Arbeitseinsatz von ESA und Roskosmos an der Außenseite der ISS
Der russische Überfall auf die Ukraine führte zum abrupten Ende diverser Weltraumprojekte. So sollte der europäische Marsrover ursprünglich an der Spitze einer russischen Rakete zum Roten Planeten starten. Stattdessen wird er nun jahrelang im Depot in Turin auf eine europäische oder amerikanische Transportgelegenheit warten müssen. Doch genau das Gegenteil geschieht gerade auf der ISS. Kein Abbruch der Arbeitsbeziehungen, sondern ein gemeinsamer europäisch-russischer Ausstieg ins All für einen Arbeitseinsatz an der Außenseite der ISS. Für die Europäische Weltraumagentur ESA wird Samantha Cristoforetti daran teilnehmen, für die russische Raumfahrtorganisation Roskosmos Oleg Artemyev.
Eine Animation des europäisch-russischen Außeneinsatzes im All
Die Rolle des elf Meter langen "European Robotic Arm" (ERA)
Die Italienerin Cristoforetti hält sich nach ihrem Ersteinsatz 2014 bereits zum zweiten Mal für sechs Monate auf der ISS auf. Mit dem Ausstieg aus der Raumstation wird sie zur ersten Frau aus Europa, die einen Außeneinsatz außerhalb der ISS unternimmt. Der Grund dafür, dass sie ausgerechnet mit ihrem russischen Kollegen Artemyev durch die Luftschleuse ins freie All schweben wird, ist ein unfreiwillig über lange Jahre bestehendes europäisch-russisches Gemeinschaftsprojekt.
Eine zentrale Rolle darin spielt Nauka - ein russisches Forschungsmodul, das eigentlich schon im Jahr 2009 an die ISS angedockt werden sollte. Angekommen ist es allerdings erst im Juli 2021 – also mit 12 Jahren Verspätung. Zu Nauka gehört auch ein elf Meter langer Roboterarm, aber der kommt nicht aus Russland, sondern wurde von der ESA entwickelt. Dieser European Robotic Arm oder kurz ERA musste wegen der Verzögerungen rund um Nauka ebenfalls viele Jahre auf seinen Transfer zur ISS warten. Nach seiner Ankunft im Sommer 2021wurde er noch planmäßig an der Außenseite von Nauka platziert – doch danach traten unerwartete Probleme auf.
ERA ist ein robotischer Arm, der durch seinen besonderen Aufbau und die daraus folgende Art und Weise, wie er sich bewegt, fasziniert. Denn ERA besteht eigentlich nur aus zwei Roboter“händen“ – die allerdings eher wie Saugstutzen ausschauen. Diese beiden Effektoren genannten Greifer sind über ein elf Meter langes Zwischenstück miteinander verbunden. Drei Gelenke sorgen dafür, dass sich ERA in alle Richtungen krümmen und biegen kann.
Das Besondere: ERA kann an der Außenseite des Nauka-Moduls entlangwandern - indem der robotische Arm wechselweise immer eine seiner beiden Hände löst und auf einen neuen Haltepunkt setzt, während er sich mit der anderen Roboterhand festhält. Die Haltepunkte sind so verteilt, dass ERA jede Stelle des Moduls erreichen kann.
Eine tolle technische Idee – doch wie gesagt, der für 2009 geplante Transport zur ISS wurde von Jahr zu Jahr verschoben. Philippe Schoonejans ist Projektmanager für ERA bei der ESA. Die zwölf Wartejahre führten dazu, so Schoonejans, „dass ERA nicht mehr topmodern ist - aber immerhin noch modern“. Denn in all den Jahren habe man ständig Hardware und Software an die technische Entwicklung angepasst und beispielsweise auch Klebestellen regelmäßig überprüft. Der Hersteller gab auf den Kleber nur fünf Jahre Garantie. Doch die Klebestellen, so Philippe Schoonejans, würden nach all den Jahren sogar eher besser halten als zu Beginn.
Weitere Informationen zum russischen Modul Nauka im folgenden Artikel:
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Mit 12 Jahren Verspätung wurde ein russisches Modul an die ISS angedockt. Ein Stück ISS-Ausbau, obwohl bereits über das Betriebsende der gealterten Station spekuliert wird.
Störung des Arms führte zu weiterer Verzögerung
Gutmütiger Kleber, modern gehaltene Technik – das Projekt hätte also schon im vergangenen Sommer sein gutes Ende finden können. Doch beim ersten Check des ERA nach Installation auf der ISS stellte sich heraus: Die Datenübertragung zwischen Arm und ISS war dauerhaft massiv gestört. Dieses Problem musste zuallererst gelöst werden. Weitere Außeneinsätze, die nötig gewesen wären, um den Arm komplett in Betrieb zu nehmen, wurden deshalb verschoben. Auch Matthias Maurer musste deshalb feststellen, dass er seine Ausbildung für den Außeneinsatz im russischen Raumanzug umsonst gemacht hatte.
Inzwischen sind die Probleme an ERA behoben, bei der weiteren Inbetriebnahme kommt nun Samantha Cristoforetti ins Spiel. Sie wird ERA fit machen für die letzten Tests und für seinen ersten Einsatz im Oktober, bei dem er einen großen Radiator zur Kühlung von Nauka in die vorgesehene Montageposition bewegen soll.
Roskosmos ist auf ESA-Ingenieurinnen und -Ingenieure angewiesen
Die Einsatzplanung des European Robotic Arm liegt künftig bei Russland, denn der zweihändige Roboter ist mit seiner Ankunft auf der ISS in russischen Besitz übergegangen. Der Besitzerwechsel bedeutete aber nicht das Ende der Zusammenarbeit zwischen den Teams beider Seiten. Auch nach der russischen Invasion in der Ukraine trafen sich die Teams aus Europa und Russland in wöchentlichen Schaltkonferenzen. Denn das Know-how der ESA-Ingenieurinnen und -Ingenieure, die ERA entwickelt haben, kann nicht so ohne weiteres transferiert werden. Bei allen Gesprächen, so ESA-Ingenieur Philippe Schoonejans, werde aber das Thema Ukraine konsequent ausgeklammert. Niemand spreche die Invasion an – und das sei eine seltsame Situation, da sich die Beteiligten teilweise seit 25 Jahren kennen.
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Was wird angesichts des Krieges in der Ukraine aus den gemeinsamen Raumfahrtprojekten von USA, Russland und Europa? Antworten auf wichtige Fragen.
Die ganze Geschichte zeigt: Die ISS hat (noch) eine Sonderstellung. Auch was die Pendelflüge zwischen der Raumstation und der Erdoberfläche betrifft. Die amerikanische Weltraumbehörde NASA und Roskosmos haben am 15. Juli einen Vertrag unterzeichnet, der es der russischen Kosmonautin Anna Kikina ermöglicht, im Herbst 2022 mit einem Crew Dragon der Firma Space X von Florida aus zur ISS zu fliegen. Und umgekehrt dürfen US-Astronauten weiterhin in russischen Sojus-Raumschiffen mitfliegen. Ein Tauschgeschäft mit Sitzplätzen, das beiden Seiten nutzt, weil es die Erreichbarkeit der ISS auch für den Fall sicherstellt, dass die eigenen Raumschiffe aus technischen Gründen für ungewisse Zeit am Boden bleiben müssen.