Von wegen Homo oeconomicus: Wenn es ums Geld geht, setzt die Ratio oft aus
Wenn sich nach einem Kauf das schlechte Gewissen meldet, hat man die passende Rechtfertigung schnell parat.
Geld ausgeben und dabei Geld sparen? Das klingt zu schön, um wahr zu sein. Und auch nicht gerade nach dem rational handelnden Homo oeconomicus aus der klassischen Ökonomie.
Warum wir uns beim Thema Geld sehr oft irrational verhalten, damit beschäftigt sich die Verhaltensökonomie. Diese Disziplin wurde in den 1970ern von den Psychologen Daniel Kahneman und Amos Tversky gegründet. Sie deckten Strategien auf, nach denen wir Entscheidungen treffen, die nicht immer vernünftig sind. Die wichtigsten werden hier vorgestellt.
Kontoführung im Kopf: Mentale Budgetgrenzen helfen – werden aber schnell gelockert
Eine von der Verhaltensökonomie beschrieben Strategie heißt mentale Buch- oder Kontenführung. Wir ordnen unsere Ausgaben verschiedenen Konten zu und versehen diese mit einem bestimmten Budget.
Mentale Buchführung kann sehr hilfreich sein, erklärt der Wirtschaftspsychologe Georg Felser von der Hochschule Harz. Sie diszipliniert uns, indem sie die Konten, die wir mental im Kopf haben, vor dem Zugriff für fremde Zwecke bewahrt.
Nur gelingt das nicht immer. Denn wir tricksen gerne und biegen unsere Konten einfach zurecht. Wird man zum Beispiel beim Falschparken erwischt, hilft es, ein Konto für Knöllchen zu erfinden, von dem man die Gebühr dann ohne großen Groll abziehen kann.
Verlustaversion: Verlieren tut doppelt weh, Gewinne trösten weniger
Wenn wir Geld verlieren, ist der Schmerz doppelt so stark, als uns umgekehrt ein Gewinn freut. Darum wollen wir Verluste unbedingt vermeiden. Das erklärt Eric Johnson, Psychologe und renommierter Vertreter der Verhaltensökonomie.
Außerdem nehmen wir Gewinne und Einsparungen offenbar nur wahr, wenn wir sie zeitnah erhalten. Das erklärt auch, warum die 300 Euro Energiepauschale im Jahr 2022 so schnell in Vergessenheit geraten ist: Sie ist nicht sofort auf unserem Konto aufgetaucht.
Verknappung: Warum die Schnäppchen-Spar-Illusion funktioniert
Summer-Sale, Rabatt-Aktion, "nur für kurze Zeit": Das Schnäppchen wird dadurch zum Schnäppchen, weil es eben nicht dauerhaft billig ist, sondern nur jetzt. Wirtschaftspsychologe Georg Felser benennt diese Verkaufsstrategie als Verknappung. Wir wollen ein verlockendes Angebot nicht verpassen und mögliche Einsparungen nicht verlieren – darum schlagen wir schnell zu.
Sunk-Cost-Effekt: Weiter investieren, trotz Schuldenfalle
Wenn Menschen hohe Verluste angehäuft haben, zum Beispiel bei Glücksspielen oder beim Aktienhandel an der Börse, handeln sie oft irrational. Sie spielen oder investieren weiter, um den Verlustschmerz abzuwenden. In diesem Fall sprechen die Verhaltensökonomen von verlorenen Kosten oder Sunk Costs.
Frank Wiedenhaupt arbeitet für die spezialisierte Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle für Kleinselbstständige der Berliner Stadtmission. Er weiß, dass der Sunk-Cost-Effekt auch bei überschuldeten Selbstständigen eine Rolle spielt. In dem Glauben, ihr Business so retten zu können, wollen viele immer noch mehr Geld reinstecken.
Was mir gehört, ist mehr wert: Der Endowment- oder Besitztums-Effekt
Verhaltensökonomische Studien konnten zeigen, dass wir den Wert von Dingen, die wir besitzen, oft fälschlicherweise für höher halten als es dem realen Wert entspricht. Die emotionalen Bedeutung, die mit dem Besitz einhergeht, führen zu einer Preisverzerrung nach oben.
"Alles wird teurer": Verzerrte Wahrnehmung lässt Inflation höher wirken
Auch bei der Inflation können wir uns nicht auf unsere Wahrnehmung verlassen. Eine Studie der Internationalen Hochschule zeigte, dass die gefühlte Inflation im Herbst 2022 mit 34,2 Prozent weit über der tatsächlichen Inflation lag. Diese betrug zum Zeitpunkt der Befragung 7,9 Prozent.
Julia Pitters leitet den Studiengang Wirtschaftspsychologie an der Internationalen Hochschule (IU) und weiß, woher die Überschätzung kommt: Befindet man sich erstmal im gedanklichen Modus "Alles wird teurer", achtet man auf jeden kleinen Hinweisreiz, der das bestätigt. Dinge, die dagegensprechen, blendet man aber aus.
Ungeplante Gewinne: Die Herkunft des Geldes macht den Unterschied
Geld ist gleich Geld, könnte man meinen. Stimmt aber nicht. Je nachdem, woher das Geld stammt, geben wir es anders aus.
Wieder weiß der Psychologe Eric Johnson mehr: Hart erarbeitetes Geld geben wir nicht so leichtfertig aus. Nicht eingeplante Gewinne, zum Beispiel eine Steuerrückzahlung oder Casino-Gewinne, erweitern die mentale Budgetierung ganz unerwartet. Das Geld wird dann bereitwilliger ausgegeben.
Fairness: Emotionen lenken unsere Geldgeschäfte
Ein grundsätzliches Prinzip des menschlichen Verhaltens ist Fairness-Empfinden, unterstreicht der Verhaltensökonom Eric Johnson. Das beeinflusst auch Transaktionen mit Geld.
Demnach wünschen wir uns ein faires Lohnsystem bei der Arbeit oder faire Gewinnverteilungen. Umgekehrt reagieren wir empfindlich, wenn wir bei anderen unfaires finanzielles Verhalten feststellen. Das kann auch gegenüber einem Unternehmen der Fall sein, bei dem wir den Eindruck haben, dass es uns bei den Preisen über den Tisch zieht.
Praktische Tipps zum Umgang mit Irrationalität
Schnäppchenjagd, Fehlinvestitionen, Emotionalität – wir Menschen handeln oft unvernünftig und die propagierten Prinzipien der Wirtschaftswissenschaften halten der Realität selten stand. Sollte die Politik deshalb eingreifen?
Hier hat Eric Johnson vor allem einen Rat: die Verlustaversion anerkennen. Gerade bei Investitionen in den Klimaschutz sei das wichtig.
Was das konkret heißt: Staatliche Zuschüsse sofort zahlen, Vergünstigungen sichtbar machen. Zum Beispiel durch große Schilder an den Tankstellen mit "Vorher-Nachher-Preisen" für verbilligten Sprit. Oder mithilfe einer Deutschlandticket-App, die ausrechnet, wie viel man ohne Ticket im Monat gezahlt hätte.
SWR 2023