In der Dermatologie gibt es nur wenige akute Notfälle. Die Hauterkrankung toxische epidermale Nekrolyse gehört aber mit Sicherheit dazu.
"Es handelt sich dabei um eine sehr schwerwiegende Erkrankung, welche als Nebenwirkung auf gängige Medikamente auftritt und das Krankheitsbild definiert sich dann als Ganzkörperablösung der Haut, welche sehr rasch voranschreitet", erklärt Thierry Nordmann. Er ist Dermatologe und forscht am Max-Planck-Institut für Biochemie zur toxischen epidermalen Nekrolyse, auch TEN genannt.
Seltene Hautkrankheit, die tödlich enden kann
Es gibt auch mildere Verläufe bei ähnlichen Erkrankungen, doch wer tatsächlich an TEN leidet, muss auf der Intensivstation behandelt werden, oft in Verbrennungszentren, bei Spezialisten für große Hautverletzungen. "Diese Erkrankung ist in 30 Prozent der Fälle tödlich und bis jetzt gab es keine gute Therapie hierfür", sagt Dermatologe Nordmann.
Maja Mockenhaupt ist Spezialistin für diese Hauterkrankung und leitet das Dokumentationszentrum schwerer Hautreaktionen an der Uniklinik Freiburg. Sie sagt: Generell könne die toxische epidermale Nekrolyse jeden treffen. Aber sie sei selten. Pro Jahr gebe es etwa einen bestätigten Fall dieser epidermalen Nekrolyse auf 1.000.000 Einwohner. "Das heißt, dann sind es ungefähr 80 Fälle pro Jahr bei uns."
Gängige Medikamente können Erkrankung auslösen
Vieles rund um diese Erkrankung ist noch nicht bis ins letzte Detail verstanden. "Es gibt offensichtlich einen Triggerfaktor, der dazu führt, dass die Oberhaut, die sogenannte Epidermis, nekrotisch wird” - also abstirbt, sagt Maja Mockenhaupt. Verschiedene Faktoren dafür seien identifiziert worden. "Nur die Frage ist, was schiebt die an."
Klar ist: Diese Erkrankung kann durch Medikamente, wie zum Beispiel gängige Mittel gegen Gicht oder Epilepsien ausgelöst werden. Auch Medikamente, die bei rheumatischen Erkrankungen oder in der Krebsbehandlung eingesetzt werden, können sie auslösen. Gleiches gilt für Infektionen.
Toxische epidermale Nekrolyse: Neurodermitis-Medikament kann helfen
Diverse Therapien wurden bereits ausprobiert, den großen Durchbruch gab es noch nicht. Forschende am Max Planck-Institut für Biochemie haben jetzt eine neue Entdeckung gemacht: Dafür nutzten sie eine moderne Technik, die so genannte räumliche Proteomik und Proben von früheren TEN-Patient*innen, in denen sie mithilfe einer KI und moderner Bildgebung verschiedene Zellen identifizierten.
Mit einem Laser schnitten sie die Zellen einzeln aus und analysierten, welche Proteine man in welchem betroffenen Zelltyp vorfindet. So ließe sich einiges über die Abläufe in der untersuchten Zelle sagen, erklärt Thierry Nordmann, der Erstautor der Studie.
"Dabei haben wir herausgefunden, dass die Zellen bei diesen Patienten eine Hochregulation haben, also eine Überaktivität von gewissen Entzündungsfaktoren. Dieser spezifische Entzündungsfaktor nennt sich Yak/STAT-Signalkaskade, und wir haben dann herausgefunden, dass wir diese Signalkaskade auch therapeutisch ausnutzen können", sagt Thierry Nordmann.
Denn es gibt bereits ein Medikament, das genau den Ablauf in der Zelle hemmt, der zu der Erkrankung führt. Zugelassen ist dieses Mittel zum Beispiel zur Behandlung von Neurodermitis. Der Zusammenhang mit der toxischen epidermalen Nekrolyse war jedoch neu.
Behandlung bei sieben Patient*innen erfolgreich
Ob das Medikament bei dieser Erkrankung tatsächlich wirkt, testeten die Forschenden erst in einer Zellkultur, dann in Mäusen und als all diese Ergebnisse vielversprechend waren, behandelten sie in Zusammenarbeit mit internationalen Partnern schließlich sieben Menschen, die schwer an der toxischen epidermalen Nekrolyse erkrankt waren.
Ein Vorteil: Da das Medikament aus anderen Zusammenhängen bereits bekannt war, waren auch potenzielle Nebenwirkungen bekannt und man wusste, worauf man achten musste.
Am Ende war die Erleichterung groß: "Das ist das erste Mal, dass wir wirklich solche tollen Ergebnisse haben bei dieser schweren Erkrankung", sagt Thierry Nordmann. Denn: Alle sieben Patient*innen überlebten die Erkrankung und erholten sich. Schwerere Nebenwirkungen der Behandlung zeigten sich nicht. Die Forschenden veröffentlichten ihre Daten jetzt in der Fachzeitschrift Nature.
Weitere Studien nötig
Doch für allzu große Euphorie sei es zu früh, sagt Maja Mockenhaupt: Denn noch handele es sich um eine erste, kleine Studie. "Ich persönlich finde das einen interessanten Ansatz, aber ich wäre doch etwas zurückhaltend, das so darzustellen, als wenn wir jetzt mit dieser Erkrankung kein Problem mehr hätten."
Wichtig sei es, genau zu schauen, ob die Patienten und Patientinnen in der Studie wirklich eine toxische epidermale Nekrolyse hatten oder eine andere, ähnliche Erkrankung. Und wichtig sei es jetzt auch, größere, gut designte Studien anzuschließen, die diese Ergebnisse weiter untermauern oder revidieren.
Auch der Studienautor Thierry Nordmann betont, dass jetzt größere Studien durchgeführt werden müssten. Eine größere Studie sei bereits in Arbeit, doch das sei ein längeres Unterfangen: "Hierfür braucht es eine enge Zusammenarbeit mit einer Pharmafirma, die bereit ist, diesen Schritt mitzugehen mit einem Medikament, das bereits für eine andere Erkrankung zugelassen ist."
Und da die Krankheit so selten sei, brauche es auch einen internationalen Zusammenschluss von verschiedenen Forschungsgruppen, die ihre Ergebnisse zusammentragen. Nur so könne schnell gezeigt werden, ob das jetzt gefundene Medikament wirklich gegen diesen dermatologischen Notfall hilft.