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Psychotherapie – Risiken und Nebenwirkungen

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Autor/in
Martin Hubert
Martin Hubert
Onlinefassung
Veronika Simon

Nebenwirkungen bei Medikamenten – kennt jeder. Aber bei einer Psychotherapie? Abhängigkeit vom Therapeuten, egozentrisches Verhalten, selbst Suizidgedanken sind möglich. Trotzdem ist das Thema kaum erforscht.

Eine Psychotherapie beginnen in der Regel so: Der Patient geht zu einem Therapeuten, der stellt eine Diagnose und erklärt, welche Art von Therapie für ihn sinnvoll sein könnte. Eigentlich sollte zu Beginn auch darüber aufgeklärt werden, welche Risiken und Belastungen bei einer Psychotherapie auftreten können.

Kann man zum Beispiel traurig oder ängstlich werden, sogar Suizidgedanken haben? Oder kann die Beziehung zum Partner belastet werden? Seit 2013 ist diese Aufklärung gesetzlich vorgeschrieben.

Nebenwirkungen kaum beachtet in der Ausbildung

Die möglichen Nebenwirkungen von Psychotherapien werden aber bis heute zu wenig beachtet, findet Lutz Wittmann. Er ist Leiter der psychotherapeutischen Hochschulambulanz der Internationalen Psychoanalytischen Universität in Berlin. Gerade in der therapeutischen Ausbildung komme dieser Aspekt viel zu kurz.

Wittmann gehört zu einer Gruppe meist jüngerer Psychotherapeutinnen und Therapeuten, die das Thema inzwischen offensiv erforschen. Auch der Psychologieprofessor Jürgen Margraf ruft dazu auf, das Thema Nebenwirkungen endlich ernst zu nehmen. Doch das ist nicht einfach: „Niemand hört gerne Schlechtes über seine Disziplin, über sich selbst oder das, was er mit solcher Begeisterung macht, das heißt, sie machen nicht unbedingt Karriere damit.“

Nicht gut fürs Image - schwer zu erfassen

Psychotherapeuten hatten lange Zeit darum zu kämpfen, anerkannt zu werden. Viele Jahre lang behaupteten Psychiater und Pharmakologen, Medikamente würden wesentlich besser gegen seelische Leiden wirken als eine Psychotherapie. Inzwischen ist die Wirksamkeit zahlreicher psychotherapeutischer Verfahren wissenschaftlich eindeutig belegt. Aber viele Psychotherapeuten haben offenbar keine große Lust, nun gleich wieder selbstkritisch über die Nebenwirkungen ihres Schaffens nachzudenken.

Ein Mann tröstet einen anderen Mann
Die Nebenwirkungen von Psychotherapien sind bislang nur wenig erforscht.

Es gibt aber auch sachliche und methodische Gründe, die es schwierig machen, Nebenwirkungen von Psychotherapien zu erfassen. Bei Medikamenten lassen sich körperliche Nebenwirkungen einigermaßen objektiv nachweisen und statistisch ausrechnen: Bei wie vielen Patienten führt ein Medikament zu Übelkeit, Herz-Kreislaufproblemen oder Schlafstörungen? Bei Psychotherapien dagegen ist man viel stärker auf die Selbstaussagen von Patienten und Therapeuten angewiesen, die sich nicht selten widersprechen.

Wenn die Symptome schlimmer werden statt besser

Im Schnitt in fünf bis zwanzig Prozent der Psychotherapien können laut der Hamburger Psychologieprofessorin Yvonne Nestoriuc unerwünschte Belastungen auftreten. Das sind keine Argumente, um Psychotherapien in Frage zu stellen. Aber die Zahlen fordern dazu auf, die Folgen zu bedenken.

Eine mögliche Nebenwirkung ist beispielsweise, dass die Symptome bei Patientinnen und Patienten während der Therapie zunehmen statt abklingen - zum Beispiel bei einer Angstbehandlung. Das kann Teil des Therapie-Prozesses sein, der Patient sollte aber darüber aufgeklärt werden.

Auch auf die Paarbeziehung der Patienten kann die Psychotherapie einen großen Einfluss haben. Mitunter werden Patienten plötzlich egoistischer. Zum Beispiel wenn sie im Rahmen einer Verhaltenstherapie ein intensives soziales Kompetenztraining mitmachen.

Ein Mann schaut deprimiert aus dem Fenster
Im Rahmen einer Psychotherapie beschäftigt man sich viel mit sich selbst. Wird man dadurch egozentrisch?

Egozentrisch oder abhängig vom Therapeuten

Auch bei langen psychoanalytischen Behandlungen können Patienten egozentrisch werden. Man beschäftigt sich in der Psychoanalyse intensiv mit sich selbst und seiner Lebensgeschichte und kann sich unter Umständen in seiner „Egowelt“ regelrecht verstricken.

Bei psychoanalytischen Behandlungen wird außerdem schon lange eine weitere Nebenwirkung diskutiert: Recht häufig schildern Patienten hier, dass sie sich abhängig von ihrem starken Therapeuten fühlen. Bei bestimmten Therapiearten bauen Patienten und Therapeuten eine enge Beziehung auf. Nach der Therapie können die Behandelten in ein Loch fallen, weil der Therapeut, mit dem sie so eine enge Beziehung hatten, nicht mehr da ist. Offenbar waren sie von seiner Unterstützung abhängig.

Es fehlt eine systematische Erforschung

Die Bandbreite möglicher Nebenwirkungen und ihrer Ursachen bei Psychotherapien ist groß. Die psychologische Forschung möchte natürlich gerne wissen, welche dieser Nebenwirkungen bei welchen Therapieformen auftreten können. Das wäre allerdings nur möglich, wenn man vergleichende Studien zwischen den unterschiedlichen Therapieformen hätte. Die aber fehlen.

Letztlich sind sich die Psychotherapeuten einig: Es muss noch viel geforscht werden, um wirklich exakte Aussagen über die Nebenwirkungen ihrer Tätigkeit machen zu können. Bis dahin hat Psychologieprofessor Jürgen Margraf zwei Vorschläge: Man sollte zum einen jede einzelne Therapiestunde vom Patienten schriftlich bewerten lassen. In Großbritannien habe das so genannte IAPT-Programm bei Millionen von Patienten gezeigt, dass das möglich ist.

Außerdem sollte man eine öffentlich zugängliche Datenbank aufbauen, in der negative Erfahrungen über Psychotherapien eingespeist werden. Jürgen Margraf von der Uni Bochum hat auf seiner Webseite die ersten Schritte für eine solche Datenbank eingeleitet. Sie ist noch nicht öffentlich, aber einen Probelauf hat es schon gegeben.

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Lukas Meyer-Blankenburg im Gespräch mit Anja Brockert.
Aus dem Englischen von Ulrike Becker
Ullstein Verlag, 160 Seiten, 18,99 Euro
ISBN 9783550201745

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