Clara Zetkin: Einst politische Ikone, heute weitgehend vergessen
Ihr Leben lang kämpfte Clara Zetkin für die Befreiung der Arbeiterinnen. Im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik galt sie als Ikone weiblicher Emanzipation. Trotzdem kennen heute außerhalb der Linken nur die wenigsten ihren Namen.
Wer war diese Frau, die bis heute polarisiert, aber auch inspiriert? Ein Blick ins Leben einer der wichtigsten deutschen Frauenrechtlerinnen und sozialistischen Politikerinnen Anfang des 20. Jahrhunderts.
Schon in der Jugend brennt Clara Zetkin für den Sozialismus
Geboren wird Zetkin am 5. Juli 1857 als Clara Eißner im sächsischen Wiederau. Früh schon interessiert sie sich für die Ideen des Sozialismus und engagiert sich für die Arbeiterbewegung. Zwar ist ihre Mutter selbst bürgerliche Frauenrechtlerin, die der Tochter eine Berufsausbildung zur Lehrerin ermöglicht, dennoch geht den Eltern Claras politisches Engagement zu weit.
Als 21-Jährige lernt sie den russischen Sozialisten Ossip Zetkin kennen und lieben. Nachdem das Deutsche Kaiserreich Ossip als "lästigen Ausländer" ausweist, fliehen sie gemeinsam 1882 nach Paris. Dort bekommen die Zetkins zwei Söhne. Trotz Armut sind es glückliche Jahre: Clara Zetkin findet große Erfüllung im Austausch mit politisch Gleichgesinnten.
1889 dann der Schicksalsschlag: Ossip stirbt an einer Erkrankung des Rückenmarks. Trotzdem kämpft die 32-Jährige weiter und übernimmt 1891 in Stuttgart die Zeitung "Die Gleichheit". Mit Clara als Chefredakteurin wird das anfangs dünne Blättchen mit wenigen Leserinnen zu einer wichtigen öffentlichen Plattform für Frauen. Bis 1914 steigt die Auflage auf 125.000 Exemplare.
Clara Zetkin kämpft für gleiche Löhne und gerechte Verteilung der "Care-Arbeit"
Beim Internationalen Arbeiterkongress 1889 in Paris betritt Clara Zetkin erstmals die große politische Bühne. Schnell überzeugt sie als Rednerin, Agitatorin und Organisationstalent. Und macht deutlich, wofür sie ihr ganzes Leben kämpfen wird:
- allgemeines Wahlrecht
- bessere Arbeitnehmerinnenrechte
- gleiche Arbeitsbedingungen für Männer und Frauen
- weibliches Recht auf Selbstbestimmung inklusive Abtreibung
- mehr Hilfe für alleinstehende Mütter
Außerdem pocht Zetkin auf größere Anerkennung der "kostenlosen" Sorge-Arbeit, die typischerweise an Frauen hängen bleibt. Oder wie man heute sagen würde: Care-Arbeit, also die Arbeit im Haushalt und in der Kindererziehung. Diese müsse gerechter verteilt und auch finanziell entlohnt werden. Nur so können auch Frauen ihrem Beruf nachgehen und wirtschaftlich unabhängig sein.
Bei alldem ist die glühende Sozialistin überzeugt: Ein Ende der Missstände und die volle Gleichberechtigung von Mann und Frau kann es nur außerhalb des kapitalistischen Systems geben.
Politische Verbündete, Freunde, Vertraute: Lenin und Rosa Luxemburg
Clara Zetkin wird schnell zur politischen Ikone: Als eine der ersten Frauen wählt die SPD sie 1890 in den Parteivorstand.
Doch auch außerhalb der SPD ist Zetkin politisch aktiv: Ihr Haus in Stuttgart-Sillenbuch, in dem sie mit ihrem zweiten Partner Friedrich Zundel seit 1899 lebt, bildet einen wichtigen Treffpunkt für die linke Prominenz. Sogar Lenin ist dort zu Gast. Und zu Rosa Luxemburg entwickelt Zetkin eine tiefe Freundschaft – das offenbaren Briefe zwischen beiden Frauen:
Clara Zetkins Traum von der Revolution: Verhältnis zu Moskau bleibt ambivalent
Mit den Kriegserklärungen des Deutschen Kaiserreichs im August 1914 bricht für Clara Zetkin eine Welt zusammen. Kurz darauf wird sie wegen "versuchten Hochverrats" verhaftet. Drei Monate Gefängnis, Krankheiten, soziale und politische Isolation – der Erste Weltkrieg wird zur enormen Belastungsprobe für die 58-Jährige. Der letzte Hoffnungsschimmer: die Oktoberrevolution 1917 in Russland.
Als der Krieg vorbei ist, tritt Clara Zetkin der neu gegründeten KPD bei und vertritt diese von 1920 bis 1932 im Reichstag. Außerdem ist sie Mitglied im Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale Komintern (Komintern). Aber sie will keine Reformen, sondern eine Revolution – so wie sie in Russland unter Lenin geschehen ist.
Allerdings gerät Zetkin sowohl mit der eigenen Partei als auch mit der Komintern immer wieder in Konflikt. Ihre Kritik am Moskauer Führungsstil und am Chaos in der KPD kommt nicht gut an. Das weiß der Kommunismus-Experte Marcel Bois von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg:
Was Zetkin allerdings früh beunruhigt, ist der zunehmende Faschismus. Ihr Werben für die Einheitsfront, also den Zusammenschluss der linken Kräfte gegen die erstarkende NSDAP, bleibt wirkungslos – ihr schwinden die Kräfte: Mittlerweile ist sie alt, krank und hat kaum noch politischen Einfluss.
Die Machtergreifung der NSDAP muss Zetkin noch miterleben. Am 20. Juni 1933 stirbt sie im russischen Archangelskoje und wird an der Kremlmauer beigesetzt. 400.000 Menschen kommen, um Abschied zu nehmen, Josef Stalin und Wjatscheslaw Molotow tragen ihren Sarg.
Der Internationaler Frauentag war eine Initiative von Clara Zetkin
Jedes Jahr am 8. März, dem Weltfrauentag, versammeln sich im Berliner Stadtteil Marzahn rund hundert Menschen und legen Rosen vor das Denkmal Clara Zetkins. Denn sie war Initiatorin des Internationalen Frauentags.
Die Idee dahinter entsteht bei der Zweiten Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen. Ein Jahr später, im März 1911, findet er zum ersten Mal statt und wird ein voller Erfolg. Allein in Berlin gehen über 30.000 Frauen auf die Straße.
Dennoch hat Clara Zetkin im öffentlichen Gedächtnis der Bundesrepublik– anders als ihre Freundin Rosa Luxemburg – keinen großen Platz. Womöglich liegt das an ihrer Rolle als stramme Kommunistin, die vor der Wende in Westdeutschland nicht vermittelbar war. Dabei hat sie für die Frauen so viel erkämpft.
90 Jahre nach dem Tod von Clara Zetkin kämpfen Frauen weltweit immer noch für ihre Rechte. In vielen Ländern werden über Jahrzehnte erzielte Fortschritte sogar zurückgebaut. Zetkins Traum von einer echten Gleichberechtigung von Mann und Frau scheint in weiter Ferne.
SWR 2023