Musikstück der Woche vom 3. bis 9.10.2011

Schwarzbrot und Kaviar

Stand
Autor/in
Doris Blaich

Edvard Grieg: Klavierkonzert a-Moll op. 16

Grieg hat nur dieses eine Instrumentalkonzert geschrieben - und das wurde gleich sein großer Wurf. In unserem Musikstück der Woche spielt Markus Groh den Klavierpart, das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR begleitet. Eivind Aadland steht am Dirigentenpult. Der Live-Mitschnitt stammt vom Juni 2007 aus der Stuttgarter Liederhalle.

Grieg hat sich zeit seines Lebens mit den kleinen musikalischen Formen lieber auseinandergesetzt als mit den großen sinfonischen. Seine einzige Sinfonie, auf Anregung seines dänischen Lehrers Niels Wilhelm Gade begonnen, landete halbfertig in der Schublade und wurde nicht mehr hervorgeholt. Das Klavierkonzert a-Moll, Griegs einziges Instrumentalkonzert, ist eines der wenigen Werke, in denen sich der Komponist mit großangelegter musikalischer Architektur befasste.

Im Sommer 1868 – mit fünfundzwanzig Jahren – machte er sich in der Abgeschiedenheit eines Gartenhauses im dänischen Sölleröd (nahe Kopenhagen) an die Arbeit. Seine gerade zwei Monate alte Tochter Alexandra und seine Frau Nina, eine bedeutende Interpretin seiner Vokalwerke, begleiteten ihn in die dänische Sommeridylle. Griegs Plan, bis zum Herbst die Komposition abgeschlossen zu haben, um das Konzert an Weihnachten uraufführen zu können, erfüllte sich indessen nicht. Es blieb in diesem Sommer bei Skizzen und Entwürfen, und der Kompositionsprozess zog sich bis weit ins nächste Jahr hin.

Edvard Grieg

Die Uraufführung am 3. April 1869 in Kopenhagen war Griegs Durchbruch als Komponist. Das Publikum – darunter die musikinteressierte Königin Louise, zahlreiche Komponistenkollegen und der Klaviervirtuose Anton Rubinstein, der seinen Konzertflügel zur Verfügung stellte – war hingerissen von dem Werk und mehrmals wurde die Aufführung von stürmischem Beifall unterbrochen; nicht nur zwischen den Sätzen, sondern auch nach der großangelegten Kadenz im ersten Satz. Edmund Neupert, der Pianist der Uraufführung, schrieb an den in Norwegen gebliebenen Grieg: „Am Sonnabend erklang Ihr göttliches Konzert im großen Saal des Casinos. Ich feierte dabei einen wahrhaftig großartigen Triumph. Schon nach der Kadenz im ersten Teil brach im Publikum ein wahrer Sturm aus. Die drei gefährlichsten Kritiker, Gade, Rubinstein und Hartmann [dänischer Komponist, Schweigervater Gades], saßen in der Loge und applaudierten aus voller Kraft.“

Ein Lob von Liszt 

Auch Franz Liszt, den Grieg 1870 während eines Studienaufenthalts in Rom traf, war von dem Klavierkonzert beeindruckt. Stolz berichtete Grieg seinen Eltern, wie Liszt sein Konzert am Klavier studierte: „Eine ganz göttliche Episode darf ich nicht vergessen. Gegen Ende des Finales wird, wie Ihr Euch vielleicht erinnert, das zweite Thema in großem fortissimo wiederholt. In den letzten Takten, in denen die erste Note gis von der ersten Triole des Orchesterthemas zu g verändert wird, während das Klavier in einer großen Skalenfigur die ganze Klaviatur durchläuft, unterbrach er plötzlich, erhob sich in seiner vollen Größe, verließ das Klavier und ging mit gewaltigen theatralischen Schritten und erhobenem Arm durch die große Klosterhalle und sang nahezu brüllend das Thema. Beim oben erwähnten fortissimo streckte er wie ein Imperator seinen Arm aus und rief: ‚g, g, nicht gis! Famos!‘“

„Zuletzt sagte er mit einer seltsamen, innigen Betonung, indem er mir mein Werk wiedergab: ‚Fahren Sie fort, ich sage Ihnen, Sie haben das Zeug dazu, und – lassen Sie sich nicht abschrecken!‘ Diese Schlußworte haben für mich unendlich viel Bedeutung. Es lag etwas darin, das ihnen eine gewisse Weihe gab. Manchmal, wenn Enttäuschung und Bitterkeit kommen, werde ich seiner Worte gedenken, und die Erinnerung an jene Stunde wird eine wunderbare Macht bewahren und mich in Tagen des Mißgeschicks aufrecht halten.“

Zur Musik

Trotz der vielen lobenden Stimmen – es gab auch Kritiker, die Griegs Konzert ein heilloses Durcheinander an musikalischen Themen unterstellten, und die ihm vorwarfen, zu sehr im Fahrwasser von Robert Schumanns Klavierkonzert zu schwimmen. Doch mit Schumanns Konzert teilt Griegs Werk außer der Tonart allenfalls einige Details in der melodischen Gestaltung und die Idee, den Kopfsatz mit einer gebieterischen Klanggebärde des Klaviers zu eröffnen: Griegs Allegro molto moderato beginnt mit einer vollgriffigen, rhythmisch prägnanten Kaskade, die sich von höchster Höhe in Dreiklangsbrechungen über sechs Oktaven abwärts stürzt. Dann stellen die Bläser im pianissimo das rhythmisch punktierte, aus kurzen, eintaktigen Phrasen zusammengesetzte Hauptthema vor. Die Streicher greifen es auf und lassen es nach einer großen dynamischen Steigerung wieder ins Piano zurücksinken. Dieses Hauptthema wird den gesamten Satz dominieren und im weiteren Verlauf eine erstaunliche Wandlungsfähigkeit zeigen: Mal wirkt es – mit Seufzerfiguren ausgestattet – wehmütig, mal pathetisch in der Glorie des vollen Klanges. Zuletzt, in der virtuosen Solokadenz, eignet ihm ein ganz neuer, herrischer Charakter, wenn es sich immer wieder auf Neue gegen grollend-donnernde Läufe durchsetzt.

Der zweite Satz, ein Adagio in Des-Dur, ist dagegen ganz verinnerlicht im Gestus. Eine apart harmonisierte, von den gedämpften Streichern vorgetragene Melodie rollt einen roten Teppich für das Soloinstrument aus. Dieses bewegt sich darauf mit filigranen Arabesken in hoher Lage, die sich als Umspielung des Beginns des ersten Satzes entpuppen.

Im dritten Satz gelang es Grieg, zwei ganz unterschiedliche Sphären zusammenzubringen: Das „Schwarzbrot“ (wie er es einmal bezeichnete) der norwegischen Volksmusik verbindet sich mit „Austern und Kaviar“ der Kunstmusik zu einem musikalischen Bankett. Ein kerniges Hauptthema, das dem norwegischen Springtanz Halling nachempfunden ist, begegnet einem Mittelteil, in dem sich über flirrenden Streichertremoli eine zarte Flötenmelodie erhebt. Zwei Solokadenzen des Klaviers sind intarsienartig eingefügt. In der Coda wartet Grieg mit all den Mitteln auf, die für apotheotische – und Beifall erntende – Schlusswirkungen zur Verfügung stehen: Streichertremoli in hoher Lage, Bläserakkorde, die diese an Höhe noch überbieten, auftrumpfende Fanfarenklänge der Blechbläser, Paukenwirbel und rauschende Klavierarpeggien.

Marcus Groh

Seine Interpretationen zeichnen sich aus durch eine "Symbiose von Furor und Poesie", jubelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung über den Pianisten Markus Groh, und die Inquirer Music Critic ernannte sein Klavierspiel zum "neuen modernen Standart". Seit der 1970 geborene Pianist als erster Deutscher den ersten Preis beim Königin-Elisabeth-Wettbewerb 1995 in Brüssel gewann, hat er sich international als einer der vielseitigsten Pianisten seiner Generation etabliert.

Heute konzertiert er mit international renommierten Klangkörpern wie dem New York Philharmonic Orchestra, dem Philadelphia Orchestra, dem San Francisco Symphony, dem London Symphony Orchestra, den Petersburger Philharmonikern, Budapest Festival Orchestra, dem Orchestre National de Belgique, dem Orchestre Philharmonique de Monte Carlo, dem Beijing Symphony, dem New Japan Philharmonic und Tokyo Philharmonic Orchestra. Dabei arbeitete er mit Dirigenten wie Kent Nagano, Neeme Järvi oder Ivan Fischer. In Deutschland spielt er u.a. mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, den Bamberger Symphonikern sowie dem MDR-Sinfonieorchester und dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR.

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Autor/in
Doris Blaich