Ensemble Diderot. Johannes Pramsohler (Violine und Leitung). Konzert vom 4.7.2015 im Kurfürstlichen Schloss, Koblenz - beim Festival RheinVokal. SWR2 Musikstück der Woche vom 27.7.2019.
Schwindelfrei geigen mit Vivaldi
„Er kahm mit den fingern nur einen strohhalm breit an den steg daß der bogen keinen plaz hatte, und das auf allen 4 saiten mit Fugen und einer geschwindigkeit die unglaublich ist“. Mit einer Mischung aus Verwunderung, Faszination und leichtem Unbehagen beschrieb der Frankfurter Adlige Johann Friedrich Armand von Uffenbach das Geigenspiel Antonio Vivaldis, das er während einer Venedigreise gehört hatte. In zeitgenössischen Venedig-Reiseführern war der Besuch eines Konzertes mit dem berühmtem Vivaldi unter den ‚Top Ten‘. Und ebenso die musikalischen Veranstaltungen am „Ospedale della Pietà“ (Krankenhaus der Gnade): einem der vier Waisenhäuser Venedigs für elternlose, ungewollte Mädchen und Findelkinder.
Geigenlehrer für Waisenmädchen
Am Ospedale della Pietà war Vivaldi mehr als 30 Jahre lang als Geigenlehrer, Ensembleleiter und Kompositionslehrer angestellt. In klösterlich-strengem Umfeld gab es hier eine Art Musikzug für begabte Mädchen, die „figlie di choro“. Sie erhielten Unterricht in den unterschiedlichsten Instrumenten, spielten im Orchester und sangen im Chor. Mit ihren Konzerten erwirtschafteten sie einen großen Teil des Gesamtetats für das Waisenhaus. Zu Vivaldis Verpflichtungen gehörte es neben dem Unterricht und der Probenarbeit, das Ospedale regelmäßig mit neuen Kompositionen zu versorgen. Eine Fülle von geistlichen Werken und ein Großteil seiner Konzerte ist für die Mädchen entstanden – Konzerte für Solovioline, mehrere Geigen, Viola d’amore, Cello, Oboe, Fagott, Flöte, Blockflöte und Zupfinstrumente.
Streichersound statt Mückenstiche!
„L’estro armonico“ – übersetzt „Harmonische Stechfliege“ oder „Harmonische Inspiration“ – heißt eine Sammlung von zwölf Konzerten aus Vivaldis Feder. Sie erschien 1711 in Amsterdam als Opus drei im Druck. Vivaldi hat darin Konzerte für verschiedene Besetzungen zusammengefasst: Für vier Sologeigen, für zwei und für eine Sologeige, jeweils mit Streichorchester und teilweise mit solistischem Violoncello. Die unterschiedlichen Besetzungen machten es notwendig, acht Stimmenhefte anzufertigen. Üblich waren fünf oder höchstens sechs. Ein ungeheurer Luxus! Denn Papier war teuer, und Roger ließ sich fürs Notenstechen ebenfalls gut bezahlen.
Opus drei für Ferdinand drei
Wahrscheinlich hat der Widmungsträger der Sammlung die Drucklegung finanziert: der toskanische Prinz Ferdinand, ein bedeutender Musikmäzen. Der Prinz würde– so glaubte man – einmal als Großherzog Ferdinand III. an der Spitze des Hauses Medici stehen. Allerdings starb er noch vor seinem Vater; kinderlos. Dass Vivaldi ihm in Anspielung auf die Thronfolge-Hoffnungen ausgerechnet sein Opus 3 widmete, war sicherlich Kalkül: Er liebäugelte mit einer Stellung bei Hofe, und konnte schließlich nicht schaden, mit der Opuszahl dezent seine Sympathien gegenüber dem Prinzen anzudeuten (übrigens stand Vivaldi in einer Reihe von Komponisten, die Ferdinand ihr Opus 3 zueigneten).
Von Bach geadelt
Vivaldis Musik war in ganz Europa beliebt und verbreitet. Einer seiner Bewunderer war Johann Sebastian Bach: Er hat sechs der zwölf Vivaldi-Konzerte aus op. 3 bearbeitet, auch dasjenige in h-Moll, unser Musikstück der Woche. Statt der vier handlichen Geigen spielen in Bachs Version vier vergleichsweise sperrige Cembali. (Das bedeutet: großer Transport-Aufwand, und vor dem Konzert viel Zeit fürs Stimmen einplanen. Denn bis ein Cembalo perfekt durchgestimmt ist, muss man mindestens eine halbe Stunde rechnen. Ziemlich viel Logistik also – aber der satte Sound von vier Cembali entschädigt das). Vivaldis Urfassung für vier Geigen und Solocello ist auf jeden Fall die ökonomischere Version. Sie lebt von der Gegenüberstellung des hohen Geigen- und dem tiefen Celloregister, von den rasanten Läufen in den Ecksätzen und den gesanglichen Passagen im zweiten Satz, deren harmonischer Wagemut einem mitunter den Atem stocken lässt.
Johannes Pramsohler und das Ensemble Diderot
Johannes Pramsohler stammt aus Südtirol und hat in London und Paris Barockgeige studiert. Heute lebt er in Paris; genau wie seine Musiker-Kolleg*innen vom Ensemble Diderot. 2008 hat Pramsohler dieses Ensemble gegründet, seither ist die Kernbesetzung gleich geblieben. Die vier Musiker*innen treffen sich fast jeden Tag, um zusammen zu proben, Noten zu sichten und interessante Konzertprogramme zusammenzustellen. Benannt haben sie sich nach dem französischen Dichter und Denker Denis Diderot. Gemeinsam mit SWR2 entstanden diverse CD-Aufnahmen, im Herbst 2019 erscheint zum 250. Todestag des großen Barockmalers Giovanni Battista Tiepolo die CD „Echoes of the Grand Canal. Music from Tiepolo’s Venice“. Dafür hat das Ensemble Diderot gemeinsam mit der Mezzo-Sopranistin Diana Haller Stücke aus Tiepolos Umkreis aufgenommen. Die Produktion entstand in Kooperation mit der Staatsgalerie Stuttgart, die daraus Auszüge für den Audioguide ihrer Tiepolo-CD verwendet.