Raumfahrt

Chinesische Astronauten erreichen Kernmodul der Weltraumstation Tiangong

Stand
Autor/in
Uwe Gradwohl
Onlinefassung
Julia Otto
Lilly Zerbst

Drei Astronauten der chinesischen Raumfahrtbehörde haben ihr Raumschiff Shenzhou 12 erfolgreich an das Kernmodul der Weltraumstation Tiangong angedockt.

Nachdem China Ende April das erste Modul der Raumstation Tiangong (Himmelspalast) ins All gebracht hat, haben nun drei chinesische Raumfahrer erfolgreich an das Kernmodul Tianhe (Himmlische Harmonie) der noch im Bau befindlichen Raumstation angedockt. Das Team rund um den Kommandanten Nie Haisheng soll die Raumstation im Laufe des 90-tägigen Aufenthalts in Betrieb nehmen. Auch Außenbordeinsätze sind geplant.

Dass die Internationale Raumstation ISS mit Tiangong eine Konkurrenz in der Erdumlaufbahn hat,wenn auch eine wesentlich kleinere, hat seinen Grund in der Weigerung der USA, China als Partner im ISS-Projekt zu akzeptieren. Fast 18 Jahre nach dem ersten Flug eines Chinesen in den nahen Erdorbit ist die Volksrepublik nun aus eigener Kraft in der Lage, eine Raumstation zu bauen.

Eine maßstabsgetreue Nachbildung des Kernmoduls Tianhe der chinesischen Raumstation.
Eine maßstabsgetreue Nachbildung des Kernmoduls Tianhe der chinesischen Raumstation.

Details zur Crew

Mit einem Durchschnittsalter von 52 Jahren ist die Crew verhältnismäßig alt. Und das hat einen guten Grund. Denn 90 Tage Aufenthalt im All, das ist bislang in der chinesischen bemannten Raumfahrt so noch nicht vorgekommen. Deswegen greift die chinesische Raumfahrtbehörde auf sehr erfahrene Raumfahrer zurück. Der letzte bemannte Flug startete vor fünf Jahren und war mit einem Monat Einsatzdauer der bis dato längste.

Die drei chinesischen Astronauten Nie Haisheng, Liu Boming und Tang Hongbo verabschieden sich für ihren Flug.
Die drei chinesischen Astronauten Nie Haisheng (rechts), Liu Boming (Mitte) and Tang Hongbo (links) verabschieden sich für ihren Flug.

Für den 56 jährigen Astronauten Nie Haisheng ist dies der dritte Flug ins All und die erste Mission als Kommandant. Sein zwei Jahre jüngere Raumfahrkollege Liu Boming verbrachte bisher knapp drei Tage im All. Die jetzige Mission ist seine zweite. Der einzige Neuling im All ist der 45-jährige Raumfahrer Tang Hongbo. Er musste zehn Jahre auf seinen Erstflug warten. Das ist nicht ungewöhnlich. Denn China hatte bisher kein festes Ziel in der Umlaufbahn, das Astronauten regelmäßig hätten anfliegen können. Mit Tiangong könnte sich das jetzt ändern. Die Raumstation soll auch als Übungszentrum dienen, um Astronautennachwuchs auszubilden.

Internationale Besatzung denkbar – trotz andersartigem Andock-Modul

Dass dieser neue künstliche Stern in der Erdumlaufbahn auch mal Besuch von Raumschiffen anderer Nationen erhält, ist eher nicht angedacht. Denn der Andock-Mechanismus ist eine chinesische Eigenentwicklung - allerdings mit starker Ähnlichkeit zu einem russischen Docking-Standard. Auf der ISS wird ein international standardisierter Mechanismus zum Andocken genutzt, so dass dort Raumschiffe aus mehreren Staaten anlegen können.

Trotzdem schließt die chinesische Raumfahrtbehörde nicht aus, in Zukunft auch Astronautinnen und Astronauten anderer Nationen zur Raumstation zu befördern. Damit macht die neue Raumstation der ISS ein wenig Konkurrenz. So könnten russische Raumfahrtvorhaben möglicherweise in Zukunft statt an Bord der ISS auch in der Tiangong umgesetzt werden. Schließlich denken Russland und China auch schon über eine gemeinsame Raumstation in der Mondumlaufbahn und eine Forschungsstation auf der Oberfläche des Mondes nach.

Den Grundstein zum gemeinsamen Vorhaben legten Vertreter der russischen und der chinesischen Raumfahrtbehörde bereits mit einer Roadmap, die Aufschluss über das Konzept, das Forschungsgebiet und wissenschaftliche Ziele einer solchen Unternehmung gibt. Außerdem sind Vorschläge für Kooperationsmöglichkeiten beim Betrieb der angedachten internationalen Mondstation (ILRS) für alle interessierten Länder enthalten. Dies ist auch als politischer Schachzug gegen die US-amerikanische Raumfahrtbehörde NASA zu verstehen, die selbst nach Mitstreitern für ein Mondprojekt sucht.

Besatzung des Himmelspalasts und der ISS

Drei Astronauten können im Himmelspalast leben und experimentieren. Die ISS war bis zum Jahr 2009 ebenfalls mit nur drei Personen besetzt im All unterwegs.  Inzwischen besteht die Stammbesatzung der ISS aber aus sieben Frauen und Männern. Die russischen Sojus-Raumschiffe können drei Personen zur ISS und zurück befördern. Und seit 2020 stehen die kommerziell betriebenen Raumschiffe des Typs Crew Dragon von amerikanischem Boden aus für den Transport von vier Besatzungsmitgliedern zur Verfügung.

Crew Dragon
Seit dem vergangenen Jahr stehen die kommerziell betriebenen Raumschiffe des Typs Crew Dragon von amerikanischem Boden aus für den Personenverkehr zur ISS zur Verfügung.

Aufbau der Tiangong

Tiangong soll aus drei Modulen zusammengefügt werden: Dem Kernmodul Tianhe (Himmlische Harmonie), in dem die Versorgungstechnik und die Wohnbereiche untergebracht sind, sowie zwei Labormodulen. Mit dem Flug von Tianhe beginnt der erste Bauabschnitt auf Pekings Baustelle im All. Das Kernmodul ist 16 Meter lang.

Die beiden Forschungsmodule werden in den kommenden Monaten rechts und links an das Ende von Tianhe angedockt, so dass die komplette Station einem großen „T“ ähnelt. Dieses Prinzip des modularen Aufbaus haben die ISS und Tiangong gemeinsam. Die kleineren Vorgänger Tiangong 1 und 2 waren dagegen aus einem einzigen Baukörper gefertigt. Sie dienten als Versuchsstationen, mit denen sich die chinesischen Raumfahrtingenieure langsam an die komplexen Abläufe beim Bau und Betrieb einer modernen, modularen Raumstation herantasteten.

Kernmodul-Tianhe der chinesischen Raumstation
Mit dem Flug von Tianhe beginnt der erste Bauabschnitt auf Pekings Baustelle im All. Das Kernmodul ist 16 Meter lang

Bis zur Inbetriebnahme im kommenden Jahr werden elf Starts ins All notwendig werden. Der Bau der ISS erforderte 40 Flüge, davon allein 37 mit dem „Lastesel der Erdumlaufbahn“, dem Space Shuttle.

Komplett montiert wird im Baukörper von Tiangong ca. 90 Tonnen Masse versammelt sein. Die ISS bringt es auf ca. 420 Tonnen. Wie die ISS wird auch die chinesische Station an ihrer Außenseite über Roboterarme verfügen, um Frachtraumschiffe beim Andocken zu unterstützen oder Arbeiten auf der Außenseite der Station aus dem Inneren heraus durchführen zu können.

Auch die wissenschaftlichen Experimente sind nicht auf den Innenbereich beschränkt. Die Bandbreite der vorgesehenen Forschung ähnelt der auf der ISS: Vor allem in den Fächern Medizin, Materialwissenschaften, Plasmaphysik und Biologie interessiert man sich für Vorgänge, die nur bei tage-, wochen- oder gar monatelanger Schwerelosigkeit auftreten bzw. untersucht werden können.

Transport von Frachtgut

Geräte oder umfangreiches Probenmaterial wieder zurück auf die Erde bringen zu können, wird Chinas Raumfahrern zunächst nicht so einfach möglich sein. Die unbemannten chinesischen Versorgungsraumschiffe sind Einmalraumschiffe, die nach Abliefern ihrer Fracht auf dem Rückweg Stationsmüll transportieren und in der Erdatmosphäre verglühen. Und die bemannten Shenzou-Kapseln mit denen die Besatzung Tiangong erreicht, sind zu klein, als dass sie noch viel Fracht transportieren könnten. Erst ein in Entwicklung befindliches, größeres Raumschiff wird sowohl Raumfahrer als auch Frachtgut transportieren können.

Flughöhe nahe der Erdatmosphäre

Tiangong wird in 340 bis 450 Kilometer Höhe seine Kreise um die Erde ziehen. Um diese Höhe zu halten, muss die Station alle paar Wochen ihre Triebwerke zünden und die Bahn ein wenig anheben. Die ISS fällt mit 2 Kilometer pro Monat aus ihrer Normflughöhe von 420 Kilometern Richtung Erdboden. Der Grund für dieses Absacken: Beide Stationen fliegen eigentlich nicht richtig weit draußen im All. Wäre die Erde so groß wie eine Orange, würden die beiden Raumstationen bei maßstabsgerechtem Vergleich nur wenige Millimeter über der Orangenschale um die Frucht sausen.

Internationale Raumstation ISS mit einem Ausschnitt der gekrümmten Erde im Hintergrund.
Sowohl die ISS als auch die chinesische Raumstation Tiangong fliegen noch so nah an der Erdoberfläche, dass sie übertragen auf die Größe einer Orange nur wenige Millimeter über der Orangenschale um die Frucht sausen würden.

In 400 Kilometer Abstand zur Erde reibt die ISS noch an Resten der Erdatmosphäre – und das bremst die Station und würde ohne Korrekturzündungen der Triebwerke zu ihrem Absturz führen. Ein großer Vorteil der Erdnähe ist allerdings, dass im Notfall innerhalb von sechs Stunden eine schnelle Rückkehr zur Erdoberfläche möglich ist. Und: Im erdnahen Orbit schirmt das Erdmagnetfeld die Stationsbesatzungen auch bei Langzeitaufenthalten noch ausreichend vor der auf Dauer schädlichen kosmischen Strahlung ab.

Flugbahn gegen die Äquatorebene

Die Bahn der ISS ist um 51,6 Grad gegen die Äquatorebene geneigt. Die chinesische Raumstation wird sich auf einer um 42 Grad geneigten Bahn bewegen und erreicht während einer Erdumrundung als nördlichste Punkte damit jenen Breitengrad, auf dem Städte wie Barcelona, Rom und Istanbul liegen. Von Deutschland aus könnte Tiangong unter günstigen Bedingungen als langsam ziehender, schwach leuchtender Stern am tiefen Horizont zu sehen sein.

Technische Lebensdauer der Tiangong

Die technische Lebensdauer von Tiangong wird mit zehn Jahren angegeben. Aber das muss nichts heißen. Die ISS war zunächst für 15 Jahre ausgelegt und kreist nun bereits in ihrem dritten Jahrzehnt durchs erdnahe Weltall. Um 2028 wird aber damit vermutlich Schluss sein, weil der Baukörper einer Raumstation in der harschen Umgebung des Alls immer anfälliger für Risse und Löcher wird. Während die Reste der ISS dann auf dem Grund des Pazifiks ruhen, wird Tiangong dann noch ein paar weitere Jahre in Betrieb sein.

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