gelingt genetische Veränderung von Darmbakterien
E. coli gehören zu den Bakterien, die das am besten können. Zudem gibt es spezielle E. coli-Stämme, die gezielt dafür entwickelt wurden, mit dieser DNA nicht kreativ umzugehen – sie lassen die DNA einfach so, wie sie ist. Diese DNA lässt sich dann beliebig oft vervielfältigen, und die Bakterien können aus den eingebauten Genen neue Proteine produzieren.
Revolution in der Diabetesbehandlung
E. coli sei sozusagen der Urvater der modernen biotechnologischen Proteinherstellung, erklärt die Susanne Gebhard. Auch heute wird das Bakterium noch sehr häufig für die Proteinproduktion eingesetzt. "Und ein ganz berühmtes Protein ist natürlich Insulin", so die Forscherin.
In großen Produktionsanlagen stellen die Bakterien das Medikament Insulin zur Behandlung von Diabetes her. "Vorher wurden Leute mit Diabetes über Schweine oder Rinder-Insulin behandelt. Und das hat halt tierische Nebenwirkungen mit allergischen Reaktionen." Die Forscherin betont, dass die meisten Diabetikerinnen und Diabetiker heute sehr froh darüber seien, dass E. coli Insulin herstellen kann.
E. coli als Schlüssel zur Wissenschaft
Das Bakterium ist aber nicht nur ein Werkzeug, sondern auch selbst ein faszinierender Forschungsgegenstand. E. coli hat bereits zahlreiche Wissenslücken in der Biologie und Medizin geschlossen. Im Labor offenbarte das Bakterium wichtige Grundprinzipien der Genregulation – also wie Zellen ihre Gene ein- und ausschalten. E. coli spielte ebenfalls bei der Entdeckung der Genschere CRISPR-Cas eine wichtige Rolle.
Auch im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen lieferte die E. coli-Forschung wertvolle Erkenntnisse, erklärt Susanne Gebhard: "Immer, wenn ich DNA zusammenbauen muss, damit ich ein Protein herstellen kann, damit ich daraus Impfstoffe entwickeln kann, das fängt immer in E. Coli an."
Immer mehr Antibiotikaresistenzen durch unsachgemäßen Gebrauch
E. coli Bakterien können auch krank machen
Allerdings machen die Modellbakterien auch weniger erfreuliche Schlagzeilen: Bestimmte E. coli-Stämme können Durchfall oder Harnwegsinfektionen verursachen, indem sie Zellgifte produzieren oder Darmzellen befallen. Auch Lebensmittelvergiftungen sind möglich.
Die meisten Stämme sind jedoch harmlos und liefern wertvolle Erkenntnisse über die Evolution. Denn E. coli ist Teil eines außergewöhnlichen Langzeitexperiments an der Michigan State University, wo die Bakterien seit 1988 täglich vermehrt werden. Im Labor sollen sie wichtige evolutionäre Mechanismen aufdecken.
"Dann kann man halt so richtig der Evolution zuschauen, weil solche Bakterien in der freien Umwelt, die haben keine 37 Grad Schüttel-Inkubatoren, die wachsen nicht so schnell. Die Evolution braucht eben hunderte tausende Millionen Jahre und im Labor geht das viel schneller.", erläutert Gebhard.
Und tatsächlich: Im Langzeitexperiment konnte die Forschungswelt beobachten, wie sich die Bakterien nach etwa 70.000 Generationen veränderten. Sie entwickelten einen neuen Stoffwechselweg – eine bemerkenswerte Anpassung.
Die Zukunft von E. coli in der Biotechnologie
Wie sieht die Zukunft aus? Susanne Gebhard hat dazu eine klare Vorstellung: "E. Coli ist nicht mehr der Alleinherrscher auf dem Gebiet der Biotechnologie. Er ist wichtig. Der ist auch aus der Zukunft überhaupt nicht wegzudenken. Und eben gerade für diese ganze DNA-Arbeit gibt das nichts meiner, meines Wissens, was auch nur annähernd äquivalent ist. Aber für diese ganzen Produktionssysteme also wir hatten Insulin angesprochen oder Lebensmittel Enzyme, die werden heute gar nicht mehr so wahnsinnig viel produziert."
Klar ist auch: Das kleine Darmbakterium hat als Modellorganismus bereits eine beachtliche Reise hinter sich. Es wurde sogar zur Internationalen Raumstation geschickt, um sein Wachstumsverhalten unter Schwerelosigkeit zu untersuchen.