SWR2 Wissen

Gutes Essen für Kranke und Alte – Ernährung in Kliniken und Pflegeheimen

Stand
Autor/in
Stephanie Eichler
Stephanie Eichler
Onlinefassung
Ulrike Barwanietz / Candy Sauer

Gesundes Essen ist essentiell für die Genesung. Trotzdem bieten nur ein Prozent der Pflegeheime und vier Prozent der Krankenhäuser Essen an, welches den Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung entspricht. Das muss und kann, trotz Sparmaßnahmen, auch anders gehen.

Welche Nahrungsmittel fördern die Genesung? Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) gibt zur Verpflegung in Krankenhäusern einen umfangreichen Leitfaden heraus, nachzulesen im Internet. Damit alle Patienten genügend Eiweiße, gesunde Fette, Mineralstoffe und Vitamine zu sich nehmen, rät die DGE zum Beispiel, zweimal täglich Milchprodukte anzubieten, pro Woche mindestens zweimal Fisch und einmal täglich Rohkost oder Salat.

Gute Ernährung reduziert gesundheitliche Komplikationen

Ein Viertel der Patienten ist bei der Einlieferung ins Krankenhaus sogar mangelernährt – bei diesen Menschen kann eine spezielle Ernährung Komplikationen und sogar Todesfälle verhindern, wie eine Studie aus dem Jahr 2019 in der renommierten Fachzeitschrift Lancet ergeben hat. Dazu benötigt die Klinikküche folgende Informationen:

  • den individuellen Nährstoffbedarf, insbesondere für Energie und Eiweiß
  • Essens-Vorlieben des Patienten oder der Patientin

Am Ende des Krankenhausaufenthalts, der bei allen Lancet-Studienteilnehmern mindestens fünf Tage lang dauerte, erhielten die Patienten eine ausführliche Ernährungsberatung. Nach dreißig Tagen zogen die Forscherinnen und Forscher Bilanz: Das maßgeschneiderte Essen trug dazu bei, schwere gesundheitliche Komplikationen zu verhindern. Im Krankenhausalltag bedeutet das, ganz genau hinzuschauen, insbesondere bei alten Menschen.

Elf Altenheim-Bewohner gründen 1974 Bundesinteressenvertretung BIVA

In der Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen e.V., kurz: BIVA, in Bonn klingeln die Telefonapparate. Die Rechtsanwältin Ulrike Kempchen und ihre drei Kollegen bearbeiten jährlich 3.500 Beschwerden. Um das Essen in Krankenhäusern geht es dabei nicht. Die Anrufer beschweren sich über minderwertige Mahlzeiten in Pflegeheimen.

Ein Pfleger eines Pflegeheims schiebt eine Bewohnerin mit einem Rollstuhl.
Nur ein Prozent der Pflegeeinrichtungen für alte Menschen ist DGE-zertifiziert

Elf Bewohner eines Altenheims in Bad Soden im Taunus haben im Jahr 1974 die BIVA gegründet. Damals wurden Bewohner von Pflegeheimen offiziell noch "Insassen" genannt, das Heim hieß "Anstalt". Tatsächlich hatten Menschen in Pflegeheimen keine auf ihre besondere Lage gerichtete Rechtssicherheit. Es war noch schwieriger als heute, etwas gegen schlechtes Essen zu tun. Die Bewohner waren vom guten Willen der Betreiber abhängig. Durch das deutsche Heimgesetz, das 1975 erlassen wurde, verbesserte sich ihr Status.

Nur ein Prozent der Pflegeeinrichtungen ist DGE-zertifiziert

Die Rechtsanwältin Ulrike Kempchen der BIVA kritisiert heute, dass es bundesweit immer noch keine Vorschriften gibt, die festhalten, woraus die Mahlzeiten im Pflegeheim bestehen sollen. Laut einer Mitarbeiterin der Deutschen Gesellschaft für Ernährung orientieren sich die meisten Heime an den DGE-Standards, doch oft gebe es zu wenig Fisch und zu viel Fleisch. Es spricht für sich, dass nur ein Prozent der Pflegeeinrichtungen für alte Menschen DGE-zertifiziert ist.

Oft stehen einem Küchenchef für die täglichen Lebensmittel eines Bewohners oder einer Bewohnerin nicht mehr als drei Euro fünfzig bis vier Euro fünfzig zur Verfügung. Laut DGE sollten es mindestens sechs Euro sein. Gutes, gesundheitsförderndes Essen anzubieten bedeutet, alte Menschen wertzuschätzen.

Einer, der sich viel mit diesem Zusammenhang beschäftigt, ist Markus Biedermann, eidgenössisch geprüfter Küchenchef aus der Schweiz. Er kennt die Branche gut: Die ersten zwei Jahrzehnte seines Berufslebens hat Biedermann als Heimkoch gearbeitet, dann hat er begonnen, Heimköche auszubilden und Mitarbeiter in Seniorenheimen zu beraten, die den Bewohnern und Bewohnerinnen mehr Esskultur bieten möchten. Das macht er auch schon seit 20 Jahren.

Pflegeheim
Im Rahmen eines Praktikums hat Koch Markus Biedermann am Bett von Menschen gekocht, die so gut wie keine Reaktionen mehr zeigten. Das Ergebnis war erstaunlich.

Biedermann stellt sich vor, dass er mit 90 selbst in einem Heim wohnt. Der Schweizer wünscht sich, dass er dann gefragt wird, was er essen möchte. Immer wieder trichtert er Heimleitern, Pflegepersonal und Köchen ein, dass sie sich mehr auf die Bedürfnisse alter Menschen einstellen müssen, damit eine schmackhafte und gesunde Verpflegung gelingt.

Kochen am Bett: Mahlzeiten sind mit Gefühlen und Erinnerungen verknüpft

Um alte Menschen besser zu verstehen, hat Markus Biedermann ein Studium der Gerontologie, der Wissenschaft des Alterns, oben draufgesattelt. Im Rahmen eines Praktikums hat er am Bett von Menschen gekocht, die so gut wie keine Reaktionen mehr zeigten: Er briet Zwiebeln und Speck an und mischte sie in eine Rösti. Eine Pflegeheimbewohnerin, die nicht mehr selber aß und sich kaum füttern lassen wollte, bekam plötzlich Appetit und schaffte eine große Portion. Sie war kein Einzelfall. Essensdüfte wirken stimulierend.

Unterstützend ist sicherlich auch die Fürsorge, die Menschen empfinden, wenn direkt in den Wohnbereichen Kuchen gebacken und Kaffee gekocht wird. Außerdem betont Biedermann, dass es Pflegeheimbewohnern besser geht, wenn sie selbstständig essen dürfen. Er bietet spezielle Rezepte an, die dies ermöglichen.

Für 5,50 Euro täglich gute Ernährung im Pflegeheim möglich

Markus Biedermann hat es ausgerechnet: Mit Lebensmitteln im Wert von fünf Euro fünfzig gelingt es, einen Heimbewohner einen Tag lang gut zu verpflegen. Doch in vielen Heimen werden nur zwischen drei Euro fünfzig und vier Euro fünfzig ausgegeben. Und Biedermann hat den Eindruck, dass sich Heimköche in Deutschland eher verstecken. Dabei sollten sie sich zusammenschließen und nach dem Vorbild ihrer Schweizer Kolleginnen und Kollegen Fachgruppen bilden, um Rezepte auszutauschen. Wenn Köche und Köchinnen untereinander Kontakte pflegen, stärken sie einander den Rücken. Es fällt dann leichter, gegenüber der Heimleitung Forderungen durchzusetzen.

Qualitätsstandards: 4 Prozent der Krankenhäuser, 1 Prozent der Pflegeheime

Neben der desolaten Lage in Pflegeheimen haben europaweite Erhebungen zur Ernährungssituation in Krankenhäusern gezeigt, dass eine adäquate Versorgung mit Nährstoffen den Ernährungs- und Gesundheitszustand von Patienten positiv beeinflusst und sie in bestimmten Fällen früher aus dem Krankenhaus entlassen werden können. Doch die Qualitätsstandards der DGE für die Verpflegung in Krankenhäusern werden nur von vier Prozent der Krankenhäuser in Deutschland tatsächlich eingehalten. Die Pflegeheime liegen mit einem Prozent noch dahinter.

SWR 2020

Ernährung Bio-Essen in der Mittagspause – Wie Kantinen nachhaltig werden

Im „Bio-Städte-Netzwerk“ haben sich Städte wie Freiburg, Heidelberg, Berlin, Bremen und Karlsruhe zusammengeschlossen. Sie alle fördern Bio-Essen in öffentlichen Kantinen.

SWR2 Wissen SWR2

Ernährung

Fakt ab! Eine Woche Wissenschaft Was machen Vampirfledermäuse auf dem Laufband?

Diese Woche mit Sina Kürtz und Charlotte Grieser

Ihre Themen sind:
- Berliner Elefantendame duscht sich linksrüsslig mit Gartenschlauch (02:58)
- Biertrinker haben die schlechtesten Ernährungsgewohnheiten (11:03)
- Vampirfledermäuse auf dem Laufband (18:32)
- Auflösung Geburtstagsquiz und schlechte Verabschiedungs-Wortwitze (28:48)

Weitere Infos und Studien gibt’s hier:
- Duschende Elefantin: https://www.cell.com/current-biology/fulltext/S0960-9822(24)01371-X (mit Video)
- Biertrinker ernähren sich schlecht: https://www.eurekalert.org/news-releases/1064415
- Fledermäuse auf dem Laufband: https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rsbl.2024.0453

Unser Podcast Tipp der Woche:
Künstliche Intelligenz ist kein Zukunftsthema– KI prägt jetzt schon unsere Gegenwart.
Welche Auswirkungen bringt die KI in Arbeitswelt, Bildung und Gesellschaft mit sich? Wie kann man künstliche Intelligenz selbst im Alltag nutzen? Und was passiert, wenn jeder Inhalt im Internet auch ein KI-Fake sein könnte? Gregor Schmalzried, Marie Kilg und Fritz Espenlaub stellen sich jeden Dienstag den großen und kleinen Fragen der KI-Revolution – und trennen die Fakten vom Hype. Ein ARD-Podcast von BR24 und SWR.
https://www.ardaudiothek.de/sendung/der-ki-podcast/94632864/

Habt ihr auch Nerd-Facts und schlechte Witze für uns?
Schreibt uns bei WhatsApp oder schickt eine Sprachnachricht: 0174/4321508
Oder per E-Mail: faktab@swr2.de
Oder direkt auf http://swr.li/faktab

Instagram:
@charlotte.grieser
@julianistin
@sinologin
@aeneasrooch

Redaktion: Martin Gramlich und Chris Eckardt
Idee: Christoph König

Umweltschutz Studie: Klimawandel könnte giftige Metalle in Böden freisetzen

Nach der Studie eines Forschungsteams der Uni Tübingen und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung könnte der Klimawandel die natürlicherweise in Böden vorkommenden giftigen Metalle mobilisieren und über die Landwirtschaft verstärkt in die menschliche Nahrungskette bringen.
Martin Gramlich im Gespräch mit Marie Muehe, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung

Impuls SWR Kultur

Medizin und Gesundheit

Gesundheit Impfschutz in Deutschland hoch, aber mit Lücken

In Deutschland lassen sich viele Menschen impfen. In bestimmten Regionen und Altersgruppen gibt es laut Robert-Koch-Institut aber Lücken. Bei Kindern werden Impfserien oft nicht abgeschlossen. So fehlt der vollständige Schutz etwa bei Masern oder Keuchhusten.
Jochen Steiner im Gespräch mit Prof. Andreas Radbruch, Leiter Arbeitsgruppe Zellbiologie am Deutschen Rheuma-Forschungszentrum Berlin.

Impuls SWR Kultur

Virologie Zwei Fälle von Mpox: Schule in NRW vorsorglich geschlossen

In Rösrath bei Köln bleibt eine Schule geschlossen, weil zwei Kinder mit dem Mpox-Virus infiziert sind. Ein Familienmitglied hat die Krankheit wohl von einer Reise eingeschleppt. Der Krankheitsverlauf ist laut Behörden mild. Wie steht es um die Ansteckungsgefahr?
Stefan Troendle im Gespräch mit Anja Braun, SWR-Wissenschaftsredaktion.

Impuls SWR Kultur

Gesundheit Triggert COVID bei Kindern Diabetes Typ1?

Vor Corona war die Zahl der Diabetes Typ 1-Neuerkrankungen bei Kindern relativ stabil. Während der Pandemie stiegen die Fallzahlen deutlich. Die Frage nach dem Warum, gibt weltweit Rätsel auf.

Impuls SWR Kultur

Stand
Autor/in
Stephanie Eichler
Stephanie Eichler
Onlinefassung
Ulrike Barwanietz / Candy Sauer