Zeitverträge und Leistungsdruck: prekäre Beschäftigungsverhältnisse an deutschen Unis
Viel Frust und Ärger im deutschen Wissenschaftssystem: Statt berufliche Sicherheit zu erreichen, hangeln sich die meisten Promovierenden und Postdocs von Vertrag zu Vertrag, längerfristige Karriereperspektiven sind eine Seltenheit. Neben dem hohen Leistungspensum bestimmen zudem starre Hierarchien an Lehrstühlen den Arbeitsalltag junger Forscherinnen und Forscher.
Reformversuch gescheitert? Eckpunkte-Papier der Ampel-Koalition sorgt für Protest
Dabei sind die gegenwärtigen Bedingungen an Unis und Hochschulen bereits in der Politik ein Thema: Erst im März 2023 stellte die Ampel-Koalition ein reformiertes Wissenschaftszeitvertragsgesetz vor, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) vorgelegt wurde.
Allerdings stößt dieses Eckpunkte-Papier aus dem BMBF nicht nur bei den Postdocs auf Widerstand. Innerhalb weniger Tage solidarisierten sich rund 3.000 Professorinnen und Professoren und unterzeichneten eine Stellungnahme gegen die Gesetzesreform.
Insbesondere der Vorschlag, die Phase nach der Promotion von sechs auf drei Jahre zu verkürzen, kam dabei sehr schlecht an: Anstelle neuer Befristungen müssen Postdoc-Stellen endlich eine dauerhafte Perspektive bieten, bringt Kristin Eichhorn es auf den Punkt. Die Literaturwissenschaftlerin weiß, wovon sie spricht. Trotz ihrer Anstellung als Vertretungsprofessorin ist ein unbefristeter Vertrag für sie noch immer nicht in Sicht.
Bereits seit 2021 kämpft Kristin Eichhorn als Mit-Initiatorin der Twitter-Kampagne #IchbinHanna gegen unsichere Arbeitsverhältnisse und fehlende Karriereperspektiven in der Wissenschaft – wobei die fiktive Hanna für all die jungen Forscherinnen und Forscher steht, die unter den prekären Bedingungen an Universitäten und Hochschulen leiden.
Beispiel Großbritannien: "Researcher" und "Lecturer“
Leider ist die komplette Entfristung von Postdoc-Stellen aktuell nicht möglich, erklärt Peter-André Alt. Er ist Vorsitzender der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), welche den Zusammenschluss der Hochschulen in Deutschland darstellt. Im Augenblick promovieren im Jahr in Deutschland rund 30.000 Personen, dagegen werden nur zwischen 1.500 und 2.000 Professuren frei, rechnet Alt vor. Dieses Problem lässt sich mit dem neuen Gesetz nicht einfach lösen.
Allerdings: In anderen Ländern scheint es zu funktionieren. In Großbritannien zum Beispiel kann gleich im Anschluss an die Promotion selbstständig gelehrt und geforscht werden. Und zwar auf unbefristeten Dauerstellen, als Lecturer oder Researcher. Braucht es anstelle neuer Gesetzesentwürfe also eher eine komplette Neustrukturierung des deutschen Wissenschaftssystems?
Neue Perspektiven für Postdocs: Berliner Hochschulgesetz von 2021
Erste Anfänge einer derartigen Umstrukturierung brachte das Berliner Hochschulgesetz, das im September 2021 in Kraft trat. Es bestimmt, dass mit promovierten Nachwuchswissenschaftlern frühzeitig eine Anschlusszusage für eine unbefristete Beschäftigung vereinbart werden muss.
Jule Specht, Psychologie-Professorin an der Humboldt-Universität, ist begeistert. Indem es berufliche Möglichkeiten abseits des bisher vorgegebenen Karrierepfads hin zur Professur anbietet, ermöglicht das Berliner Modell mehr Flexibilität und Planungssicherheit. Davon profitieren ihrer Meinung dann nicht nur die Postdocs, sondern auch die Universitäten und Hochschulen.
Departments statt Fakultäten: TU Nürnberg will hierarchische Strukturen aufbrechen
Nicht nur mehr Lehr- und Lernmöglichkeiten, sondern auch die Vorstellung einer neu strukturierten Universität – das steckt hinter der TU Nürnberg, Deutschlands jüngster Universität. 1,2 Milliarden Euro investiert der Freistaat Bayern in die erste deutsche Uni-Neugründung seit Jahrzehnten.
Bessere Arbeitsbedingungen, mehr Transparenz – das heißt vor allem: Schluss machen mit den lehrstuhlinternen Hierarchien. Statt abgeschotteter Fakultäten soll es sieben interdisziplinär arbeitende Departments geben, die sich Finanz- und Personalressourcen kollegial teilen werden. So versichert es Hans Jürgen Prömel, Gründungspräsident der TU Nürnberg.
Außerdem will man die Betreuung und Begutachtung von Promovierenden zukünftig trennen. Ein mehrköpfiges Prüfungskomitee soll interne Abhängigkeiten und Machtmissbrauch verhindern.
Schluss mit "Kettenverträgen": Dreijährige Phase für Qualifikation und Orientierung
Allerdings bleiben Postdoc-Stellen auch an der TU Nürnberg zeitlich begrenzt, nämlich auf drei Jahre. Ohne Frage, erklärt Hans Jürgen Prömel, Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftern brauchen ausreichend Zeit, um sich bewusst für eine wissenschaftliche Karriere in Richtung Professur zu entscheiden. Dennoch braucht es eine zeitliche Limitierung, wann diese Entscheidung fällt.
Zäher Wandel: Uni-Reformen in Deutschland laufen schleppend
Während der Aufbau der TU Nürnberg zügig vorangeht, verändern sich die Arbeitsbedingungen an den alten Universitäten nur langsam. Das sind keine guten Nachrichten für die rund 200.000 deutschen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit ihren befristeten Stellen.
Dennoch: Die genannten Reformansätze machen Hoffnung auf einen Wandel des Uni-Systems. Ein Prozess, der sich womöglich beschleunigen lässt, wenn die zunehmende Prekarisierung der Postdocs auch außerhalb des Elfenbeinturms, also in der breiten Öffentlichkeit, bekannt und diskutiert wird.