Klimawandel, ansteigender Meeresspiegel, Gasindustrie
Das einzigartige Marschland des Mississippi-Deltas – Lebensraum vieler seltener Tier- und Pflanzenarten – droht, zerstört zu werden. Öl- und Gasindustrie sowie schwere Wirbelstürme belasten Mensch und Natur zusätzlich. Und auch die Ölpest von Deepwater Horizon wirkt noch nach.
Louisiana: Bau von Deichen und Kanälen verschlimmert die Situation
Das riesige Sumpfgebiet an der Südküste der USA ist ein einzigartiges Ökosystem mit seltenen Fisch-, Amphibien- und Vogelarten. Doch sowohl das Marschland im Mississippi-Delta als auch New Orleans sind dem Untergang geweiht. Täglich versinken ganze Landstriche im Wasser. In den letzten 100 Jahren wurden 5.000 Quadratkilometer vom Meer überspült. Die Gründe dafür sind vielfältig:
- Die Folgen des Klimawandels sorgen für steigende Meeresspiegel und immer heftigere Wirbelstürme
- Der Bau von Deichen begünstigt, dass das Land absackt
- Der Bau von Kanälen für die Schifffahrt und die Auswirkungen der Öl- und Gasindustrie verschlimmern die Situation
Im Golf von Mexiko spürt man den Klimawandel deutlich. "Der Meeresspiegelanstieg frisst unsere Sumpfgebiete auf", sagt Cynthia Sarthou. Die Direktorin der Umweltorganisation „Healthy Gulf“setzt sich seit fast 30 Jahren für die Rettung der bedrohten Küstenlandschaft ein. Der Süden Louisianas sei besonders betroffen, sagt die 65-Jährige, weil die immer häufiger vorkommenden Hurrikans mit ihren Sturmfluten die Erosion beschleunigen.
Paradox: Schutzdeiche oft verantwortlich für Landverlust
Tatsächlich haben schon viele Menschen die Küsten von Louisiana verlassen. Viele mussten nach den verheerenden Schäden des Hurrikans Katrina im Jahr 2005 ihre Häuser zurücklassen und sind nie wieder zurückgekehrt. Es klingt paradox, erklärt Cynthia Sarthou, aber verantwortlich für den Landverlust sind häufig Schutzdeiche, weil sie den Sedimentnachschub verhindern. In den 1940ern habe man angefangen, zum Schutz der Ortschaften am Fluss Deiche zu bauen. Das Problem:
Öl- und Gasindustrie wichtigster Wirtschaftszweig in Louisiana
Das Salzwasser lässt Bäume und Büsche absterben. Wurzeln, die sonst das Land zusammenhalten, fehlen. Dadurch ist das empfindliche Marschland der Erosion ausgesetzt und verschwindet. Gleichzeitig ist die Öl- und Gasindustrie der wichtigste Wirtschaftszweig in Louisiana. Der Bundesstaat hat die höchste Dichte an Erdölraffinerien – mit erheblichen Auswirkungen auf Mensch und Natur.
Garnelen- und Austernfischer kämpfen ums Überleben
Das sogenannte Shrimping, also die Garnelenfischerei, hat im Süden Louisianas große Tradition. Aber seit der Ölkatastrophe Deepwater Horizon im Golf von Mexiko im Jahr 2010 befindet sich die Fischerei in der Krise.
Fischer Tim, dessen hellblaues Boot „Brothers“ heißt, erzählt, dass sein Bruder den Job an den Nagel gehängt hat. Zu mühsam und nicht lukrativ genug. Die Shrimp-Industrie im Südosten Louisianas steckt in der Krise. Dafür sind nicht zuletzt Umweltverschmutzung und Klimawandel verantwortlich. Shrimps verlieren ihren Lebensraum und sterben – vor allem in der sogenannten Todeszone im Golf von Mexico. Diese „dead zone“ liegt direkt vor der Mündung des Mississippi und ist ein riesiges sauerstoffarmes und daher totes Gebiet. Verursacht durch Dünger und giftige Chemikalien, die der Fluss hier ins Meer geschwemmt hat.
Umweltschützer und Wissenschaftler arbeiten an Lösungen
Um nicht nur die Sicherheit Menschen an den Küsten von Louisiana zu gewährleisten, sondern auch die artenreiche Tier- und Pflanzenwelt in den Sümpfen zu erhalten, arbeiten Umweltschützer und Wissenschaftler seit Jahrzehnten an Lösungen.
Einer von ihnen ist Architekt und Fluss-Experte Inaki Alday. Er forscht und lehrt an der Tulane University in New Orleans. An diesem Sonntagnachmittag sitzt er auf der Veranda seines Hauses im Garden District in New Orleans. Das Problem ist, sagt der Spanier nachdenklich, dass der Mensch versucht, mit Deichen und Pumpen die Wassermassen zu beherrschen. Aber das wird auf Dauer nicht funktionieren, so Alday. Und wenn, dann nur für einen Teil der Bevölkerung.
Deiche sind Hoffnung und Problem in einem, erklärt der Wissenschaftler. Einerseits schützen Deiche die Menschen vor Hochwasser, andererseits richten sie auf Dauer Schaden an. Denn sie halten nicht nur das Wasser ab, sondern auch den Sedimentnachschub aus dem Fluss. Dadurch kann kein neues Land entstehen. Auch durch das ununterbrochene Auspumpen wird das natürliche Gleichgewicht gestört, erklärt Inaki Alday. Sümpfe und Marschen trocknen aus.
Eine Lösung ist, dem Fluss wieder mehr Raum zu geben und die natürlichen Überflutungszyklen wieder herzustellen. Straßen zum Beispiel so zu bauen, dass das Wasser bei Überspülung versickert. Häuser auf Stützen zu bauen, so dass das Hochwasser einfach unter ihnen durchfließt, schlägt der Architekt vor.
Die Umweltschützerin Cynthia Sarthou ist der gleichen Meinung. Die Flusslandschaft muss außerdem renaturiert werden, fordert sie. Mithilfe von künstlichen Nebenflüssen, die nährstoffreiche Sedimente transportieren, um nach und nach wieder Land aufzuschütten und Vögeln, Fischen und Amphibien ihren Lebensraum zurückzugeben.
Hoffnung auf konsequente Klima-Politik der Biden-Regierung
Was die Zukunft angeht, ist die Naturschützerin vorsichtig optimistisch. Eine vollständige Rettung des Deltas wird es nicht geben. Die zukünftigen Veränderungen, sagt sie, müsse man so gestalten, das sie für Natur und Mensch erträglich sind. Dabei zählt sie auf die neue US-Regierung.
Die Menschen im Mississippi-Delta sind gezwungen, sich den Veränderungen ihres Lebensraums anzupassen. Viele hoffen, dass das Überleben in den Siedlungen des Deltas zumindest noch für die nächsten 50 bis 100 Jahre gesichert ist. Was danach passiert, will sich hier niemand ausmalen.
SWR 2021