Die "Chaostheorie" ist, anders als man meinen könnte, keine Theorie vom Chaos. Theorie und Chaos sind im Grunde ein Widerspruch in sich. Chaos ist ein Zustand, der keinen erkennbaren Regeln folgt, in dem sich kein Muster erkennen lässt. Könnte man diesen Zustand mit einer Theorie beschreiben oder gar berechnen, wäre es kein Chaos mehr. Deshalb ist das totale Chaos für die "Chaosforschung" eigentlich uninteressant – sie interessiert sich vielmehr für die Ordnung im vermeintlichen Chaos oder für den Übergang von Ordnung zu Chaos.
Beispiel tropfender Wasserhahn
Ein Beispiel ist der tropfende Wasserhahn: Wenn er tropft, dann tropft er meist im Takt; zwischen zwei Tropfen vergeht immer gleich viel Zeit. Wir können nun den Wasserhahn immer ein kleines Stückchen aufdrehen. Dann wird der Abstand zwischen zwei Tropfen schneller, wobei manchmal, wenn man genau hinguckt, die Tropfen dabei gelegentlich auch aus dem Takt geraten.
Wenn man noch weiter aufdreht, geht das Tropfen in einen geordneten Wasserstrahl über – mit geordnet meine ich, dass der Strahl eine klar erkennbare Form hat. Von außen betrachtet wirkt er glasig-transparent. Wenn man weiter aufdreht, wird er plötzlich turbulent und unberechenbar. Manchmal wechselt der Wasserstrahl aber auch zwischen mehreren Zuständen hin und her. Zum Beispiel, dass in unregelmäßigen Abständen plötzlich noch ein Seitenspritzer rauskommt, der dann eine Sekunde später wieder verschwindet. Das heißt, auch wenn der Wasserstrahl scheinbar ungeordnet-chaotisch ist, gibt es stabile Zwischenzustände, zwischen denen er hin- und herwechselt.
Genau für solche Phänomene interessiert sich die Chaosforschung: Wann und wie gehen Prozesse von einem geordneten in einen ungeordneten Zustand über? Und mithilfe der Mathematik versucht man dann, immer wiederkehrende Muster im Chaos zu erkennen und zu beschreiben.
Beispiel Wetter
Wir wissen, das Wetter lässt sich nicht länger als drei Tage voraussagen, weil sich da so viele Faktoren gegenseitig beeinflussen, dass das Wetter als ein chaotisches System angesehen werden kann. Aber wir wissen auch, dass es in jeder Region bestimmte typische stabile Wetterlagen gibt, die immer wiederkommen. Das kann man mathematisch beschreiben; dann findet man eben doch eine Ordnung im Chaos. Ein wichtiges Merkmal chaotischer Prozesse ist, dass kleine Veränderungen in den Ausgangsbedingungen zu völlig unterschiedlichen Endbedingungen führen können.
Ist das dieser berühmte Schmetterlingseffekt – dass der Flügelschlag eines Schmetterlings in Australien das Wetter bei uns verändern kann?
Von der Idee her ja. In der ursprünglichen Formulierung war es übrigens ein Schmetterling in Brasilien, der einen Wirbelsturm in Texas auslöst. Man muss sich nur klar sein, dass das immer nur ein Bild war, um einen Gedanken zu veranschaulichen.
Begriff "Chaostheorie" in der Wissenschaft eher unüblich
Es wäre aber völlig falsch zu sagen: "Die Chaosforschung besagt, dass ein Schmetterling das Wetter auf der anderen Seite der Erde beeinflussen kann." Das war immer nur eine Metapher und nicht etwa die Kernbotschaft der Chaostheorie. Die gibt es so auch gar nicht – der Begriff Chaostheorie ist in der Wissenschaft eher unüblich. Denn es gibt nicht die eine Theorie, sondern es handelt sich bei der Chaosforschung eher um ein Sammelsurium verschiedener mathematischer Werkzeuge. Sie ist aber kein großartiges welterklärendes Theoriegebäude wie die Relativitäts- oder die Evolutionstheorie.