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Die Roma in Europa (2/3) – Gemieden, entrechtet und verfolgt

Stand
Autor/in
Tassilo Hummel
Onlinefassung
Ulrike Barwanietz
Sonja Striegl
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Im Mittelalter wurden sie als dunkelhäutige Migranten zunächst mit Neugier beäugt, doch schon bald benachteiligt, ausgegrenzt, gegängelt. Die Nazis haben sie schließlich verfolgt und ermordet.

Sinti und Roma gehören seit über 600 Jahren zu Europa. Trotzdem sind sie Außenseiter geblieben.

Roma haben schon vor tausend Jahren Indien verlassen

Die Sprache der Minderheit, Romanes, ist eine indoarische Sprache, die im Nordwesten Indiens wurzelt, aber auch Elemente aus Persien um das zehnte Jahrhundert enthält. Daraus sei zu schließen, so Henriette Asseo, dass die Roma Indien vor über tausend Jahren verlassen haben.

Die emeritierte Professorin aus Paris hat die Geschichte und die unterschiedlichen Kulturen der Rom-Völker erforscht. Sie benutzt das Wort “Tsigane”. Im Französischen hat es keinen abwertenden Beigeschmack.

Ein Drittel des Romanes-Wortschatzes stammt vom mittelalterlichen Griechisch ab

Die Roma sind über die griechischen Mittelalterstaaten nach Europa eingewandert. Das erkennt man heute noch an ihrer Sprache: Ein Drittel des Romanes-Wortschatzes stammt vom mittelalterlichen Griechisch ab.

Seit dem Spätmittelalter sind die Sinti und Roma ein fester Teil der europäischen Gesellschaften. Doch im Gegensatz zu anderen damaligen Migrantengruppen aus dem Osten vermischen sie sich weniger mit der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft. Sie heiraten untereinander, erhalten ihre Sprache.

Erste deutsche Maßnahmen gegen Sinti und Roma bereits im 15. Jahrhundert

Im deutschen Raum wurden ab 1495 Maßnahmen gegen die ethnische Minderheit beschlossen. Die Sinti und Roma wurden als Spione gebrandmarkt. Sie bekamen Betretungsverbote, ihre Vertreibung wurde angeordnet und sie waren „vogelfrei“, d.h. wer einen sogenannten „Zigeuner“ tötete, musste nicht mit Strafe rechnen.

Tausende Karteien im Reichskriminalamt

Auch wenn die Nazipropaganda meistens auf Juden zielte, sind in einem Erlass zum Nürnberger „Blutschutzgesetz“ von 1935 ausdrücklich auch die „Zigeuner" als „artfremde Rassen“ genannt, erzählt die Heidelberger Historikerin Karola Fings. Sie ist eine der führenden Forscherinnen in Deutschland über Antiziganismus.

Häftlingskarteikarte: Siegfried Reinhardt wird als Jugendlicher 1942 von der Münchener Polizei verhaftet und nach Auschwitz-Birkenau deportiert, es folgen das KZ Buchenau und Dora. In seinen Häftlingskarteikarten findet sich der Vermerk „Arbeitsscheuer Zigeuner“. Niemand aus seiner achtköpfigen Familie überlebt.
Siegfried Reinhardt wird als Jugendlicher 1942 von der Münchener Polizei verhaftet und nach Auschwitz-Birkenau deportiert, es folgen das KZ Buchenau und Dora. In seinen Häftlingskarteikarten findet sich der Vermerk „Arbeitsscheuer Zigeuner“. Niemand aus seiner achtköpfigen Familie überlebt.

Zahl der Rassenmorde an Sinti und Roma immernoch nicht erforscht

Für die „rassenbiologischen Gutachten“ arbeiteten die Nazis mit dem Institut eines deutschen Arztes zusammen: Robert Ritter, der mit pseudowissenschaftlichen Methoden über „Reinrassige" und „Mischlinge“ fabulierte. Neben den Vernichtungslagern starben Sinti und Roma in kollaborierenden oder besetzen Ländern bei Massakern, Erschießungen oder an katastrophalen Hygienebedingungen.

Karola Fings arbeitet momentan, gefördert vom Auswärtigen Amt, an der ersten Enzyklopädie zum Völkermord an den Sinti und Roma in Europa. Denn es fehlt an historischen Fakten. Das beginne schon bei der Zahl der Todesopfer, sagt sie.

Häftlingskarteikarte: Jakob Gerste wird im März 1943 zusammen mit mehreren Geschwistern in das „Zigeuner-Familienlager“ nach Auschwitz-Birkenau verschleppt, später in das KZ Buchenwald, das KZ Mittelbau-Dora und Bergen-Belsen. Außer ihm hat nur seine Schwester Emma überlebt.
Jakob Gerste wird im März 1943 zusammen mit mehreren Geschwistern in das „Zigeuner-Familienlager“ nach Auschwitz-Birkenau verschleppt, später in das KZ Buchenwald, das KZ Mittelbau-Dora und Bergen-Belsen. Außer ihm hat nur seine Schwester Emma überlebt.

Weitere Informationen zu Siegfried Reinhardt und Jakob Gerste finden sich in der Online-Ausstellung „Jugend im KZ“. Daneben ist das Arolson Archiv das international umfangreichste Archiv über NS-Verfolgte und hat die beiden hier gezeigten Dokumente zur Verfügung gestellt. Da es sich um ein Online-Archiv handelt, können Forschende, Angehörige von NS-Verfolgten, Mitarbeitende in Bildungsprojekten und alle Interessierten das Archiv offen und online nutzen.

Erst 2012 wird offizielles Mahnmal der Morde an Sinti und Roma errichtet

Der „Porajmos“, wie der NS-Völkermord an den Sinti und Roma auf Romanes heißt, ist das geschichtliche Ereignis, das als Trauma nachwirkt. Erst 1982 erkannte die Bundesregierung den Völkermord an der Minderheit an. 1998 trat in Deutschland ein europäisches Abkommen in Kraft, in dem die deutschen Sinti und Roma neben Dänen, Friesen und Sorben offiziell als nationale Minderheit anerkannt werden. Und erst 2012 wurde in Berlin das offizielle Mahnmal eingeweiht. Alle diese Meilensteine mussten Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler über Jahrzehnte erkämpfen.

Inzwischen leben nach Schätzungen wieder um die 60 000 Sinti in Deutschland. Dazu kommen etwa ebenso viele Angehörige anderer Romgruppen – viele Gastarbeiter, später dann auch Schutzsuchende vom Balkan und zuletzt EU-Einwanderer aus Bulgarien und Rumänien.

Heute sind Roma und Sinti immer noch Opfer rassistischer Gewalt

Beim rechten Terroranschlag von Hanau 2020 waren drei der neun Todesopfer Angehörige der Sinti und Roma. Und in Tschechien wurde im Sommer 2021 ein Rom auf die gleiche Weise wie George Floyd getötet. Doch die Welt nahm davon kaum Notiz.

SWR 2022/2023

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