Die Früherkennung von Glaukomen ist bisher oft schwierig. Die Symptome kommen so schleichend, dass man sie selbst erst sehr spät bemerkt oder man sie nur ganz schwer deuten kann. Beim Augenarzt oder bei der Augenärztin wird unter anderem der Augeninnendruck gemessen.
Das passiert bei Grünem Star im Auge
Das ist allerdings eher eine Langzeitbeobachtung. Deswegen arbeitet die Forschung dran, die Früherkennung von Grünem Star zu verbessern, vor allem schneller und einfacher zu machen. Da gibt es jetzt offenbar einen Durchbruch. Wie der aussieht, besprechen wir in SWR Impuls mit Professor Norbert Pfeiffer. Er ist Direktor der Augenklinik an der Unimedizin Mainz.
SWR Kultur Impuls: Was passiert beim Grünen Star im Auge? Warum wird man blind, wenn er nicht behandelt wird?
Norbert Pfeiffer: Dazu muss man erst mal verstehen, wie das System funktioniert. Wir haben zwei Augäpfel, das sind ganz, ganz tolle Hochleistungskameras. Aber die Bildverarbeitung geschieht im Gehirn. Und verbunden sind die beiden Augen mit dem Gehirn, mit dem Sehsystem, über zwei "Datenkabel" sozusagen. Und jedes dieser "Datenkabel" hat über eine Million Nervenfasern. Und es ist ganz wichtig, dass dieses Datenkabel funktioniert.
Es gibt ganz viele verschiedene Formen von Glaukomerkrankungen. Bei diesen Erkrankungen ist dieses Datenkabel gestört und im schlimmsten Fall zerstört. Dann funktionieren zwar die Augen noch und das Gehirn, aber es ist kein Austausch mehr da. Und das ist das Glaukom, also eine Störung der Sehnerven, der Verbindung zwischen Augen und Gehirn.
50 Prozent der Glaukome bleiben unerkannt
SWR Kultur Impuls: Wieso ist es so wichtig, Glaukomerkrankungen möglichst früh zu erkennen?
Norbert Pfeiffer: Es ist so, dass die Glaukomerkrankungen am Anfang fast alle ganz schleichend sind und man das nicht merkt. Man hat keine Schmerzen, kein rotes Auge. Und die Mitte der Netzhaut, in der unsere Sehschärfe liegt, ist tückischerweise ganz zum Schluss erst betroffen, sodass diese Erkrankung langsam, aber sicher fortschreitet und ganz viele Sehnervenfasern verloren werden.
Wenn man noch eine gute Sehschärfe hat, ist man sich eigentlich sicher, dass alles in Ordnung sei. Mit einem normalen Sehtest kann man das gar nicht aufdecken, sondern man muss danach suchen. Man muss den Sehnerv untersuchen.
Da bei den meisten Erkrankungen aus der Glaukom-Gruppe auch der Augeninnendruck erhöht ist, ist es wichtig, auch den Augeninnendruck zu messen. Das reicht übrigens nicht alleine aus, sondern man muss unbedingt auch die Sehnerven untersuchen, um das Glaukom zu entdecken.
Dann müssen wir uns sagen: In Deutschland funktioniert das nur so mäßig gut. Nur rund 50 Prozent der Menschen, die ein Glaukom haben, wissen, dass sie es haben, und 50 Prozent sind bisher unentdeckt.
Studie zeigt: Bessere Früherkennung von Glaukom nötig
SWR Kultur Impuls: Das heißt, man muss irgendwie daran arbeiten, dass die Früherkennung besser funktioniert.
Norbert Pfeiffer: Das ist ganz genau so. Wir haben eine große Bevölkerungsstudie in Mainz gemacht, an über 17.000 Menschen. Da haben wir herausgefunden, dass von allen, die ein Glaukom hatten, nur die Hälfte schon in Behandlung war. Die Hälfte hat es gar nicht gewusst. Übrigens, Frauen sind ein bisschen häufiger davon betroffen, zu 60 Prozent sogar. Man weiß nicht genau, warum das so ist.
Glaukom ist gut behandelbar
Norbert Pfeiffer: Beim Glaukom ist es so: Man kann es eigentlich gut behandeln, aber dazu muss man es erkennen. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. So könnte man sagen. Wenn man es aber nicht erkennt, dann schreitet die Erkrankung langsam und unaufhaltsam fort bis hin zu einer möglichen Erblindung. Deshalb ist die Früherkennung so extrem wichtig.
Neuer Schnelltest: Grünen Star über Tränen nachweisen
SWR Kultur Impuls: Jetzt gibt es aber, wie es heißt, einen Durchbruch bei der Früherkennung, an dem auch Sie von der Uni-Medizin Mainz beteiligt sind. Ein Schnelltest, so ähnlich wie ein Corona-Test, soll Grünen Star erkennen. Wie funktioniert das? Muss ich mir dafür ein Stäbchen ins Auge reiben?
Norbert Pfeiffer: Ja, es wird so ähnlich werden. Man muss aber nicht reiben, sondern nur ein kleines bisschen Tränenflüssigkeit abnehmen. Das kann zum Beispiel ein Augenarzt machen, und das sieht etwa so aus wie ein Corona-Schnelltest. So ähnlich kann man sich das vorstellen.
Also wir haben schon über viele Jahre die Untersuchung dafür gemacht und feststellen können, dass, wenn man ein Glaukom hat, sich Eiweißveränderungen, ganz spezifische Eiweißstoffe, sogenannte Antikörper im Körper finden, obwohl es nur den Sehnerv betrifft.
Die kann man in besonders guter Weise in der Tränenflüssigkeit nachweisen. Und jetzt arbeiten wir im Moment gerade daran, das so aufzubereiten, dass man dafür nicht ganz große Maschinen braucht und dass es nicht Tage dauert, sondern das in einem Schnelltest geht. Damit sind wir jetzt schon recht weit gekommen.
Weitere Forschung zum Glaukom-Schnelltest notwendig
Norbert Pfeiffer: Es sind noch Tests notwendig. Das können Sie also noch nicht heute kaufen. Aber die Idee ist, dass wir das in zwei, drei Jahren hinbekommen können, sodass man dann einen solchen Schnelltest anwenden kann. Wie das genau gemacht wird, muss man dann sehen. Ob man es vielleicht auch selber machen kann oder einem der Partner dabei helfen kann, ein bisschen Tränenflüssigkeit zu gewinnen.
Dann wird es einen Umschlag geben, so wie das auch beim Corona-Test ist. Man weiß: "Aha, ich bin ein gefährdeter Patient, oder ich habe tatsächlich Glaukom. Ich muss auf jeden Fall zum Augenarzt gehen, muss das genau untersuchen lassen."
Nach dem Schnelltest zum Augenarzt zur Glaukom-Abklärung
SWR Kultur Impuls: Und was wäre dann die Konsequenz bei einem positiven Test? Gehe ich dann zum Augenarzt und lasse es noch mal genau untersuchen?
Norbert Pfeiffer: Unbedingt, jeder Test, den man macht, hat auch mal sogenannte falsch-positive Befunde - zeigt also was an, wo gar keine Erkrankung ist. Das muss dann vom Augenarzt bestätigt werden. Und vor allem muss auch die Behandlung eingeleitet werden. Das kann nur der Augenarzt. Deshalb ist die Bestätigung und dann auch die in der Regel notwendige Behandlung durch den Augenarzt notwendig.
Das geschieht meistens mit Augentropfen, manchmal mit Laser und selten auch mit einer Operation. Aber das Entscheidende ist, die Gefährdeten unter den Erkrankten zu identifizieren. Denn die meiste Sehkraft wird verloren in der Zeit, bevor die Erkrankung überhaupt festgestellt wird.
Kurzsichtigkeit erhöht das Risiko für Grünen Star
SWR Kultur Impuls: Wer ist denn eigentlich besonders fährdet, einen Grünen Star zu bekommen? Kann man das sagen?
Norbert Pfeiffer: Einerseits sind es einfach die Verwandten von Glaukom-Erkrankten. Haben Vater oder Mutter oder Geschwister ein Glaukom, dann habe ich selber ein etwa fünf- bis sechsmal erhöhtes Risiko, ein Glaukom zu bekommen. Er ist eine gewisse erbliche Komponente mit dabei.
Dann sind es alle Menschen, die kurzsichtig sind. Ich bin auch so einer. Ich sehe auf die Nähe ohne Brille scharf und in die Ferne unscharf. Wer das hat, ist kurzsichtig, und der hat ein erhöhtes Risiko dafür.
Tatsächlich kommt dann noch etwas anders dazu: Wenn man Augen mit Cortison behandelt. Das geschieht manchmal bei Entzündungen oder auch gelegentlich bei roten Augen. Das wirkt eigentlich gut. Es kann aber langfristig den Augeninnendruck erhöhen. Das sind so die wichtigsten Risikofaktoren, die man selber kennen kann.
Und dann ist noch ein ganz wichtiger Punkt: Die Gefahr eines Glaukoms nimmt mit dem Alter zu. Es kommt vor dem vierzigsten Lebensjahr nur sehr selten vor, und dann steigt die Wahrscheinlichkeit aber sehr steil an. Und bei den 80-Jährigen - und heute werden Menschen leicht über 80 Jahre - sind schon zwischen zehn und 20 Prozent der Menschen betroffen. Das ist also eine der Erkrankungen, die im Alter am allermeisten zunimmt.
KI kann Augenärzte bei Glaukom unterstützen
SWR Kultur Impuls: Welche anderen Forschungsansätze gibt es denn noch, um den Grünen Star zu erkennen?
Ganz wichtig ist, dass die Beurteilung des Sehnervs gar nicht so einfach ist. Die Sehnerven sind nämlich so individuell wie Fingerabdrücke. Also es gibt acht Milliarden Menschen, also 16 Milliarden verschiedene Sehnerven.
Solche, die an Glaukom erkrankt sind, haben schon ganz bestimmte Charakteristika, die erkennt der Augenarzt. Aber in der Frühphase kann das manchmal schwierig sein, das genau zu wissen. Da hilft uns, wie wir jetzt merken, künstliche Intelligenz.
SWR Kultur Impuls: Wie hilft ihnen die KI denn?
Die künstliche Intelligenz nutzen wir, um aus ganz vielen Menschen und Bildern vom Augenhintergrund bei Patienten, die Glaukom haben, aber auch bei Gesunden zu lernen. Was sind die Merkmale für "gesund"? Und was sind die Merkmale für "erkrankt"? Und das kann Künstliche Intelligenz aus ganz, ganz vielen Tausenden und Zehntausenden und gar Hunderttausenden von Bildern herausfiltern und dadurch noch mal genauer werden, als wir das als Menschen tatsächlich können.
Das unterstützt insbesondere in Situationen, wo eine Erkrankung noch zweifelhaft ist oder ganz früh ist oder besondere Veränderungen vom Sehnerv vorliegen, die die Beurteilung schwer machen. Zum Beispiel bei Kurzsichtigkeit ist das gar nicht so leicht zu sagen. Wir nutzen die Lernfähigkeit von Maschinen, um den Augenarzt zu unterstützen.