Algorithmus stell individuelles Programm zusammen
So könnte es sich in Zukunft anhören, wenn Sie das Radio einschalten: ein personalisiertes Programm, moderiert von einer KI-Stimme. Technologisch sind wir davon nicht mehr weit entfernt. Das vollautomatische KI-Radio RadioGPT, in Deutschland gerade als Big-GPT in der Testphase, braucht für den Sendebetrieb theoretisch fast keine Menschen mehr – im Programm tauchen außer in der Musik nur noch KI-Moderatorinnen und -moderatoren auf. Und bei Diensten wie NPR One des US-amerikanischen öffentlichen Radiosenders NPR oder Spotify DJ stellt ein Algorithmus ein individuelles Programm für jede Hörerin und jeden Hörer zusammen.
Aber damit es ein Radio der Zukunft gibt, muss es in Zukunft überhaupt noch Radio geben. Schon immer hatte das Radio Konkurrenz durch Tonträger wie Schallplatten, CDs oder Kassetten. Über die wird hauptsächlich Musik vertrieben. Aktuelle Wortbeiträge waren lange ein Alleinstellungsmerkmal des Radios. Seit Beginn des Jahrhunderts bekommt das Radio hier allerdings auch Konkurrenz: Podcasts. Mit relativ wenig Aufwand können auch Privatpersonen aktuelle Inhalte für alle verfügbar machen. Und der Trend geht – wie auch bei audiovisuellen Inhalten – immer mehr in Richtung on demand, also das zu hören, was ich will und wann ich will.
Um in dieser Welt zu bestehen, muss sich das Radio auf seine Stärken besinnen, sagt der Australier und selbsternannte Radiofuturologe James Cridland. Das sei vor allem die spezielle Beziehung zwischen Hörenden und Moderator*innen, die bei einer Live-Sendung entsteht und die Relevanz der Inhalte für die Hörenden. Das seien lokale oder regionale oder speziell auf die Zielgruppe zugeschnittene aktuelle Inhalte – das Wetter in der Stadt, die Fußballergebnisse von gestern Abend oder Hintergrundinfos zu dem Song, der gerade lief.
Doch live ist nicht gleich live, sagt Cridland. Allein wegen der Art der Übertragung gebe es schon eine Verzögerung. Und solange sie ihre Aktualität und Relevanz behielten, könnten Inhalte auch voraufgezeichnet sein. Das wäre für ein komplett personalisiertes Radioprogramm nötig, das diese relevanten Inhalte dann ausspielt, wenn ich sie hören will.
Lean back: zurücklehnen und Programm genießen
Dabei sollte das Programm aber nicht seinen Lean-back-Charakter verlieren, sagt Christian Hufnagel. Er leitet das ARD Audiolab, wo ständig am Radio von Morgen gearbeitet wird. Lean back bedeutet: Ich muss mir nicht überlegen, was ich hören will. Ich kann mich zurücklehnen und das Programm genießen. Das bietet auch die Möglichkeit, dass ich überrascht werden kann, mit Inhalten, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie hören will. Aber das Radio der Zukunft werde auch Interaktionsmöglichkeiten bieten: Gefällt mir ein Beitrag nicht, kann ich ihn überspringen. Gefällt mir ein Song nicht, kann ich ihn austauschen. Interessiere ich mich für ein Thema besonders, kann ich tiefer einsteigen.
Persönliche Präferenzen fließen ins individuelle Radio-Programm ein
Wie sieht das Radio der Zukunft also konkret aus? Das ist natürlich nur Spekulation, aber ein mögliches Szenario wäre das Folgende: Eine gemeinsame Plattform bietet die Möglichkeit, unter verschiedenen Anbietern auszuwählen – das, was heute die Radiosender sind. Die Plattform kann über verschiedene Endgeräte empfangen werden: Smartphones, Computer, aber auch klassisch über das Auto- oder Küchenradio. Dort bin ich mit meinem Profil angemeldet. Ist das noch neu, kann ich einen groben Überblick über meine Interessen angeben und bekomme dann schon ein darauf angepasstes Programm ausgespielt. Mit der Zeit lernt mich der Algorithmus immer besser kennen: Welche Beiträge höre ich mir an? Eher regionale, nationale oder internationale? Welche Musik höre ich am liebsten? Rock, Pop, Klassik? Höre ich lieber männliche oder weibliche Stimmen? Gibt es tageszeitliche Unterschiede in meinen Hörgewohnheiten? Aus alldem wird ein immer mehr auf mich zugeschnittenes Programm.
KI – immer für eine Überraschung gut
So bleibt es auch möglich, überrascht zu werden, wenn der Algorithmus hin und wieder Beiträge oder Songs außerhalb von meinen Interessen spielt. Durch Interaktion kann ich dem Algorithmus dann sagen: Mehr davon! Oder: Bitte nicht. Und vielleicht sind diese Inhalte von Menschen moderiert, vielleicht von einer KI-Stimme oder vielleicht auch aus einer Mischung von beiden: allgemeine Inhalte von einem Menschen, aber die ganz persönlich auf mich zugeschnittenen Inhalte sind KI-generiert und von einer von dem menschlichen Moderator geklonten Stimme. So wäre auch kein Unterschied zu erkennen.
Doch das ist noch Zukunftsmusik. Radiosender müssen sich davor auch entscheiden: Worauf legen wir Wert? Menschliche Moderator*innen? Ein überlegtes, kuratiertes Programm? Oder völlige Automation, wie bei Radio-GPT? Das Radio für tot zu erklären, dafür sei es aber zu früh, sagt James Cridland: