Fiebrig! Manisch! Besessen! In den Versuchen, das Schlagzeugspiel von Christian Lillinger zu beschreiben, mischt sich Faszination oft mit einer gewissen Sprachlosigkeit. Und nicht selten werden seine Auftritte mit einer Art von Wahnsinn in Zusammenhang gebracht. Dabei ist Lillinger alles andere als ein Verrückter. Vielmehr ist er jemand, der seinen Beruf ernst nimmt.
Ein dem Außergewöhnlichen verpflichteter Schlagzeuger
Christian Lillinger ist Künstler und als solcher dem Außergewöhnlichen verpflichtet. Ungewöhnlich mag das nur denjenigen erscheinen, die im Jazz eher einen Lifestyle sehen als einen kreativen Prozess, eher „anspruchsvolle Popmusik“ als eine eigene Kunstform. Lillingers Musik aber ist eine Herausforderung. Der 33-Jährige spielt so virtuos Schlagzeug, dass es manchmal kaum möglich scheint, als Hörer seinem Tempo, seinen komplexen Rhythmen, seinen vielen Ideen zu folgen. Muss man aber auch nicht, denn Intensität und pulsierende Spielenergie übertragen sich auch ohne dass man alles versteht von dem, was er da tut.
Christian Lillinger im Portrait bei Kunscht!
Schon als Kind hochbegabt
Ein Hochbegabter war Christian Lillinger schon als Kind, unter Gleichaltrigen in seinem brandenburgischen Heimatdorf Kruschkow ein Außenseiter. Mit 16 Jahren wird er Jungstudent an der Dresdner Musikhochschule, hat Unterricht bei Günter Baby Sommer und Michael Griener. Schon vor dem Diplom (mit Auszeichnung natürlich) zieht es ihn Anfang der 2000er allerdings nach Berlin. Hier, in einer der vitalsten Musikszenen Europas, trifft er nicht nur Gleichgesinnte wie die Saxofonisten Philipp Gropper, Wanja Slawin oder Tobias Delius, die Bassisten Robert Landfermann oder Petter Eldh, den Pianisten Achim Kaufmann, den Vibraphonisten Christopher Dell oder den Gitarristen Ronny Graupe. Er findet vor allem auch Impulse aus den verschiedensten stilistischen Richtungen: Jazz, Hiphop, Noise, Neue Musik, freie Improvisation – Lillinger saugt alles auf, probiert sich in den unterschiedlichsten Konstellationen aus, gründet die ersten eigenen Bands und – arbeitet auch nach Abschluss seines Studiums daran, die technischen und klanglichen Grenzen seines Spiels weiter auszudehnen. Es geht immer noch komplexer, noch präziser, noch nuancierter.
Internationales Aushängeschild der jungen deutschen Jazzszene
Neben dem musikalischen Talent und seiner extrem regen Konzerttätigkeit ist es sicher diese Übedisziplin, die Lillinger innerhalb kürzester Zeit zu einem der meistgefragten Schlagzeuger Berlins macht, arrivierte Kollegen wie der Pianist Joachim Kühn werden auf ihn aufmerksam.
Inzwischen gilt er als ein auch international für Furore sorgendes Aushängeschild der jungen deutschen Jazzszene. Das ist insofern bemerkenswert, als dass er sich den gängigen Marktmechanismen eigentlich immer konsequent entzogen hat, die Rolle des medial gut vermarktbaren Überfliegers oder die des charismatischen Coverboys nicht annimmt. Ganz im Gegenteil. Christian Lillinger sieht seine Musik als einen Beitrag gegen das Diktat des Mainstreams und – das betont er immer wieder auch in Interviews – durchaus auch als ein politisches Statement – gegen die neoliberalen Tendenzen in unserer Gesellschaft samt Konformitätsdruck und Effizienzgeheiß.
Jazzschlagzeuger zu sein, bedeutet für Christian Lillinger nicht nur, bestimmte musikalische Traditionen weiterzudenken und auszureizen, sondern auch Haltung zu zeigen für den Kollektivgedanken und den Freiheitsanspruch dieser Kunstform. Das kann man verrückt nennen – oder konsequent. In jedem Fall ist dieser Mann ein großes Glück für den Jazz.