Der Affe in uns
Schimpansen gelten als Machtfanatiker und Bonobos als Kreuzung zwischen Dalai Lama und Alice Schwarzer. Was ist dran an diesen Zuschreibungen? Die Antwort betrifft uns Menschen.
Denn welcher Affe in uns steckt, ob Schimpanse oder Bonobo, ist etwa hinsichtlich der Frage wichtig, ob und wie gerechtere Gesellschaften möglich sind. Ist unser innerer Primat ein Schimpanse, müssen wir gegen unsere Natur ankämpfen – weil speziell die Männchen von Pan troglodytes machtgierig und aggressiv sind.
Ist in uns hingegen ein Bonobo verborgen, müssen wir unserer Natur lediglich freien Lauf lassen. Denn bei Pan paniscus geht's friedlich zu, Weibchen geben den Ton an, und Sex ölt die Gemeinschaft.
Bonobo-Frauen sind in Wahrheit fast wie Schimpansenmänner
Die Anthropologin Amy Parish studierte die Beziehungen unter den Bonobofrauen, speziell die Facette von gleichgeschlechtlichem Sex. Die Partnerinnen liegen dabei Bauch-auf-Bauch und reiben die für die Gattung Pan typischen Schwellungen der Ano-genital-Region aneinander. Das dient nicht der Ersatzbefriedigung.
Vor allem rangniedere Weibchen initiieren Sex, während ranghohe häufig die Top-Position einnehmen. Subordinierte verschaffen ihren Partnerinnen also Lusterlebnisse – und diese positiven Gefühle erleichtern die Kooperation.
Sexualität entpuppt sich dadurch nicht als Methode des Friedenstiftens, wie es das Blumenkinder-Motto "make-love-not-war" nahelegt, sondern als ein sozialer Schachzug, mit dem Weibchen Machtverhältnisse zu ihren Gunsten verschieben.
So entdeckte Parish: Bei Bonobos sind die Weibchen dominant – wobei sie in perfekter Umkehr schimpansischer Verhältnisse häufig handgreiflich gegenüber Männchen werden.
Wie bei Schimpansen sind Männchen um ein Fünftel schwerer und deshalb körperlich überlegen. Frauenpower lässt sich gleichwohl ausüben, weil Bonobo-Weibchen zusammenarbeiten. Aufbauend auf ihrem homosexuellen Sex bilden sie Koalitionen, und greifen Männchen gemeinsam an, um sie in die Schranken zu weisen oder ihnen Nahrung streitig zu machen.
Ursachen für das Matriarchat der Bonobos
Schimpansen haben es schwer, sie müssen planen und verbrauchen viel Energie, um an ihre Nahrungsquellen zu kommen. Ganz anders die Bonobos: Sie können sich unter den Kronendächern des Regenwalds entspannen, dort finden sie üppige Nahrungsquellen.
Und das mildert bei ihnen einen möglichen Streit ums Essen ab, was wiederum zu freundlichem Gruppenverhalten führt. In der Tat ziehen Salonga-Bonobos in relativ vielköpfigen Grüppchen von durchschnittlich 6 bis 7 Artgenossen herum – während die kargere Umwelt die Gashaka-Schimpansen erheblich einzelgängerischer macht.
Die größeren Grüppchen der Bonobos ermöglichen es den Weibchen, ihre Beziehungen zu pflegen und Koalitionen einzugehen. Weil sie quasi in einer riesigen Salatschüssel leben, wo ihnen das Futter oft sprichwörtlich in den Mund wächst, können Bonobos ein Matriarchat errichten.
Volker Sommer ist Anthropologe und lehrt am University College of London. Im Urwald von Gashaka im westafrikanischen Nigeria leitet Sommer das Gashaka Primate Project.
SWR 2021