Die Flut ist da, und wir räumen die Sandsäcke weg. So kommen mir die weitreichenden Lockerungen vor, die ab Sonntag greifen. Wir müssen jetzt mit einem Infektionsschutzgesetz leben, das diesen Namen nicht verdient. Zumindest einen Basisschutz hatten die Verantwortlichen in Berlin uns versprochen. Davon aber kann keine Rede sein.
Ende der Maskenpflicht
Die elementarste, wirksamste Schutzmaßnahme fällt weg: die Maskenpflicht in Innenräumen. Nur in Kliniken, Heimen, Bussen und Bahnen wird sie noch gelten. Das ist viel zu wenig. In Umfragen sagen zwar zwischen 40 und 60 Prozent der Deutschen, dass sie freiwillig weiter Maske tragen wollen. Die Bereitschaft dürfte aber bald bröckeln.
Menschen mit einem erhöhten Risiko für schweres Covid können jetzt sehen, wo sie bleiben. Mit einer perfekt sitzenden FFP2-Maske sind sie zwar im Prinzip gut geschützt, auch wenn sonst keiner im Raum eine Maske trägt. Im Alltag aber sitzt die Maske oft mehr schlecht als recht; wenn es im Supermarkt voll wird und ein Infizierter hustet, ist der Schutz dann trotz Maske buchstäblich lückenhaft.
Risikopatienten sind auf sich gestellt
Wir alle haben die Nase voll von weitreichenden Einschränkungen, keine Frage. Aber angesichts der immer noch extrem hohen Fallzahlen so massiv zu lockern – das finde ich leichtfertig und verantwortungslos. Nicht nur Hochbetagte im Pflegeheim, auch fitte Senioren und chronisch kranke Jüngere können selbst mit der vermeintlich milden Omikron-Variante einen schweren Verlauf erleiden.
Wer gerade eine Chemo macht, an einer Immunschwäche oder bestimmten Behinderungen leidet, ist stark gefährdet. Für alle mit erhöhtem Risiko wird Einkaufen nun zum Abenteuer, ins Theater oder Konzert werden sich viele von ihnen kaum noch trauen. Freiheit first – das Motto der FDP ist für mich ein Plädoyer für maximale Rücksichtslosigkeit.
Hotspot-Regelung ist ineffektiv
Karl Lauterbach, früher mal ein eloquenter Vertreter des Teams "Vorsicht", hat Anfang der Woche die Länder förmlich angefleht, doch von der Hotspot-Regelung Gebrauch zu machen. Nur leider scheint die juristisch so wackelig konstruiert, dass nur wenige sie nutzen wollen. Und an Geschäfte ging der Appell, doch das Hausrecht zu nutzen und weiter Masken von der Kundschaft zu fordern. Schizophrener geht es nicht.
Rückrudern nach "freedom-day" im Ausland
Statt die Verantwortung auf die unterste Ebene zu delegieren, sollte die Regierung ihre Bürger selbst vernünftig schützen. Österreich hat das getan – und die vorübergehend abgeschaffte Maskenpflicht letzte Woche wieder eingeführt. Die Fallzahlen waren explodiert, die Regierung musste zurückrudern. Das hätte uns ein warnendes Beispiel sein müssen.
Keine Omikron-Pause im Sommer
Jetzt hoffen viele auf einen entspannten Sommer und setzen darauf, dass mit dem warmen Wetter die Zahlen von selbst stark absinken. Omikron ist aber so ansteckend, dass der saisonale Effekt schwächer sein wird als in den letzten beiden Jahren. Wie es nun weitergeht, hängt deshalb von der Vernunft jedes einzelnen ab: je mehr Menschen drinnen freiwillig weiter Maske tragen und Abstand halten, desto besser sind unsere Chancen auf einen guten Sommer. Wenn die Regierung uns nicht schützt, müssen wir es eben selber tun.