In Japan hat Arbeit einen hohen Stellenwert
Die Renten in Japan sind bescheiden, die Altersarmut ist hoch. Und für die meisten Menschen in Japan hat Arbeit einen hohen Stellenwert, auch im Alter.
Dies entspricht dem Ideal der Regierung in Tokio, die eine "100-jährige Gesellschaft" ausgerufen hat: Jeder Japaner, jede Japanerin soll lebenslang aktiv bleiben. Das gilt auch für die Erwerbsarbeit.
So wie Emiko Kumagai, mit 79 Jahren die älteste Mitarbeiterin beim Elektronikanbieter Nojima. Sie arbeitet vier Tage in der Woche, insgesamt 18 Stunden. Sie lebt mit ihrer Tochter zusammen, der Ehemann ist verstorben.
Jeder vierte Rentner in Japan arbeitet weiter
Tatsächlich ist jeder vierte Rentner in Japan erwerbstätig, im Alter zwischen 65 und 69 Jahren sogar jeder zweite. In der Altersarbeit liegt Japan zusammen mit Südkorea weltweit an der Spitze.
Viele japanische Ökonomen drängen sogar darauf, die Altersarbeit noch stärker zu fördern. Das gesetzliche Rentenalter wurde in Japan wurde gerade erst schrittweise auf 65 Jahre erhöht. Und in Zukunft soll jeder Japaner, jede Japanerin selbst entscheiden, bis zu welchem Alter er oder sie erwerbstätig bleiben will.
Gleiche Arbeit, 40 Prozent weniger Lohn – Gewerkschaften protestieren
Wer nach 60 auf seinem bisherigen Arbeitsplatz weitermachen will, muss allerdings einen neuen Arbeitsvertrag bekommen. Und an dieser Stelle darf das Unternehmen den Lohn kürzen, im nationalen Durchschnitt derzeit um 40 Prozent.
Die Regierung ignoriert Proteste von Gewerkschaften bisher – aus Sorge, dass die Firmen die über 60-Jährigen wegen zu hoher Kosten nicht mehr weiterbeschäftigen.
Lebenslange Beschäftigung: Studium als Alternative zur Erwerbsarbeit
Unterdessen bietet eine wachsende Zahl von japanischen Universitäten kurze maßgeschneiderte Studiengänge für Senioren an. Wie an der Rikkyo-Universität in Tokio: Von den 20.000 Studierenden besuchen rund 100 jedes Jahr ein spezielles Studienkolleg für Senioren. Darunter die 63-jährige Noriko Sudo.
Knapp ein Viertel der japanischen Senior-Studierenden denkt ebenfalls laut Umfrage nicht gleich an Arbeit oder Soziales. Diese Gruppe möchte stattdessen durch das Studium neue Kontakte knüpfen – über Familie und bisherige Arbeitskollegen hinaus.
Im Altersheim leben und arbeiten: Schließservice, Bio-Gemüse und Ziegen
Das Konzept der lebenslangen Beschäftigung reicht inzwischen sogar bis in die Altersheime hinein. Zum Beispiel das Heim "Petit Monde", Kleine Welt. Es liegt in der Stadt Sakura, eine Autostunde nördlich von Tokio in der Nähe des internationalen Flughafens Narita.
Ein Bewohner des Altersheims ist für das Öffnen der Eingangstüren am Morgen und ihr Schließen am Abend zuständig. So wurde dafür extra auf eine automatische Schließanlage verzichtet. Andere Bewohner bauen Bio-Gemüse an, einige helfen beim Putzen. Und Toshikazu Sato betreut zwei Ziegen und drei Hasen in einem Außenstall. Man findet ihn bei jedem Wetter draußen.
Erwerbsarbeit kann also bis zum Lebensende weitergehen. Und Japan setzt darauf, der alternden Gesellschaft ein menschliches und positives Gesicht zu geben.
SWR 2022