Die Raumfahrt in Europa tut sich schwer, scheint es. Die Europäische Raumfahrtagentur ESA hat keine Möglichkeit, selbst ihre eigenen Astronauten ins All zu schicken, die großen Missionen, wie Mondlandungen, machen andere und der Jungfernflug der neuen Trägerrakete Ariane 6 verzögert sich jetzt schon seit vier Jahren.
ESA will auch astronautische Raumfahrt stärken
Doch der Schein trügt, die ESA ist besser als ihr Ruf. Das zeigen auch einige der Beschlüsse, die beim aktuellen Weltraumgipfel des ESA-Ministerrats in Brüssel bekanntgegeben wurden. Mit Flügen der Französin Sophie Adenot und dem Belgier Raphaël Liégeois zur Internationalen Raumstation ISS soll das aktive Astronaut*innenkorps ab 2026 weiter anwachsen.
Die Testpilotin Adenot und der Biomediziner und Neurowissenschaftler Liégeois sind Teil der jüngsten Astronaut*innenabschlussklasse von 2022. Sie sollen während ihren Langzeitmissionen den internationalen Partnern zeigen – vor allem der NASA – dass bei der ESA eine Auswahl an fähigen Leuten ist, die sich auch für längere Missionen weiter hinaus ins All eignen.
Für Artemis 4, die zweite der Artemis-Missionen, die wieder Menschen auf den Mond bringen wird, hat die ESA schon einen Platz sicher, deswegen ist der Blick der ESA hier wahrscheinlich eher längerfristig. Auch wenn es noch keine bestätigte Mission gibt, plant die NASA fest damit, eine dauerhaft bewohnte Basis auf dem Mond zu errichten. Die soll dann auch als Zwischenstation für eine astronautische Mission zum Mars dienen.
Auch privater Raumfahrtsektor in Europa wächst
Auch eine weitere Entscheidung des ESA-Ministerrats soll die Zukunft der astronautischen Raumfahrt in Europa stärken, auch wenn es zunächst um den Transport von Fracht zur ISS und möglichen anderen Raumstationen geht: Zwei private Unternehmen wurden damit beauftragt, bis 2028 je eine Frachtkapsel zu entwickeln.
Die Kapseln sollen aber schon mit dem Hintergedanken entworfen werden, sie in Zukunft zu Raumschiffen weiterzuentwickeln, mit denen auch Menschen ins All fliegen können – ein erster Schritt der ESA einen eigenen Zugang zum All für Astronaut*innen zu schaffen.
Bei den Unternehmen handelt es sich um Thales Alenia Space, ein italienisch-französisches Joint Venture mit jahrzehntelanger Erfahrung in der Raumfahrt. Unter anderem stellte das Unternehmen bereits Satelliten für Galileo, das europäische Satelliten-Navigationssystem, und für Iridium her, dem weltweit größten Anbieter von Satelliten-Telefonie.
Außerdem ging der Auftrag an The Exploration Company, ein Raumfahrt-Startup aus Planegg bei München. Gegründet wurde es vor zwei Jahren von der Französin Hélèn Huby, die vorher Führungspositionen bei der Raumfahrtsparte von Airbus und der Ariane-Group innehatte.
Von beiden Unternehmen kam eine Gruppe von Ingeneurinnen und Ingenieuren mit ihr zum neuen Startup. Mit der Entwicklung von wiederverwendbaren Raumkapseln will The Exploration Company dem derzeitigen Monopol von Space-X in dem Bereich trotzen und eine europäische Alternative anbieten. Noch hat das Startup allerdings keine eigene Kapsel getestet.
Vigil soll Teil der Sonne im All beobachten, den wir von der Erde aus nicht sehen
Der Auftrag für den Sonnenbeobachtungssatelliten Vigil wurde an Airbus UK vergeben, die britische Tochter von Airbus. Vigil soll in Zukunft einen Teil der Sonne beobachten, der uns von der Erde aus verborgen ist und so deutlich früher vor drohenden Sonnenstürmen warnen kann, als das bisher möglich ist.
Auf dem Weltraumgipfel in Brüssel unterzeichneten außerdem Vertreter von zehn Nationen eine gemeinsame Erklärung bis 2030 weltraumschrottneutral zu werden. Im erdnahen Orbit befinden sich mehrere hunderttausend Objekte, die mindestens einen Zentimeter groß sind und potentiell für Raumschiffe oder Satelliten gefährlich sein könnten.
ESA hat einige Erfolge vorzuweisen
Die ESA stellt also Weichen, um ihren Stand in der Raumfahrt in Zukunft zu stärken. Doch auch in der Vergangenheit feierte die europäische Weltraumorganisation immer wieder große Erfolge. Mit Rosetta, beziehungsweise dem Lander Philae zum Beispiel landete die ESA zum ersten Mal eine Sonde auf einem Kometen. Mit Huygens zum ersten Mal auf einem Mond, der nicht unserer ist, dem Saturn-Mond Titan.
Gerade erst wurden die ersten Bilder des ESA-eigenen Weltraumteleskops Euclid veröffentlicht. Mit dem Teleskop soll eines der größten Geheimnisse des Universums erforscht werden: Dunkle Energie und Dunkle Materie.
Und dass auch die NASA die ESA als ernstzunehmenden Partner wahrnimmt, wird auch dadurch deutlich, wo das ESA-Logo überall zu sehen ist, etwa neben dem NASA-Logo auf dem Weltraumteleskop Hubble oder der Artemis-Mond-Rakete SLS. Für das Orion-Raumschiff, mit dem die Artemis-Astronaut*innen zum Mond fliegen werden, liefert die ESA das Servicemodul. Darin sind der Antrieb und die Lebenserhaltungssysteme enthalten, zwei der kritischsten Systeme der Mission.
James-Webb-Teleskop wurde mit europäischer Rakete ins All gebracht.
Das James-Webb-Weltraumteleskop, an dem die ESA neben der Kanadischen Weltraumagentur CSA auch als Partner der NASA beteiligt ist, wurde an Bord einer europäischen Ariane 5 ins All transportiert. Dabei wurde die Umlaufbahn so genau getroffen, dass der gesparte Treibstoff an Bord des Teleskops selbst die Mission voraussichtlich um zehn Jahre oder mehr verlängert hat.
Viele Raumfahrt-Projekte starten mit Verzögerung
Ein häufiger Kritikpunkt an der ESA ist aktuell die Verzögerung der neuen Trägerrakete Ariane 6. Eigentlich sollte sie 2020 schon starten. Aktuell ist der Jungfernflug für Juni oder Juli diesen Jahres geplant. Eine solche Verzögerung ist in der Raumfahrt jedoch nicht ungewöhnlich.
Die Mondrakete SLS sollte – nachdem die Entwicklung ihrer Vorgängerin Ares V 2010 abgebrochen wurde – ursprünglich 2017 zum ersten Mal starten. Nach mehreren Verzögerungen wurde es dann Ende 2022 bevor die Rakete zum ersten Mal abhob.
Und auch der schnell wachsende private Raumfahrtsektor ist von solchen Verzögerungen geplagt. Das Starship von Space-X, dass noch keinen hundertprozentig erfolgreichen Flug absolviert hat, sollte nach den ersten Plänen bereits dieses Jahr bemannte Flüge zum Mars absolvieren.
Verzögerungen bei Space-X werden in Insiderkreisen auch spöttisch "Elon-Time" genannt, da der Unternehmensgründer Elon Musk oft Zeitpläne ankündigt, die nicht eingehalten werden können.