Aktuell werden viele politische Entscheidungen auf Grund von Studienergebnissen getroffen. Doch einige dieser Ergebnisse sind noch vorläufig. Und manchmal passieren den Wissenschaftlern aufgrund der Zeitnot auch Fehler.
Schwedische Studie musste zurückgezogen werden
In Schweden wurde eine Studie zurückgezogen, die nahegelegt hat, das schon 20 bis 30 Prozent aller Schweden Antikörper gegen das Coronavirus hätten. Bei der Analyse von Blutproben waren dort nämlich auch Proben von Covid-19 Patienten eingeflossen, die schon wieder gesund waren und deren Plasma für Schwerkranke gespendet werden sollte. Das hat die Ergebnisse verzerrt.
Ethiker warnen vor Kompromissen bei der wissenschaftlichen Qualität
Zwei Ethiker aus den USA warnen jetzt in der Fachzeitschrift Science "man dürfe in dieser außergewöhnlichen Situation keine Kompromisse bei der wissenschaftlichen Qualität machen." Aktuell würden viele Studien sehr schnell durchgeführt. Das bringe zwar rasch Ergebnisse, auch wenn die Studie dann vielleicht nicht den wissenschaftlichen Standards entspricht. Manche Wissenschaftler würden in dieser Sondersituation davon ausgehen, dass die Geschwindigkeit wichtiger sei als hohe Sorgfalt.
Kleine und Kleinststudien mit geringer Aussagekraft
Die Autoren der Science-Studie kritisieren, dass es zurzeit viele Berichte über kleine Studien und kleinste Studien ohne Kontrollgruppe gibt oder sogar über Einzelbeispiele. Die Ergebnisse hätten dann aber wenig Aussagekraft. Man könne daraus kaum allgemeine Schlüsse ableiten. Das verfälsche den Sinn der Forschung, Unsicherheiten zu reduzieren. Durch mangelhafte Forschung würde die Unsicherheit sogar größer.
Das Dilemma der Wissenschaft
Die Wissenschaft stecke immer in dem Dilemma, dass die Ergebnisse schnell kommen sollten, aber eben auch belastbar. Die aktuelle Situation verschärfe dieses Problem, denn die wissenschaftlichen Ergebnisse sind auch in der Öffentlichkeit extrem gefragt.
Politik und Gesellschaft stürzen sich auf alle neuen Erkenntnisse. Und diese Ergebnisse werden dann auch extrem schnell in die Praxis umgesetzt. Viel schneller als zu normalen Zeiten. Das ist zwar richtig, aber natürlich nur sinnvoll, wenn die Ergebnisse auch belastbar sind.
Forschung wird irregeführt
Das Problem sieht man zum Beispiel bei der Medikamentenforschung. Es gab bereits recht früh Hinweise zum Beispiel aus China, dass zum Beispiel das Malaria-Medikament Chloroquin in der Behandlung bei Covid-19 Patienten eingesetzt werden könnte. Aber diese ersten Studien hatten Mängel, die so groß waren, dass man aus ihnen nicht wirklich schließen konnte, ob das Mittel gewirkt hat oder ob andere Umstände zur Heilung der Patienten führten.
Mittlerweile gibt es größere Studien zu dem Medikament, einige laufen auch noch. Doch man geht davon aus, dass Chloroquin keinen großen Beitrag bei der Behandlung von Covid-19-Patienten leisten kann, dass es vielleicht sogar schädlich sein könnte.
Verschwendung von Forschungsressourcen
Das bedeutet: Diese kleinen, unkoordinierten Studien haben die Aufmerksamkeit auf ein Thema gelenkt, das nachher doch nicht mehr ganz so groß war. Das hätte man eventuell früher wissen können, wenn das Studiendesign gleich mit höheren wissenschaftlichen Standards angelegt worden wäre. Das ist im Endeffekt eine Verschwendung von Forschungsressourcen.
Preprint-Studien ohne kritische Begutachtung fluten die Öffentlichkeit
Hinzu kommt: Studienergebnisse werden normalerweise vor einer Veröffentlichung in einem Fachmagazin durch Experten geprüft. Das nennt sich Peer Review Verfahren. Die Experten schauen dann kritisch auf die Studie und fordern gelegentlich Nachbesserungen ein oder lehnen auch mal Studien ab, die zu wenig aussagekräftig sind.
Nun gibt es aber auch sogenannte Preprints, das heißt Ergebnisse von Studien, die noch nicht geprüft worden sind werden direkt auf sogenannten Preprint-Servern hochgeladen. So stehen diese ungeprüften Ergebnisse schneller zur Verfügung. Die Autoren des Science-Artikels halten es für problematisch, dass die Preprint-Server zur Zeit mit Ergebnissen "geflutet" würden. Aktuell werden diese vorveröffentlichten Studien auch stark von Journalisten und Ärzte beachtet.
Wissenschaftler selbst nutzen diese Preprint-Studien auch zum Austausch von Daten - das geht auf diese Weise deutlich schneller, da eine Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift sehr lange dauern kann. Wichtig ist jedoch: Die Wissenschaftler wissen, dass es sich um ungeprüfte Publikationen handelt - sie können ihre Aussagekraft richtig einschätzen. In Kombination mit den Zeitschriften mit Peer Review Verfahren haben diese Server innerhalb der Wissenschaft also einen wichtigen Stellenwert. In den Medien müssen die dort veröffentlichten Ergebnisse aber richtig eingeordnet werden.
Tägliche Herausforderung für Wissenschaftsjournalisten
Wissenschaftsjournalisten beschäftigen sich daher im Moment noch viel intensiver als sonst mit der Frage: Was weiß man sicher und an welchem Punkt stehen wir bei bestimmten Entwicklungen überhaupt? Das ändert sich sehr schnell.
Zurzeit müssen viele neue Studien immer wieder eingeordnet werden. Es muss klar gemacht werden, dass viele dieser Ergebnisse noch sehr vorläufig sind. Zum Beispiel weil sie bisher nur auf Preprint Servern veröffentlicht wurden.