„Chaos statt Musik“: Schostakowitschs frühe Cellosonate gerät in die Wirren stalinistischer Kulturbürokratie, die durch heftige Angriffe die Musik des Komponisten zu diskreditieren versucht. Im Laufe der 1930er-Jahre muss er nicht nur um seine Stellung und sein Ansehen, sondern auch um sein Leben fürchten.
„Chaos statt Musik“
Dmitrij Schostakowitsch komponierte seine Cellosonate 1934, in einer Zeit, da er mit seinen beiden ersten Opern „Nos“ (Die Nase) und „Lady Macbeth von Mzensk“ aufgrund ihrer „anarchischen“ Haltung Schiffbruch erleiden musste. Stalin nahm an der „disharmonischen chaotischen Flut von Tönen“ Anstoß und sorgte für Aufführungsverbote.
Im Rahmen der „Säuberungen“ der politischen und kulturellen Elite der 1930er-Jahre hatte auch Schostakowitsch – wie so viele seiner Freund*innen, Kolleg*innen und Familienangehörigen – wegen angeblicher „antidemokratischer“ Tendenzen in seiner Musik um sein Leben fürchten müssen.
Klassische Proportionen und kantable Melodien: eine trügerische Idylle?
Im Frühsommer 1934 traf Schostakowitsch während eines Erholungsaufenthalts den ehemaligen Solocellisten des Bolschoi-Theaters Viktor Kubatzki. Für ihn komponierte er die Cellosonate und führte sie am 25. Dezember desselben Jahres zusammen mit ihm in Leningrad erstmals auf.
Vielfach wurde Schostakowitsch unterstellt, dass er sich in diesem Werk bereits mit einer gemäßigten Tonsprache den Positionen der staatlich verordneten Ästhetik unterworfen habe: mit wohlgeformten klassischen Proportionen, klangvollen und vor allem lyrischen Passagen und Melodielinien.
Dass die Sonate von Anfang an begehrt bei Solist*innen und Zuhörer*innen war, sowohl im Inland als auch bei internationalen Cello-Stars wie Gregor Piatigorsky und Pierre Fournier, die sie sofort ins Repertoire nahmen, trug nicht unerheblich zu ihrem Ruf als weitgehend unproblematisches Werk bei.
Verschlüsselten Botschaften
Unterzieht man die Sonate aber einer genaueren Prüfung, so sind auch hier bereits kunstvolle Verweigerungen und Brechungen zu erkennen, die typisch für Schostakowitschs Instrumentalmusik der späteren Jahre werden sollten.
Eindrucksvolles Beispiel im Eingangs-Allegro ist der Umschwung zum abschließenden fahlen Largo, einer langsamen, geisterhaften Wiederholung des eigentlich romantischen Hauptthemas, die aber mit dem Anfang nicht mehr als das gerüstartige Motivmaterial gemeinsam hat. Es bleibt als eine berührende Anklage im Raum stehen.
Und die atemlos schnellen Sätze karikieren im hämmernden Scherzo und mit den grotesken Marsch- und Jazzelementen des Finalsatzes die von offizieller Seite gewünschte volksmusikalische Ausrichtung aufs Heftigste.
Nonkonformismus durch rhetorisch aufgeladene Tonsprache
Schostakowitschs Cellosonate ist ein zentrales Werk der frühen Jahre, weist sie doch mit ihren ironischen Brechungen und Verfremdungseffekten auf den weiteren Weg des Komponisten, der seinen Protest gegen die herrschenden Verhältnisse als verschlüsselte Botschaften in seiner Instrumentalmusik unterzubringen wusste.
Mit seiner rhetorisch aufgeladenen Tonsprache versucht Schostakowitsch, seine Art von Nonkonformismus darzustellen und auch nach außen zu tragen – eine Gratwanderung, die den Komponisten oft gefährlich nah an den Abgrund gebracht hat.
CD-Tipp Das Geschwisterpaar Anouchka und Katharina Hack beeindruckt mit Schostakowitsch
Die Cellistin Anouchka Hack und die Pianistin Katharina Hack sind 24 und 26 Jahre jung – und die beiden Schwestern haben sich für ihre gemeinsame Debüt-CD nichts Geringeres ausgesucht als die Cello- und die Bratschensonate von Dmitri Schostakowitsch. Dessen allerletzte Komposition aus dem Jahr 1975 erklingt dabei in Daniil Shifrins Übertragung für Violoncello — eine beeindruckende und reife Interpretation.
Musikgespräch Die Geigerin Franziska Pietsch
Die Geigerin Franziska Pietsch ist auf ihrem Weg direkt beeinflusst durch die deutsch-deutsche Geschichte: in den 70er-Jahren startet sie in Ostberlin eine staatlich geförderte Bilderbuchkarriere. Als sich ihr Vater in den Westen absetzt, scheint alles vorbei. Wenige Jahre später geht Franziska Pietsch mit 16 Jahren ebenfalls in den Westen und erobert sich hier ihren Platz, als Solistin vor allem mit den Violinkonzerten von Bartók, Prokofjew und Schostakowitsch.