Der typische Neuwagengeruch signalisiert: Dieses Fahrzeug ist wertig und auf dem aktuellen Stand der Technik. Ebendieser Geruch der Kunststoffe im Fahrzeug hat aber auch bedenkliche Auswirkungen auf die Gesundheit. Das zeigt eine kürzlich veröffentlichte Studie der Universität Peking.
Grenzwerte für giftiges Formaldehyd bei Hitze überschritten
Die Forschenden maßen die Werte für organische Verbindungen im Innenraum von Neuwagen bei Außentemperaturen zwischen 26 und 41 Grad Celsius. In Deutschland liegen die Grenzwerte für das giftige und in hohen Konzentrationen krebserregende Formaldehyd bei 125 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft.
In der Studie wurden Werte bis über 200 Mikrogramm erreicht. Das ebenfalls giftige Acetaldehyd soll laut deutschen Bestimmungen in Innenräumen den Grenzwert von 100 Mikrogramm pro Kubikmeter nicht überschreiten. In der Studie wurden Werte bis 140 Mikrogramm gemessen.
Ausgasende Stoffe im Inneren von Neuwagen reizen die Schleimhäute
Martin Göttlicher, Direktor des Helmholtz Instituts für Toxikologie, schildert die Gesundheitsprobleme, die von den Schadstoffen bei diesen Konzentrationen verursacht werden:
"Formaldehyd ist ein Reizgas, das unangenehm und stechend riecht. Ab einer Konzentration von 0,3 Milligramm pro Kubikmeter reizt es die Schleimhäute und verursache ein Brennen in den Augen. Denn die Nasenschleimhäute und auch die Rachenschleimhaut sind empfindlich, da merkt man schon, dass etwas stechend und reizend ist."
Das Formaldehyd gast aus Kunststoffen aus, etwa aus den Polstern, den Teppichen und dem Armaturenbrett. Entscheidend ist die direkte Sonneneinstrahlung auf die Kunststoffe und die dadurch erreichte Oberflächentemperatur. Von ihr hängt ab, wie viel sich von den organischen Verbindungen aus dem Kunststoff löst.
Grenzwerte in Deutschland für giftige Stoffe in Neuwagen höher als in China
Auffällig an der chinesischen Studie war, dass die Grenzwerte für Formaldehyd und Acetaldehyd in China jeweils nur halb so hoch waren, wie in Deutschland. Halten wir Deutschen mehr Schadstoffe aus oder sind unsere Grenzwerte zu lasch?
Prof. Göttlicher sagt hierzu, dass die Biologie in beiden Ländern ziemlich gleich sei. Bei der Grenzwertsetzung sei immer die Frage, wo der Gesetzgeber als Regulator tätig werden müsste und was der Bürger selbst entscheiden könne, wenn er um die Gefahren weiß.
Da der Stoff zu riechen ist, habe der Einzelne einen sehr guten Handlungsspielraum: Einfach lüften. Würde man im heißen Auto sowieso machen, weshalb regulatorisch nicht so besonders scharfe Grenzwerte nötig seien, sondern das Informieren wichtig, so Prof. Göttlicher weiter.
Der Technische Überwachungsverein gibt auf Anfrage des SWR an, dass er entsprechende Schadstoffmessungen in PKW noch nie vorgenommen hat. Das Umweltbundesamt hat auf eine Anfrage nicht reagiert. Es entsteht der Eindruck, dass man im "Autoland Deutschland" diesem Thema gerne aus dem Weg geht.
Konflikt zwischen nützlichen Materialeigenschaften und Gesundheitsgefahren bei Neuwagen
Es bleibt die Frage, weshalb beispielsweise Formaldehyd überhaupt so häufig eingesetzt wird, wenn doch bekannt, dass es gesundheitsgefährdend ist.
Prof. Göttlicher verweist auf die Anforderungen an die Materialien, die in Kraftfahrzeugen zu finden sind: Sie sollen formbar sein, lange ansehnlich bleiben und stabil sein. Außerdem müssen sie eine hohe Festigkeit haben. Im Verbund mit Metallen müsse zudem auf den Korrosionsschutz geachtet werden. Bei einem Brandfall müssen die Stoffe flammhemmend sein. Mit Blick auf diese Anforderungsliste seien die Stoffe, die im Auto verbaut sind, grandios, so der Experte.
Ein klassischer Zielkonflikt also: optimierte, wünschenswerte Materialeigenschaften auf der einen Seite. Eine potenzielle Gesundheitsgefahr auf der anderen Seite. Zum Glück kann man die Gefahr relativ leicht minimieren: Wenn der typische Neuwagengeruch an heißen Tagen penetrant wird, ist es eine gute Idee, großzügig zu lüften.