Modellorganismen

Mehr als ein Unkraut: Arabidopsis thaliana

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Autor/in
David Beck
Bild von David Beck, Reporter und Redakteur SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR Kultur Impuls.
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Leila Boucheligua

Der am häufigsten eingesetzte Modellorganismus für Pflanzen wird außerhalb der Wissenschaft als Unkraut angesehen: die Ackerschmalwand oder wissenschaftlich Arabidopsis thaliana.

Der vierte Stock im Kreuzbau des Instituts für Biologie II/III der Universität Freiburg. Im Labor von Thomas Laux, Professor für Pflanzengenetik und Biotechnologie, wächst sie zu hunderttausenden: Arabidopsis thaliana. Sie gilt als der Modellorganismus für Pflanzen. Vieles was man heute über Pflanzen weiß, wurde an Arabidopsis erforscht.

Eine unscheinbare Pflanze mit großer Bedeutung für die Wissenschaft

Ihr Aussehen ist unscheinbar. Knapp über dem Boden einige kreisförmig angeordnete Blätter, dann ein dünner, fast kahler Stängel mit ein bis zwei Zentimeter langen, dünnen, grünen Schoten und am oberen Ende die nur wenige Millimeter großen, weißen Blüten.

Insgesamt ist die Ackerschmalwand höchstens 60 Zentimeter hoch, die Sorte in Thomas Laux‘ Labor etwa 30 bis 40 Zentimeter. Das sollte aber nicht über ihre Bedeutung als Modellorganismus hinwegtäuschen.

In Arabidopsis lassen sich gut neue Gene einbringen und vorhandene ausschalten

"In der Wissenschaft, in der Biologie wollen wir ja ganz oft wissen, wie regulieren die Gene bestimmte Vorgänge. Zum Beispiel, Antwort auf Umweltstress oder Entwicklung, es geht also ganz oft um die Gene. Und hier haben die Modellorganismen sehr ähnliche Vorteile. Sie haben ein relativ kleines Genom.", erklärt Laux. Arabidopsis hat nur etwa halb so viele Gene wie zum Beispiel Mais und ein Viertel so viele Chromosomen. Das macht die Arbeit an ihrem Genom einfacher. 

Mittlerweile haben sich viele Standardmethoden in der Forschung mit Arabidopsis etabliert. Man kann etwa neue Gene in die Pflanze einbringen oder vorhandene Gene ausschalten. Und mit modernen Methoden lässt sich die gesamte genetische Aktivität von einzelnen Zellen beobachten. 

Weiße Blüten von Arabidopsis thaliana, tags:
Die weißen Blüten von Arabidopsis vergrößert.

Durch ihre Beliebtheit in der Forschung gibt es zu Arabidopsis auch einen regen Austausch unter Wissenschaftlern, die damit arbeiten. Das macht die Arbeit einzelner Arbeitsgruppen auch wieder einfacher, wie Laux aufzeigt:

"Ich habe vor 20 Jahren angefangen, Mutanten zu suchen in Screens, die sich über Jahre sich hingezogen haben. Heute ist es so: Wenn wir ein bestimmtes Gen entdecken, dann können wir die Mutante relativ einfach im Internet bestellen, in denen dieses Gen mutiert ist."

In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Verlustmutanten, bei denen das betroffene Gen kein Protein mehr herstellen kann, erklärt Laux weiter.

So könne man dann relativ leicht untersuchen, wozu dieses Protein notwendig gewesen ist, indem man schaut, welche Prozesse in der Mutante nicht funktionieren. In etwa so, als würde man einen Lichtschalter ausschalten, um zu überprüfen, zu welcher Lampe er gehört. 

Das Gen "WUSCHEL"

Schon vor langer Zeit haben Thomas Laux und sein Team ein Gen entdeckt, das WUSCHEL heißt. Das Protein, das aus diesem Gen entsteht, sorgt dafür, dass der Spross der Pflanzen in die Höhe wächst. Pflanzen, in denen das WUSCHEL-Gen nicht mehr funktioniert, können dementsprechend nicht mehr in die Höhe wachsen.

Der Name war, wie Thomas Laux erklärt, eine Idee seines Doktoranden, der das Gen entdeckt hat:

"Pflanzen, bei denen dieses Gen mutiert ist, produzieren mehrere Blätter, aber keinen Spross. Und weil diese Blätter so aussehen wie ein Wuschelkopf, hat mein Doktorand gesagt, lass uns das doch `Wuschel´ nennen und dann war der Name geschaffen."

Arabidopsis thaliana wächst nahe einer Mauer, tags:
Die Ackerschmalwand gilt als Unkraut, das auch unter widrigen Bedingungen wächst – optimal für die wissenschaftliche Kultivierung im Labor.

Thomas Laux und seine Kollegen entdeckten, dass WUSCHEL zu einer ganzen Genfamilie gehört und vermuteten, dass auch die anderen Gene dieser Familie ähnliche Funktionen erfüllen könnten:

"Da haben wir uns dann die Mutanten bestellt im Internet und gesehen, dass das eine ganz wichtige Genfamilie ist. Wir haben zwei weitere Gene gefunden, die die Stammzellen in der Wurzel und für das Dickenwachstum regulieren. Hätten wir für all diese Gene selber die Mutanten herstellen müssen, dann wären wir heute noch nicht so weit."

Arabidopsis lässt sich leicht kultivieren und wächst schnell

Ergebnisse aus der Forschung an Modellorganismen sind im besten Fall auch auf andere Arten übertragbar, für die sie Modell stehen, erklärt Thomas Laux:

"Wir haben bei den Genen, mit denen wir arbeiten, gesehen, dass diese Regulatoren von Stammzellentwicklung mehr oder weniger immer die gleichen sind. Nicht nur innerhalb der Familie der Kreuzblütler, sondern insgesamt im Bereich der Samenpflanzen. Es gibt immer kleine Unterschiede, aber die wichtigen Schlüsselfaktoren scheinen sehr stark konserviert zu sein innerhalb des Pflanzenreichs. Da können wir dann viel von dem Wissen mitnehmen in andere Pflanzenspezies."

Ein weiterer Vorteil von Arabidopsis ist, dass sich die Pflanze einfach im Labor kultivieren lässt. Das liegt an der Strategie, die sie in der Natur verfolgt. Einerseits wächst sie dort, wo nichts anderes wächst, Risse im Asphalt, an Steinwänden, wo sie relativ anspruchslos sein muss.

Andererseits wächst sie dort, wo noch nichts anderes wächst, etwa auf einem frisch gepflügten Feld. Um ihrer Konkurrenz mit fertigen Samen zuvorzukommen, muss sie schnell wachsen. Anspruchslos und schnell, beides große Vorteile im Labor. Bei genetischen Experimenten mit Bäumen, kann es zehn Jahre dauern, um mit der nächsten Generation arbeiten zu können, bei Arabidopsis sind es sechs Wochen, sagt Laux.

Arabidopsis thaliana Kulturen im Labor, tags: Wissenschaft Arabidopsis Ackerschmalwand
Arabidopsis ist auch deshalb ein so beliebter Modellorganismus, weil sie schnell wächst.

In einem Forscherleben werden Millionen von Arabidopsis-Pflanzen kultiviert

In einem Raum im Keller der Biologie II/III stehen in großen Regalen kistenweise kleine Töpchen mit Arabidopsis-Pflänzchen in verschiedenen Stadien, von kleinen Sprößlingen bis hin zu den – nicht viel größeren – blühenden Pflanzen.

Es sind hunderte Kisten mit tausenden Töpfchen und zehntausenden Pflanzen pro Generation die hier wachsen, schätzt Thomas Laux, hunderttausende im Jahr und viele Millionen in einem Forscherleben. 

Allein an diesen Zahlen sieht man, dass Arabidopsis einen großen, wenn auch etwas ungewöhnlichen evolutionären Vorteil hat: Sie lässt sich gut erforschen. Und dieser Vorteil wird ihr vielleicht auch zu einem Sprung verhelfen, den bisher noch keine Pflanze geschafft hat: nämlich auf einen anderen Himmelskörper. 

Astronaut auf einer Raumstation experimentiert mit Arabidopsis Pflanze, tags: Wissenschaft Arabidopsis Ackerschmalwand
Arabidopsis war auch schon im Weltall und auf dem Mond. Hier arbeitet der Astronaut der Vereinigten Arabischen Emirate Sultan Al Neyadi mit der Pflanze an Experimenten für die zukünftige Nahrungsversogung auf Flügen ins All.

Arabidopsis wächst auch auf auf Mondgestein

Denn Arabidopsis ist auch eine der im Weltall am meisten erforschten Pflanzen. Die NASA konnte zeigen, dass sie sogar in Mondgestein wächst. Wenn auch solche Ergebnisse auf andere Pflanzen übertragbar sind, dann vielleicht auch auf Nutzpflanzen, die Nahrungsmittel für eine Mondkolonie liefern könnten. 

Und so ist Arabidopsis thaliana nicht nur ein Unkraut, Forschungsobjekt und Modellorganismus – sondern vielleicht auch eine Wegbereiterin für ein Abenteuer ins All. 

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