Ob Computerchips, temperaturbeständige Kleidung oder Handykameras: Diese Technologien wurden für die Raumfahrt entwickelt oder zumindest so sehr weiterentwickelt, dass sie ohne die Raumfahrt heute so nicht existieren würden. Allein die Apollo-Missionen brachten 135.000 Patente hervor, von denen viele heute unser Leben auf der Erde verbessern.
Der Mythos um den teuren Space Pen der NASA
Um eine dieser Technologien rankt sich ein hartnäckiger Mythos, den Sie vielleicht auch schon gehört haben. Er besagt, dass die NASA zehn Jahre lang einen Kugelschreiber entwickelte, der in der Schwerelosigkeit funktioniert. Kostenpunkt: Je nach Quelle zwischen hunderten Millionen und mehr als zehn Milliarden Dollar. Die Russen dagegen nutzten einfach einen Bleistift.
Es ist eine lustige Anekdote über verbissene Bürokratie und Perfektionismus in den kapitalistisch-imperialistischen USA der 1960er-Jahre einerseits und dem liebenswerten kommunistischen Pragmatismus der Sowjetunion andererseits.
Doch: Die Geschichte stimmt nicht. Sie ist ein Mythos, weiß Tommaso Ghidini, Leiter der Abteilung für Materialtechnologie bei der Europäischen Weltraumagentur ESA.
Aber wie bei jedem guten Mythos steckt schon ein Fünkchen Wahrheit drin. Es gibt ihn nämlich wirklich, den Space Pen, den Kugelschreiber, der in der Schwerelosigkeit funktioniert. Doch entwickelt hat ihn nicht die NASA, und es stecken auch keine Steuergelder drin.
Warum herkömmliche Kugelschreiber im Weltraum versagen
Aber von vorne: Dass Kugelschreiber in der Schwerelosigkeit nicht funktionieren, das war sowohl den US-Amerikanern als auch den Russen ziemlich schnell klar. Der Grund liegt relativ nahe: Flüssigkeiten funktionieren in der Schwerelosigkeit einfach anders.
Kugelschreiber sind auf die Schwerkraft angewiesen. Die Tinte muss nach unten fließen, damit sie von der Kugel aufs Papier gebracht werden kann. Dass Bleistifte funktionieren, das war aber nicht nur den Russen klar. Auch die Amerikaner nutzten sie für die ersten Missionen.
Durch die Schwerelosigkeit können gerade kleine Partikel praktisch überall hin gelangen - durch kleinste Öffnungen, in die innersten Innereien des Raumschiffs. Dort könnte das elektrisch leitende Graphit einen Kurzschluss auslösen.
Mythos entlarvt: Der Space Pen ist von der Fisher Pen Company
Die Fischer Pen Company entwickelte den Stift auf eigene Kosten und ohne Auftrag der NASA. Die Weltraumagentur testete aber auf Anfrage von Fisher das fertige Produkt - und war überzeugt. Für die Apollo-Missionen kaufte die NASA 400 Stifte von Fisher, für insgesamt knapp 1.200 Dollar - wesentlich weniger als die behaupteten hunderte Millionen aus dem Mythos.
Der Space Pen schreibt auch unter extremen Bedingungen
Dadurch kann der Stift auch auf der Erde über Kopf schreiben. Fisher entwickelte außerdem eine spezielle Tinte, mit der auch auf schwierigen Oberflächen geschrieben werden kann, etwa auf fettig-öligen oder glatten, und sogar unter Wasser.
Der Fisher Space Pen ist also nicht nur perfekt für das All. Auch unter schwierigsten Bedingungen auf der Erde schreibt er noch zuverlässig und ist deswegen vor allem dort beliebt, wo diese Zuverlässigkeit wichtig ist, zum Beispiel auf Baustellen oder Offshore-Bohrplattformen. Mit um die 50 Euro nicht gerade der günstigste Kugelschreiber, aber wer kopfüber unter Wasser auf einer fettigen Glasscheibe etwas schreiben will, hat vermutlich einen Grund, der gut genug ist, sich den original Space Pen zu leisten.
Technologie aus der Raumfahrt verbessert unser tägliches Leben
Der Weltraum ist die lebensfeindlichste Umgebung, die es gibt. Praktisch alles, was wir dort einsetzen wollen, müssen wir bis zur Perfektion optimieren. Die komplexesten diagnostischen Geräte, die kompliziertesten Computerchips oder auch den vermeintlich einfachsten Kugelschreiber. Und ganz oft verbessert das unser aller Leben. Das passiert immer wieder, sagt Tommaso Ghidini.
Übrigens: Auch die Russen verzichten schon seit vielen Jahrzehnten auf den Bleistift und nutzen ihn ebenfalls - den original Space Pen.