Musikstück der Woche vom 14.10.2013

Schumann auf Rollschuhen

Stand
Autor/in
Doris Blaich

Robert Schumann: Sinfonische Etüden für Klavier op. 13, gespielt von Nikolai Tokarev

Als "Mischung aus jungem Großfürst und lässigem Skater" bezeichnet die Zeitschrift "Madame" Nikolai Tokarevs äußere Erscheinung. Mindestens ebenso sportlich-kraftvoll wie großfürstlich-brillant ist auch sein Klavierspiel. Eine Live-Aufnahme von Schumanns Sinfonischen Etüden ist unser SWR2 Musikstück der Woche. Das Konzert fand im Rahmen der SWR-Konzertreihe "Internationale Pianisten in Mainz" im Herbst 2010 statt.

"Wer bin ich? Und wenn ja wie viele?" – diese Frage hat sich Robert Schumann oft gestellt, manchmal im Scherz, manchmal aber auch ernsthaft und angstvoll. In jungen Jahren war seine Antwort: "Ich bin mindestens drei – Eusebius, Florestan und Meister Raro". Mit den Pseudonymen Eusebius und Florestan unterschrieb Schumann seine Musikkritiken. Dahinter verbergen sich Schumanns gegensätzliche musikalische Charakterzüge. Florestan steht für den neugierigen Avantgardisten, Eusebius für den besonnenen Traditionalisten. Zwischen den beiden steht als Vermittler die Figur des Meister Raro.

Eusebius und Florestan waren in Schumanns Sinfonischen Etüden für Klavier auch kompositorisch am Werk: Jede dieser 12 Variationen lässt sich einem der beiden Charaktere zuschreiben. Schumann hatte zunächst sogar geplant, die Variationen anonym herauszugeben unter dem Titel: „Etuden im Orchestercharakter von Florestan und Eusebius“ – was er dann allerdings wieder verwarf.

Hauptmann von Fricken liefert das musikalische Thema

Schumann schrieb die Sinfonischen Etüden 1834, mit 24 Jahren. Das Thema dieser Variationen stammt vom Adoptiv-Vater seiner damaligen Geliebten Ernestine von Fricken. Hauptmann a.D. von Fricken war ein begabter Amateurmusiker, spielte Flöte und hatte auch schon einige Variationen über sein schlichtes, ernstes Thema verfasst. Schumann griff das Thema mit Begeisterung auf und erfand dazu 12 Variationen unterschiedlichsten Charakters in freier phantasieartiger Form. Dabei entlockt er dem Klavier geradezu orchestrale Qualitäten. Im triumphalen Finale (der 12. Variation) kombiniert er das Thema mit einer neuen Melodie, die er einer damals populären Oper entnommen hat: Heinrich Marschners "Der Templer und die Jüdin". "Du stolzes England, freue dich!", lautet der ursprüngliche Text zu dieser Melodie - eine Hommage an den Widmungsträger, Schumanns englischem Komponisten-Freund William Sterndale Bennett.

Der Variationszyklus wurde für Schumann schnell ein Erfolgsstück. Die Liebelei mit Fräulein von Fricken verlief dagegen im Sande. Bald darauf eroberte Clara Wieck Schumanns Herz.

Der Pianist Nikolai Tokarev

Nikolai Tokarev wurde 1983 in Moskau geboren und entstammt einer musikalischen Familie. Sein Vater ist Konzertpianist, seine Mutter Cellistin. Er begann seine musikalische Ausbildung 1988 an der renommierten Gnessin Musikschule in Moskau, die er 2001 mit Auszeichnung abschloss. 2004 bis 2006 studierte er am Royal Northern College of Music in Manchester bei Dina Parakhina. Sein Post Graduate Studium machte er in Düsseldorf bei Barbara Szczepanska an der Robert-Schumann-Hochschule.
1989 debütierte er mit sechs Jahren mit einem Soloabend in Moskau. Im Alter von 14 Jahren begann er in Europa und Japan zu konzertieren. 2000 wurde Tokarev Preisträger beim "10. Eurovision Grand Prix of Young Musicians" in Bergen, Norwegen. Im gleichen Jahr trat er in Tokyo mit dem Yomiuri Nippon Symphony Orchestra unter Gerd Albrecht auf. Im September 2006 erhielt er den "Orpheum Public Award" beim 8. Internationalen Orpheum Musik Festival in der Tonhalle Zürich.

Im gleichen Jahr erspielte er sich den 2. Preis und den Publikumspreis beim "Géza Anda-Wettbewerb" in Zürich. Nikolai Tokarev gastiert regelmäßig bei internationalen Festivals – unter anderem bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen, beim Schleswig-Holstein Musik Festival, dem Rheingau Musik Festival, beim Kissinger Sommer, dem Davos Musik Festival und den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern. Er konzertiert mit zahlreichen Orchestern, unter anderem mit den Münchner Philharmonikern, dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, dem Gstaad Festival Orchestra und dem BBC Philharmonic Orchestra. Nikolai Tokarev lebt in Düsseldorf und Moskau.

Stand
Autor/in
Doris Blaich