Grüner Star kann zur Erblindung führen.

Medizin

"Der Dieb des Sehens" - Neue Therapien gegen den Grünen Star

Stand
INTERVIEW
Prof. Hagen Thieme, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Augenheilkunde
ONLINEFASSUNG
Ralf Kölbel

In Deutschland haben etwa eine Million Menschen Grünen Star, rund eintausend Menschen erblinden jedes Jahr deswegen. Welche neuen Diagnose- und Therapiemethoden gibt es?

Wenn Sie eine Brille tragen, dann kennen Sie vielleicht vom Besuch beim Augenarzt oder der Augenärztin dieses Gerät, das einem kurz ins Auge pustet und so den Augeninnendruck misst. Die Messung ist Teil der Vorsorge gegen Grünen Star. Der Fachbegriff dafür ist Glaukom und er ist nicht zu verwechseln mit dem Grauen Star, bei dem sich die Linse eintrübt, die jedoch ersetzt werden kann.

Beim Grünen Star wird der Sehnerv geschädigt, die Nervenfasern sterben ab, und im schlimmsten Fall kann man erblinden. Bei der Konferenz der Deutschen ophthalmologischen Gesellschaft DOG (Augenheilkunde) treffen sich derzeit Fachleute und diskutieren neue Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten. SWR2 Impuls hat mit Professor Hagen Thieme, dem Präsidenten der Gesellschaft, gesprochen.

Grüner Star kann zur Erblindung führen. Menschen ab 50 sollten daher nach Möglichkeit regelmäßig ihren Augeninnendruck kontrollieren lassen.
Grüner Star kann zur Erblindung führen. Menschen ab 50 sollten daher nach Möglichkeit regelmäßig ihren Augeninnendruck kontrollieren lassen.

Wie behandelt man Grünen Star bislang standardmäßig?

Der Standard für die Behandlung des Grünen Stars besteht in einer medikamentösen Senkung des Augeninnendrucks. In der Regel sind das Augentropfen, die die Patienten regelmäßig nehmen müssen. Der Augeninnendruck wird vom Augenarzt oder der Augenärztin kontrolliert. Das tun die meistens in den Praxen mit diesem Luft-Pustegerät, um herauszufinden, wie hoch der Augeninnendruck ist.

Ältere Patienten kriegen häufiger Glaukome. Das heißt, wir haben es mit einer altersbedingten Augenerkrankung zu tun, die zur Erblindung führen kann. Und deshalb ist das Screening, also die Vorsorge für die Glaukom-Patienten, extrem wichtig. Man erkennt sie an hohem Augendruck, Veränderungen am Sehnerv und auch Veränderungen im Gesichtsfeld.

Glaukome lassen sich an einem erhöhtem Augeninnendruck, Veränderungen des Gesichtsfeldes und Veränderungen des Sehnervs erkennen.
Glaukome lassen sich an einem erhöhtem Augeninnendruck, Veränderungen des Gesichtsfeldes und Veränderungen des Sehnervs erkennen.

Gibt es neue Operationsmöglichkeiten, wie zum Beispiel minimalinvasive Operationen?

Ja, man hat früher mal gedacht, man kann den Grünen Star nicht operieren. Und wir haben heute eine ganz große Anzahl von Augen-Operationen, die den Grünen Star behandeln können. Viele dieser Operationen verfolgen wie die Tropfen das Ziel, den Augeninnendruck zu senken, wenn Patienten die Tropfen nicht mehr nehmen können. Wenn das Gesichtsfeld trotz Tropfen zum Beispiel schlechter wird oder der Sehnerv schlechter wird, sind das auch Argumente, Richtung Operation zu gehen.

In den letzten Jahren wurden neue Technologien entwickelt, wie beispielsweise Stents – das sind kleine Röhrchen, die in das Auge eingepflanzt werden und den Augeninnendruck dann nach außen ableiten. Die lassen sich relativ einfach implantieren. Man muss aber auch hier ein bisschen Obacht geben. Das ist auch etwas, was vom Chirurgen gut beherrscht werden muss. Und auch diese kleinen Röhrchen können Nebenwirkungen haben, sprich Komplikationen, und sie sind auch nicht für alle Patienten geeignet.

Animation eines Stents zum Senken des Augeninnendrucks.
Animation eines Stents zum Senken des Augeninnendrucks. Überschüssiges Augenwasser wird hier durch ein kleines implantiertes Röhrchen unter die Bindehaut abgeleitet.

In der Summe muss man ganz klar sagen, dass man Patienten und Patientinnen sehr deutlich aufklären muss, wenn man ihren Grünen Star mittels minimalinvasiver Chirurgie behandeln will. Nicht jede Patientengruppe ist für diese Stents wirklich gut geeignet. Das ist eine Sache, die natürlich mit der Augenärztin oder dem Augenarzt zu besprechen ist.

Welche Faktoren sprechen gegen die Einsetzung solcher kleiner Röhrchen ins Auge?

Zum Beispiel wenn der Augenraum, wo diese Röhrchen hineingepflanzt werden, der sogenannte Kammerwinkel, sehr eng ist, dann sollte man solche Stents auf keinen Fall implantieren.

Wie funktioniert so ein ins Auge eingesetzter Stent? Wie wird damit der Augeninnendruck reguliert?

Die meisten denken, dass es irgendetwas mit der Tränenflüssigkeit zu tun hat. Das ist aber nicht richtig. Der Augeninnendruck wird bestimmt durch ein Wasser, das im Auge selbst gebildet wird und über kleine Röhrchen abgeleitet wird.

Das fließt dann nach hinten in die Augenhöhle. Mit der Tränenflüssigkeit hat das nichts zu tun. Das sind also zwei Paar Schuhe. Und in diesen Flüssigkeitskreislauf im Inneren des Auges wird über diese Version der Operation eingegriffen, ein kleines Röhrchen implantiert und dann das Kammerwasser, so nennt man diese Flüssigkeit, unter die Bindehaut abgeleitet. Dadurch wird die Drucksenkung erzielt.

Ministent für Glaukom-Operationen auf einer Fingerkuppe
Mit einem operativ eingebrachten Ministent (hier ein Ministent auf einer Fingerkuppe) lässt sich der Augeninnendruck regulieren.

Es gibt auch ein neues Messverfahren mittels eines Chips, der in das Auge implantiert wird. Wie funktioniert das?

Wenn man eine Kataraktoperation durchführt, wird ein Fremdkörper in das Auge eingebracht, eine sogenannte Kunstlinse. Und der Platz, der da frei wird vor der Linse, der sogenannte Sulcus, eignet sich dafür, dort einen ringförmigen Chip zu implantieren. Dieser Chip misst den Augeninnendruck und gibt ihn an ein Lesegerät nach draußen.

Dieser Chip ist sehr fein und flach und die Ströme, die man braucht, um diesen Augeninnendruck zu messen, werden quasi per Induktion für den Moment, wo die Messung stattfinden soll, von außen nach innen hinein gegeben. Der Chip misst dann und gibt das Signal nach außen. Danach ist er quasi elektronisch tot, also er meldet sich nur, wenn er von außen angeregt wird zu messen und dieses Signal wird dann nach draußen gegeben. Das ermöglicht den Patienten, selbst den Augeninnendruck zu messen und so häufig zu messen wie sie wollen. Sie können auch selber überprüfen, ob das neue Medikament, was der Augenarzt verschrieben hat, funktioniert und viele Dinge mehr.

Es ist jetzt noch nicht eine Technik, die flächendeckend eingesetzt werden kann. Wir waren an einer Studie in Magdeburg und vielen anderen Studienzentren beteiligt. Es haben 23 Patienten im Rahmen dieser Studie diesen Chip im Auge implantiert bekommen und ihn sehr gut vertragen. Und das sind Patienten, die dann ganz fleißig messen und diese Messwerte quasi dem Augenarzt oder der Augenärztin zur Verfügung stellen.

Ein ins Auge implantierter Chip könnte regelmäßige Daten über den Augeninnendruck liefern. (Symbolfoto)
Ein ins Auge implantierter Chip könnte regelmäßige Daten über den Augeninnendruck liefern. (Symbolfoto)

Kritiker sagen, die Früherkennung ohne Symptome durch die klassische Augeninnendruckmessung würde nicht viel bringen und sie wird auch von den Krankenkassen nicht bezahlt. Was sagen Sie dazu?

Man muss natürlich schauen, wie das Gesundheitswesen insgesamt finanzierbar bleibt. Das ist schon ganz richtig, dass man schaut, was sinnvoll ist und was nicht. Für den Grünen Star ist aber ganz klar bewiesen, dass der hohe Augeninnendruck ein Risikofaktor für den Beginn und das Fortschreiten dieser Erkrankung ist. Der Augeninnendruck liegt normalerweise zwischen 15 und 21 Millimetern Quecksilbersäule, und Patienten bemerken es nicht, wenn er zum Beispiel einen Wert von 27 oder 28 hat.

Das kann für Glaukom-Patienten schon deutlich zu hoch sein, doch das merkt der Patient nicht. Man muss im Grunde messen, um ihn darüber aufzuklären, wie sein Augeninnendruck wirklich ist. Von daher halte ich die Screening-Untersuchung zum Glaukom für absolut notwendig.

Modell eines Auges
Beim Grünen Star wird der Sehnerv geschädigt, die Nervenfasern sterben ab. Im schlimmsten Fall kann man erblinden.

Und da wir wissen, dass es eine altersbedingte Erkrankung ist, sollte man mit 50 bis 55 Jahren so langsam damit anfangen, mal beim Augenarzt vorbeizukommen und den Check machen zu lassen. Es ist ja nicht nur der Augeninnendruck. Der Augenarzt guckt ja auch den Sehnerv an und kann das Gesichtsfeld beurteilen. Und das ist sicher ganz wichtig.

Denn wenn man das nicht tut, die Patienten nicht frühzeitig erkennt, gehen diese unbemerkt in die Erblindung rein. Auch die Gesichtsfeld-Defekte werden von den Patienten am Anfang überhaupt nicht bemerkt. Das ist das Brutale da dran. Man nennt das Glaukom auch den "Dieb des Sehens". Also wird einem was geklaut, ohne dass man es mitkriegt.

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Ralf Kölbel