Die hohen weltweiten Fallzahlen von Mpox (früher Affenpocken genannt) sind im Mai 2022 ungewöhnlich. Plötzlich werden weltweit 91.000 Infektionen und 157 Todesfälle gemeldet. Normalerweise führt das Virus nur in Zentral- und Westafrika zu regelmäßigen, kleineren Ausbrüchen. Was ist also 2022 passiert? Eine Analyse eines internationalen Forschungsteams kommt nun zu einem erstaunlichen Ergebnis. Der eigentliche Ausbruch hat schon viel früher begonnen und die Affenpocken kursieren schon viel länger im Menschen, als bislang angenommen.
Ungewöhnlich viele Mutationen
Warum hat sich das Virus plötzlich so schnell verändert? Angesichts der hohen Fallzahlen von Mpox wird die Frage unter Fachleuten viel diskutiert. Eigentlich gilt das Erbgut des Erregers als sehr stabil. Und dennoch haben Forschungsteams ganze 42 Mutationen entdeckt - ungewöhnlich viele.
Der Biophysiker Richard Neher von der Universität Basel hat zusammen mit einem internationalen Forschungsteam die Virusvariante des aktuellen Ausbruchs genauer untersucht. Normalerweise leben die Viren vor allem in Nagetieren, aber ebenfalls Affen können sich anstecken - daher der ursprüngliche Name "Affenpocken". Und auch Menschen können sich infizieren.
Enzym bringt Forschende auf neue Theorie
Aber das eigentliche Zuhause der Viren sind die Nagetiere – das war lange Zeit die gängige Vermutung. Hat sich also Anfang 2022 ein Mensch mit dem stark veränderten Virus von einem Nagetier angesteckt? Oder hat sich das Virus Anfang 2022 plötzlich sehr schnell auf den Menschen angepasst? Das ist beides eher unwahrscheinlich. Ein genauer Blick auf die 42 Mutationen im Erbgut des Virus liefert wichtige Hinweise, sagt Biophysiker Richard Neher: "Was auffallend war, dass ein Großteil der Mutationen immer dort passiert, wenn zwei Nukleotide aufeinanderfolgen.”
Heißt: An zwei aufeinanderfolgenden Stellen, also Nukleotiden, hat sich das Erbgut verändert und zwar immer nach dem gleichen Muster. Und dieses Muster kommt dem Forschungsteam sehr bekannt vor. Schnell ist klar: Die Virusvariante ist wahrscheinlich in Menschen entstanden – durch ein Enzym des menschlichen Immunsystems, nämlich durch das APOPEC3-Enzym. Das Enzym soll eigentlich Viren zerstören.
Doch manchmal überleben Viren die Enzym-Attacke und dann bleiben diese typischen Mutationen zurück, die so nur im Menschen entstehen können. Das ist, so Neher, "ein Merkmal von diesen Enzymen des menschlichen Immunsystems.”
Virus kursiert schon seit Jahren im Menschen
Das Forschungsteam schätzt, dass pro Jahr maximal sechs solcher Verändererungen im Erbgut entstehen. Die neue Virusvariante hat aber 42 Mutationen. Das heißt, die Virusvariante muss sich schon Jahre im Menschen befinden. Aus den evolutionären Mustern, so Neher, lasse sich ablesen, dass sich vor circa sechs, sieben Jahren, also ungefähr 2016 die Mutationsmuster des Virus verändert haben.
Der Ausbruch hat also nicht erst 2022 begonnen, sondern wahrscheinlich schon im Jahr 2016. Warum konnte sich das Virus dann 2022 so schnell ausbreiten?
Vermehrtes Reisen nach Corona und enger Körperkontakt erhöhen Infektionswahrscheinlichkeit
Richard Neher sieht die vielen Reisen nach der Corona-Zeit als ein Grund und weil das Virus sich unter homosexuellen Männern besonders stark verbreiten konnte – durch engen körperlichen Kontakt.
Das Virus kann sich aber auch in allen Gruppen ausbreiten – auch bei Kindern. Noch ist unklar, ob die Virusvariante auch ansteckender ist als vorherige Varianten. Diese Recherche ist viel komplexer zum Beispiel als bei Corona, auch weil das Erbgut viel länger ist. Doch lässt sich das Virus anders als bei Corona wieder ganz verdrängen?
Vor allem weil die Virusvariante wahrscheinlich schon seit 2016 existiert, ist das Virus weiter verstreut und verbreitet als bisher gedacht. Die Variante kann seit Jahren in Menschen überleben und das Virus hat in den Menschen als Wirt ein neues Zuhause gefunden. Viel Aufklärung über die Symptome und Isolationen haben aber wohl dafür gesorgt, dass sich das Virus seit einem Jahr deutlich langsamer ausbreitet.