Nigeria: viele Abtreibungen trotz strenger Strafen
Jedes Jahr sterben weltweit zehntausende Frauen bei oder an den Folgen illegaler Schwangerschaftsabbrüche. Eine Studie der US-amerikanischen Johns-Hopkins-Universität aus dem Jahr 2019 schätzt, dass allein in Nigeria jährlich mehr als 6.000 Frauen bei dem Versuch, eine Schwangerschaft zu beenden, ihr Leben verlieren. Doch eine Abtreibung steht in Nigeria unter hoher Strafe. In vielen Bundesstaaten darf sie nicht einmal dann vorgenommen werden, wenn das Leben der Frau in Gefahr ist.
Nigerianische Abtreibungsgegnerinnen argumentieren, dass strenge Gesetze Abtreibungen verhindern würden – somit hätten die Frauen auch kein gesundheitliches Risiko. Doch Studien des US-amerikanischen Guttmacher Instituts zeigen: In Ländern, in denen Abtreibung unter strenger Strafe steht, wie zum Beispiel in Nigeria, sind die Abtreibungsraten besonders hoch.
Erster Marsch fürs Leben in München – mit vorgefertigten Schildern
März 2021, München. Mehrere Hundert Menschen stehen trotz der Corona-Pandemie dicht an dicht in der Münchner Innenstadt. Blaue und gelbe Luftballons flattern über der Menge. Unter dem Label: "Marsch fürs Leben" haben christliche Gruppen dazu aufgerufen, gegen Abtreibung zu demonstrieren. Es ist das erste Mal, dass so eine Veranstaltung in München stattfindet.
Damit das mediale Bild am Ende stimmt, ist den Teilnehmenden untersagt, eigene Schilder mitzubringen. Sie dürfen kein Werbematerial verteilen. Stattdessen erhalten sie vorgefertigte Schilder ausgehändigt, in den Farben blau und gelb. Darauf steht: "Abtreibung? Nein Danke" oder "Life is Life." Die Farben Blau und Gelb zum Beispiel werden üblicherweise von der rechts-konservativen Stiftung CitizenGO aus Spanien genutzt, die weltweit gegen Abtreibungen kämpft, auch in Nigeria.
Ultra-Konservative und Faschisten unter den Abtreibungsgegnern
Unter den Teilnehmern und Teilnehmerinnen in München befinden sich auch solche aus der ultra-konservativen Christ-König-Jugend, einige tragen Zeichen der faschistischen kroatischen Ustascha-Bewegung an der Jacke. Und gleich der erste Redner ist Alexander Tschuggel, ein extrem konservativer Aktivist aus Wien, der sich nicht nur gegen Abtreibungen, sondern auch gegen die Homo-Ehe und Klimaschutz engagiert.
Silja Fichtner ist so etwas wie die Pressesprecherin der Demonstration. Doch Fragen zu konkreten Forderungen weicht Fichtner aus. Stattdessen behauptet sie immer wieder, es gehe ihnen nicht um die Gesetze, sondern nur darum, ein positives Gefühl bei den Menschen zu erzeugen. Fichtner selbst hat schon etliche Male vor Arztpraxen demonstriert, in denen Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden. Das berichtete sie 2019 in einem Interview selbst. Sie behauptet, die Frauen würden ihr später dafür danken.
Tiefgaragen unter Arztpraxen sollen Frauen den Zugang erleichtern
Radikale Christen in den USA haben in den 1970er-Jahren mit Gebetsdemonstrationen vor Arztpraxen angefangen, sogenannten "Gebetsvirgilien". Seit einigen Jahren finden sie auch in deutschen Städten statt. In München beschäftigen sie bereits die Politik, der Druck auf behandelnde Ärztinnen und Ärzte wächst seit Jahren.
Laut einer im Jahr 2020 veröffentlichten Studie des Münchner Gesundheitsreferats könnte es in Bayern deshalb schon bald ein Nachwuchsproblem geben. Anja Berger sitzt als Grünen-Abgeordnete im Stadtrat und hat die Studie mit initiiert. Berger sagt, manche Ärztinnen und Ärzte hätten mittlerweile Tiefgaragen unter der Praxis, um den Frauen das Kommen zu erleichtern. Und in vielen ländlichen Gegenden gibt es überhaupt keine Ärzte, die Abtreibungen durchführen.
Deutschlands Abtreibungsgesetze zählen zu den strengsten in Europa
In Deutschland nehmen Fachärztinnen und -ärzte jährlich etwa 100.000 Schwangerschaftsabbrüche vor. Doch tatsächlich gehört Deutschland im europäischen Vergleich zu den Ländern mit den strengsten Abtreibungsgesetzen. Noch immer fallen Schwangerschaftsabbrüche hier unter das Strafrecht.
Der Paragraph 219a des StGB regelt zudem die Frage, wie Ärzte darüber informieren dürfen, dass sie Abtreibungen vornehmen. Um ihn ist in den letzten Jahren ein heftiger Streit entbrannt, der mit dem Namen Kristina Hänel verbunden ist. Sie arbeitet als Ärztin und führt Abtreibungen durch. 2018 stand sie vor Gericht. Ein Abtreibungsgegner hatte sie nach Paragraph 219a angezeigt, weil sie auf ihrer Website für Abtreibungen "geworben" habe.
Radikale Abtreibungsgegner zeigen jährlich hunderte Ärzte an
Kristina Hänel hatte auf ihrer Website eine PDF-Datei stehen, in der erläutert wurde, wie ein Eingriff abläuft. Ein Grundwissen, sagt sie, zu dem viele Frauen keinen Zugang hätten. Schon das aber gilt nach Paragraph 219a als Werbung für einen Abbruch. Kristina Hänel ist nicht die einzige Ärztin, die deswegen angezeigt wurde. Radikale Abtreibungsgegner zeigen jährlich hunderte Ärzte in ganz Deutschland an.
Sobald die Ärzte die Informationen wieder von den Websites entfernen, werden die Anklagen in der Regel von der Staatsanwaltschaft wieder fallen gelassen. Kristina Hänel weigerte sich, ihre Informationen aus dem Netz zu nehmen. Das Landgericht Gießen verurteilte sie zu einer Geldstrafe. Daraufhin legte sie Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein, der Fall wird nun bearbeitet. Sollte Hänel Recht bekommen, könnte er das Abtreibungsrecht in Deutschland grundlegend verändern.
Streik der Frauen in Polen
Herbst 2020, Polen: Zehntausende Frauen und Männer marschieren durch die Innenstadt Warschaus. "Ich denke, ich fühle, ich entscheide", steht auf den Plakaten. Nie zuvor seit dem Ende des Kommunismus haben Demonstrationen in Polen solche Ausmaße angenommen. Sie nennen es: "Den Streik der Frauen."
Im Oktober 2020 verschärfte das polnische Verfassungsgericht die bereits strengen Abtreibungsgesetze dahingehend, dass eine Schwangerschaft selbst dann nicht abgebrochen werden darf, wenn ein Fötus bereits schwere Schäden hat. Die rechts-konservative PiS-Partei hat Schwangerschaftsabbrüche zum Regierungsthema gemacht.
Aktivistinnen und Aktivisten aus Polen berichteten zudem von gewaltsamen Übergriffen durch Abtreibungsgegner. Namen und Adressen von Feministinnen würden im ganzen Land veröffentlicht. Große Plakate prangerten Frauen an, die abgetrieben haben. Und immer wieder würden gefälschte Internetshops online gestellt, in denen Frauen angeblich Abtreibungsmedikamente aus den Niederlanden bestellen können, berichtet Olga von "Cioca Basia". Die Organisation vermittelt Arzttermine für polnische Frauen in Berlin, hilft mit Übernachtungsplätzen aus und dolmetscht.
Weltweites Netz aus Abtreibungsgegnern
Gillian Kane beobachtet die Szene der Abtreibungsgegner seit mehr als 20 Jahren. Sie arbeitet als Politikberaterin für die Organisation IPAS, die sich weltweit für das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche einsetzt. Gillian Kane erzählt, dass konservative Gruppen aus den USA unter Donald Trump gewaltigen Aufschwung gewonnen und ein weltweites Netzwerk etabliert hätten. In Europa hätten sich dann anti-liberale Politiker wie Victor Orbán in Ungarn oder eben die PiS-Partei in Polen dieser Strukturen bedient, um unterschiedliche Frauen- und Minderheitenrechte einzuschränken.
Tatsächlich wurde Polens neues Gesetz von einer evangelikalen Organisation aus den Vereinigten Staaten juristisch unterstützt, dem American Center of Law and Justice. Und Treiber der Gesetzesreform in Polen war die katholische Gruppe Ordo Iuris. Sie ist – laut Gillian Kane – eng verknüpft mit der US-amerikanischen Gruppe Alliance Defending Freedom.
Desinformation und Lügen statt Hilfe und Unterstützung für betroffene Frauen
Für die Abtreibungsgegner ginge es vor allem darum, die gesellschaftlichen Diskurse zu beeinflussen, so Gillian Kane. Sie arbeiten mit Desinformation, mit falschen Zahlen und Behauptungen. Doch für die Konflikte und Probleme von Frauen, die ungewollt schwanger sind, das Leben als unverheiratete Mutter fürchten oder ein Leben mit einem stark behinderten Kind, haben sie kein Verständnis und keine Lösung.