Thomas Loewner, langjähriger Mitarbeiter der SWR-Jazzredaktion, hat die Proben zum NEWJazzMeeting beobachtet.
Es ist soweit: das SWR NEWJazzMeeting 2012 hat begonnen! Seit Montag proben im SWR Studio Freiburg acht improvisierende Musiker unter der Leitung des in Köln lebenden Tubisten Carl Ludwig Hübsch: Matthias Schubert, Tenorsaxophon; Wolter Wierbos, Posaune; Isabelle Duthoit und Joris Ruehl, Klarinetten; Philip Zoubek, Piano; Christian Lillinger, Schlagzeug und an den Electronics Joker Nies.
Die Stücke, die er für sein Ensemble "hübsch acht" konzipiert hat, nennt Hübsch "Komposition – Kommunikation – gefährliche Manöver". Ein Titel, der auch gut den ersten Probentag beschreibt.
kk
Komposition
Auch wo improvisiert wird, geht nichts ohne Noten. Carl Ludwig Hübsch hat ordentlich was an Material vorbereitet für sein Ensemble: vertrackte Rhythmen, gegenläufige Stimmen und komplexe formale Strukturen. Ab dem ersten Moment ist höchste Konzentration von den Musikern gefordert.
Am Montag wurde von 11 Uhr bis gegen 20 Uhr geprobt. Dazwischen gab es nur kurze Pausen: schnell was trinken, ein Stück Obst oder was Süßes; versuchen, die vielen Infos zu verarbeiten und danach direkt weiter im Programm. Gleich der erste Tag hatte es also in sich. Ein großes Ganzes war danach erst vage zu erkennen.
Es wird also spannend zu beobachten, wie sich die Komposition von Carl Ludwig Hübsch im Laufe der Woche weiter entwickelt.
Am Dienstag finden sich die Musiker immer besser in der Komposition zurecht. Zwar ist noch immer viel Kleinarbeit erforderlich, aber Schritt für Schritt führt Carl Ludwig Hübsch das Ensemble mit einer gut ausbalancierten Mischung aus Beharrlichkeit und Einfühlungsvermögen für individuelle Schwierigkeiten durch die einzelnen Abschnitte. Mit der Sicherheit kommt auch die Lockerheit: immer häufiger wird gelacht und Carl Ludwig Hübsch lässt schon mal die Zügel lockerer, wenn eine Passage Form annimmt – das mögen improvisierende Musiker.
Dienten die Proben der letzten zwei Tage dazu, mit dem Material vertraut zu werden, wird am Mittwoch zum ersten Mal aufgenommen. "hübsch acht" spielen jetzt größere zusammenhängende Passagen. Das Puzzle nimmt langsam Form an, Unterbrechungen werden seltener. Fragen, wie lang etwa der Nachhall des Klaviers an einer bestimmten Stelle sein soll oder ob sich Carl Ludwig Hübsch einen Seufzer von Isabel Duthois an dieser oder einer anderen Stelle wünscht, müssen nicht mehr so ausführlich besprochen werden.
Kommunikation
Sie ist der Schlüssel zur Musik, die Hübsch für dieses NEWJazz Meeting konzipiert hat. Aber sie entpuppte sich am ersten Tag gleichzeitig als die größte Herausforderung: Die Musiker sind noch auf der Suche nach der passenden Bühnenaufstellung, die es ihnen ermöglicht, sich gegenseitig zu hören und Blickkontakt herzustellen, damit es am Ende klappt mit der Kommunikation. Die Ensemblemitglieder müssen sich noch "finden".
Hier kommt auch ganz entscheidend die Technik-Crew des SWR zum Zug: Monitorboxen werden umgestellt, Instrumente anders platziert, Mikrofone nachjustiert. Auf der Suche nach der besten Aufstellung geht es häufig um Zentimeter, damit am Ende die Musiker optimal aufeinander hören können aber auch der Sound stimmt – und das nicht nur bei den Aufnahmen, die während der gesamten Proben stattfinden, sondern auch im Saal.
Denn am Ende der Woche gibt es dann ja auch dieses Jahr wieder die traditionelle öffentliche Generalprobe und eine anschließende Tournee mit Konzerten in drei Städten.
Am Dienstagmorgen stand vor Probenbeginn erst einmal eine Änderung der Bühnenaufstellung auf dem Plan: nach den Erfahrungen von gestern haben die Musiker beschlossen, näher zusammen zu rücken. Den breiten Halbkreis, in dem jeder neben dem anderen seinen Platz eingenommen hatte, gibt es nicht mehr.
Stattdessen sind jetzt Schlagzeug, Elektronik und Piano in zweiter Reihe aufgebaut, vor ihnen sitzen die Bläser. Der Effekt ist enorm: nicht nur dass "hübsch acht" jetzt auch optisch viel mehr wie eine Band wirken, die Gruppe ist auch klanglich wesentlich kompakter, vor allem auch, weil die Musiker sich untereinander viel besser hören als noch gestern. Philip Zoubek etwa ging da mit seinen leisen Tönen auf dem präparierten Klavier im Ensembleklang ziemlich unter. Davon ist heute nichts mehr zu merken.
Die Aufnahmesituation macht noch mal ein paar Umstellungen nötig: klingt das Klavier besser mit oder ohne Deckel? Also Deckel abmontiert und ausprobiert. Das Ergebnis überzeugt aber nicht, weshalb der Deckel jetzt doch dran bleibt. Ein Klickpedal, mit dem Carl Ludwig Hübsch seinen Musikern "cues" gibt, also Zeichen, wenn ein neuer Formteil beginnt, ist auf der Aufnahme zu hören. Per Handzeichen kann er sie aber auch nicht geben, zumindest nicht alle – da spielt es sich so schlecht Tuba. Macht aber nichts, an diesen Stellen springen jetzt Kollegen aus der Band ein.
Gefährliche Manöver
Wer in diesen Tagen den Schlossbergsaal des SWR Studios in Freiburg betritt, muss gut aufpassen, wo er hintritt: der Boden ist übersät mit Kabeln, Mikrofon- und Notenständer stehen dicht gedrängt und Instrumente liegen auf Tischen und Stühlen, wenn sie gerade nicht gespielt werden. Bei acht Musikern, die an eine Verstärkeranlage angeschlossen sind und zusätzlich aufgenommen werden, kommen einige Meter Kabel zusammen.
Außerdem arbeitet Carl Ludwig Hübsch für sein diesjähriges Projekt mit einem Bildschirm, auf dem die Musiker Infos zum formalen Ablauf angezeigt bekommen. In einem Teil der Komposition tragen sie außerdem Funkkopfhörer, auf denen sie Signale von Joker Nies, dem Elektroniker des Ensembles, zugespielt bekommen.
Schon der erste Probentag hatte gezeigt: das NEWJazz Meeting 2012 ist eine Herausforderung für Musiker und Techniker. Alle die wissen möchten, was am Ende der Woche dabei herauskommt, sind herzlich eingeladen zur Generalprobe im Studio Freiburg sowie den Konzerten in Mannheim, Köln und Zürich.