Wer Finanzprodukte bei Banken oder Versicherungen verkauft, bekommt für diese Arbeit in den allermeisten Fällen eine Provision. Kundinnen und Kunden bekommen davon nichts mit - und freuen sich, denn die kompetente Beratung war anscheinend kostenlos. Eine klassische Win-win-Situation. Oder etwa doch nicht?
Verbraucherschützer sind der Meinung: doch nicht. So zum Beispiel Dorothea Mohn, Leiterin Finanzmarkt beim Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Sie kritisiert, dass Beraterinnen und Berater im Provisionsvertrieb überteuerte und unpassende Produkte verkaufen können, die ihnen die meiste Provision einbringen. Zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher brauche es ein komplettes Provisionsverbot beim Verkauf von Finanzanlageprodukten, fordert Mohn.
Provisionen im Finanzbereich verbieten?
Dieses Verbot war schon im Gespräch - als Teil der Europäischen Kleinanlegerstrategie, die aktuell überarbeitet wird. Mit den darin enthaltenen Maßnahmen will die Europäische Union es Verbrauchern schmackhaft und einfacher machen, Geld anzulegen. Doch erst kippte das komplette Provisionsverbot, dann ein partielles.
Doch die Finanzwirtschaft argumentiert damit, dass bei Geldanlagen und Versicherungsprodukten schon jetzt strenge Vorschriften gelten, die eine einseitige Beratung unterbinden sollen. So darf etwa die Vergütung nicht dazu führen, dass einem Kunden ein bestimmtes Versicherungsprodukt oder Finanzprodukt empfohlen wird, obwohl ein anderes, besser passendes angeboten werden könnte. Der Finanzberater darf also bei der Vermittlung einer Geldanlage nicht sein eigenes Interesse - eine möglichst hohe Provision - vor das des Privatanlegers, die beste Finanzanlage zu finden, stellen.
Finanzberater mit Vermittlungsprovision - Risiko für Verbraucher?
Für Mohn steht fest, dass Provisionen die Qualität der Vermittlung von Finanzprodukten negativ für Verbraucher beeinflussen können. "Verbraucherinnen und Verbraucher wünschen sich eine unabhängige Beratung, die ohne finanzielles Einzelinteresse der Berater auskommt“, so Mohns Beobachtung.
Britta Langenberg ist Leiterin des Bereichs Verbraucherschutz bei der Bürgerbewegung Finanzwende. Für sie ist der Fehler bei den Vermittlungsprovisionen im System begründet, hier gebe es ein "ungutes Dreiecksverhältnis": Die Versicherer bezahlten ihre Vertriebsleute mit Abschlussprovisionen - und zwar dafür, dass diese Produkte verkaufen. Beide wollten Umsatz machen. Die Kunden hingegen suchten vor allem Beratung. Sie blieben allzu oft außen vor - und seien nur der zahlende Dritte.
Gerade in der Altersvorsorge kann es zu Interessenkonflikten bei der Auswahl der Geldanlage komme. Denn bei Vorsorgeprodukten wie Lebensversicherungen oder Rentenversicherungen geht es um viel Geld. Hier sei der Anreiz durch Abschlussprovisionen größer als zum Beispiel bei einer privaten Haftpflichtversicherung mit überschaubarem Beitrag, fasst Langenberg zusammen.
Unabhängige Finanzberatung: Was könnte Kleinanlegern helfen?
Laut Langenberg braucht der deutsche Markt mehr unabhängige Finanzberatung. Eine Honorarordnung, wie sie für Rechtsanwälte oder Steuerberater gilt, könnte die Bezahlung der Vermittlungsprovision regeln. Denn: "Es ist ja nicht so, als würden die Kunden heute nichts bezahlen. Sie merken es nur oft nicht, weil die Kosten in den Produkten stecken."
Dem pflichtet auch Hartmut Walz bei, Verhaltensökonom und Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen. Jeder Verbraucher sollte wissen, dass Bankberater ihre Deckungsbeiträge erwirtschaften müssten - deshalb gebe es die Tendenz, Verbrauchenden die teuersten Produkte zu verkaufen. Inklusive versteckter Kosten und Gebühren für die Geldanlage. Um die zu erkennen, gebe es die Kenngrößen "TER" ("Total Expense Ratio") und "OGC" ("Ongoing Charges"). Beides bezeichne die laufenden Kosten, die man Jahr für Jahr für Jahr mit dem Produkt hat, so Walz.
Pro Vermittlungsprovisionen: So argumentiert die Finanzwirtschaft
Als Alternative zum provisionsfinanzierten Vertrieb gibt es die Möglichkeit, sich bei der Geldanlage Hilfe bei einer Honorarberatung zu holen, etwa bei einer Honorar-Finanzanlagenberaterin oder einem Versicherungsberater. Dort wird ermittelt, welcher Anlagebedarf bzw. Versicherungsbedarf besteht, auch die passenden Finanzprodukte - von Aktie, über ETF bis Anleihe und Versicherung - werden herausgesucht.
Für Norman Wirth, Vorstand des Arbeitgeberverbands der finanzdienstleistenden Wirtschaft (AfW), Bundesverband Finanzdienstleistung, kein befriedigender Ersatz. Denn Kunden wollten eine Problemlösung, "also sozusagen Schmerz abgenommen bekommen", so Wirth. Die Beschäftigung mit Versicherungen und Finanzen sei für den Durchschnittsbürger eher nervig. Man wünsche sich stattdessen eine Vertrauensperson, die qualifiziert sei und am besten aus der ganzen Marktbreite Produktvorschläge unterbreiten könne. "Es geht nie darum, das Kleingedruckte bis ins letzte Wort erklärt zu bekommen, dafür zu bezahlen und dann vielleicht anderswo sich das empfohlene Produkt erst noch besorgen zu müssen", ist sich Wirth sicher.
Der AfW sei deshalb strikt gegen einen staatlichen oder europäischen Eingriff in Sachen Provision. Ein Verbot der Vermittlungsprovision, wie es etwa in Großbritannien vor elf Jahren eingeführt wurde, würde nicht zu einer verbesserten Versorgungslage der Kleinanleger führen, ganz im Gegenteil, so Wirth. Der größte Teil der britischen Bevölkerung müsse sich nunmehr ohne fachliche Beratung und ohne eigenes Fachwissen selbst um ihre Altersvorsorge und anderen Vermögensaufbau kümmern. Denn die Honorarberatungen seien teuer, die meisten Kleinanleger durch das Provisionsverbot von guter Finanzberatung faktisch abgehängt. Die entstehende "Beratungslücke" bei weiten Teilen der deutschen Bevölkerung wäre nach einem Verbot der Provision für Finanzprodukte immens, so die Annahme des Finanzdienstleisters.
Teure Finanzberatung? Oder transparente Finanzberatung?
Dem widerspricht das Team Finanzmarkt des vzbv in einer Analyse zu "europäischen Provisionsverboten und deutschen Fehldarstellungen". Sowohl das Beispiel aus Großbritannien als auch das Provisionsverbot in den Niederlanden würden keine Beratungslücke zeigen: Die vom britischen Finanzministerium in Kooperation mit der Finanzaufsicht durchgeführten Untersuchungen zeigten, dass es diesen Fall so gut wie nicht gebe. Von den 25 Prozent der Bevölkerung im Vereinigten Königreich, die potenziell Finanzberatung gebraucht hätten, sagten neun Prozent, sie wollten oder konnten sich keine Beratung leisten, fassen die Verbraucherschützenden zusammen. Dies bedeute, nur ungefähr zwei Prozent der Gesamtbevölkerung wollten oder konnten sich keine Beratung leisten.
Und laut einer Umfrage des Deutschen Instituts für Altersvorsorge (DIA) aus dem Jahr 2021 wären rund 40 Prozent der Befragten bereit, für eine qualitativ hochwertige Finanzberatung ein Honorar zu zahlen, ergänzt Dieter Rauch, Geschäftsführer des Verbunds Deutscher Honorarberater. Erführen Verbraucher die wahren Kosten der provisionsgetriebenen Beratung für Finanzprodukte, die eher ein Verkauf seien,seien sie mit überwältigender Mehrheit bereit, auch ein Honorar für eine transparente Beratungsdienstleistung zu bezahlen, so seine Beobachtung.
Kosten von Finanzberatung: Honorarberatung vs. Provisionsberatung
Aber wer kostet denn nun wirklich mehr? Der Honorarberater? Der provisionsfinanzierte Finanzberater? Für eine zugelassene Honorar-Finanzanlagenberaterin oder einen zugelassenen Honorar-Finanzanlagenberater gibt es keine bundesweit geltenden Regelsätze, daher ist die Kostenspanne groß. In der Regel wird ein Stundensatz zwischen 150 und 250 Euro genommen, teilweise geht es auch schon bei unter 100 Euro los.
Meist findet anfangs ein kostenloses Erstgespräch zur Finanzberatung statt - zwischen 30 und 60 Minuten - in dem festgelegt wird, wie viel Aufwand nötig ist. In dem Zuge wird auch ein konkretes Honorar vereinbart. Eine umfangreiche Finanzplanung dürfe nicht unter acht Stunden zu erreichen sein, während ein einfacher Depotcheck in ein bis zwei Stunden machbar sei, so Rauch. Pauschal ließe sich die Antwort nach dem Zeitaufwand für eine Finanzberatung zu Geldanlagen allerdings nicht beantworten, denn dieser hänge wesentlich von den Wünschen und dem Inhalt der Beratung ab. Das Honorar ist dann direkt nach Rechnungsstellung fällig.
Provision für Finanzprodukte macht Transparenz fast unmöglich
Im Gegensatz dazu gebe es bei den Kosten im Provisionsvertrieb keine wirkliche Transparenz für Verbraucher, so Finanzexpertin Britta Langenberg. Für Laien ist es im Grunde nicht möglich, die Zusatzkosten von provisionsvertriebenen Verträgen für Geldanlagen zu ermitteln, die allein für diese Form des Vertriebs bezahlt werden. Aber: Die Provision wird mitbezahlt.
Einen Hinweis gibt die amtliche Dokumentation, die sich zu jedem Finanzprodukt, das eine offizielle Zulassung hat, im Internet findet. Dieses Dokument heißt auf deutsch "Wesentliche Anleger-Information" (WAI), auf englisch "Key Information Investor Document" (KIID). Hier lassen sich auch die TER und die OGC einsehen, also die jährlichen laufenden Kosten. „Je niedriger, desto besser", so sein Tipp - bei einer Bank allerdings unter zwei Prozent Kosten p. a. herauszukommen, sei fast unmöglich.
Rauch nennt zwei Beispiele. Ein Kleinanleger, der z.B. 200 Euro monatlich spare, bezahle beispielsweise fünf Prozent Ausgabeaufschlag für den Kauf eines Investmentfonds. Dies bedeute, der Verkäufer erhalte daraus bei jeder Rate eine Provision von 10 Euro oder 120 Euro pro Jahr. Verkaufe der Berater beispielsweise eine kostenintensive fondsgebundene Rentenversicherung mit 200 Euro Monatsbeitrag, betrüge die Provision schnell 2.000 bis 3.000 Euro statt 120 Euro pro Jahr für einen Investmentfonds. Hier werde der Interessenskonflikt besonders deutlich, so Rauch.
Im Unterschied zu den Honorarberatungen werden diese Zusatzkosten in der Regel allerdings über mehrere Jahre verteilt, es ist also nicht direkt ein dicker Batzen.
Wie läuft die Beratung in der Praxis? Eine Stichprobe
Eine kleine Erbschaft - 70.000 Euro sollen investiert werden für die Altersvorsorge. Mit dieser ausgedachten Geschichte lässt sich ein Lockvogel beraten. Bei einer Bank, einem Finanzberater und einem Honorarberater. Die ersten Gespräche mit der Bank und dem Finanzberater unserer Stichprobe sind aber ernüchternd. Das Bankhaus zum Beispiel verzichtet auf eine Analyse der Lebensumstände, empfiehlt stattdessen ein Anlageprodukt von der Stange. Und der Vorschlag des Finanzberaters ist in den Augen unseres Finanzexperten Hermann-Josef Tenhagen von Finanztip sehr teuer. Der Honorarberater hat als einziger eine Anlagestrategie empfohlen, mit der auch Tenhagen einverstanden ist: einer Mischung aus Aktien- und Anleihe-ETFs, also günstigen Investmentfonds.
Drei Finanzberatungen und drei sehr unterschiedliche Investment-Vorschläge. Unsere Stichprobe zeigt, wie unterschiedlich eine Beratung ausfallen kann.
Wie findet man eine unabhängige Anlageberatung?
Laut Britta Langenberg finden Kunden und Kundinnen am ehesten unabhängigen Rat, indem sie einen fachkundigen Ratgeber ohne Verkaufsinteresse suchen und für diese Beratung bezahlen. Das könne etwa eine Verbraucherzentrale sein oder ein zugelassener Versicherungsberater. Letztere seien allerdings rar: Bundesweit gebe es nur gut 300 Personen mit entsprechender Zulassung. Wenn man wüsste, dass es zugleich rund 180.000 Versicherungsvermittler gibt, die vom Verkauf lebten, sei die Schieflage am Markt gut zu erkennen.
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) bietet auf ihren Seiten ein Register unabhängiger Honorar-Anlageberater an - hier werden allerdings nur die zugelassenen Gesellschaften aufgelistet. Daneben gibt es auch auf den Seiten der BaFin ein Register der vertraglich gebundenen Vermittler, das sind die Vermittler, die für die betreffenden Gesellschaften tätig sind.
Zusätzlich hat der Verbund Deutscher Honorarberater ein neues Register auf seiner Internetseite, hier lässt sich nach Postleitzahlen nach einer Beraterin oder einem Berater suchen. Auch Hartmut Walz bietet auf seiner Internetseite eine Auflistung von Honorar-Finanzanlagenberatern an. Eine Vollständigkeit wird bei beiden Listen nicht garantiert.
Wer sich selbst in das Thema einarbeiten möchte, findet bei Stiftung Warentest und Finanztip gute Anlaufstellen, um einen Überblick zu bekommen. Für jedwede Form der Beratung gilt nämlich: Wer konkrete Fragen stellen könne und schon eine Vorstellung habe, von dem, was er will, sei im Verkaufsgespräch klar im Vorteil, so die Empfehlung der Finanzwende-Expertin Langenberg.
Eins ist allen Modellen für die Finanzanlage gemein, egal, ob über eine Provision oder ein Honorar bezahlt: Keine Beraterin, keine Berater kennt die Zukunft so genau, um eine hohe Rendite wirklich versprechen zu können.