Donaueschinger Musiktage 2013 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2013: "I have come like a butterfly into the hall of human life"

Stand
Autor/in
Hèctor Parra, aus dem Englischen: Bernd Künzig

I have come like a butterfly into the hall of human life / Ich, Schmetterling, der sich verflogen ins Zimmer eines Menschenlebens Die elektronische Komposition wurde durch vier Szenen (oder "Ebenen") aus "Zangezi", dem letzten poetisch-dramatischen Werk des russischen Futuristen Velimir Chlebnikov angeregt: 1. Die Sprache der Vögel, 2. Saiten-Theorie (Zangezis Traum), 3. "Ich, Schmetterling, der sich verflogen ins Zimmer eines Menschenlebens", 4. Zangezis Alptraum.

Die verschiedenen Klanggesten, Energien und musikalischen Architekturen sprechen zu uns wie die "erfundene" Sprache, die die Wortkonstruktionen des "Zaum" (Bezeichnung für Sprachexperimente und erfundene Sprachen der russischen Futuristen, Anm. d. Üb.) bilden. Auf diese Art und Weise wird das klangliche Ausgangsmaterial aus hunderten verschiedener Aufnahmen von Vogelgesängen, Glottisschlägen, weiblichen und männlichen Stimmen, schlagzeugartigen Klängen aus Fabriken, der Alltagswelt, der Metallindustrie (Schwerter, Amboss) und einer breiten Variation metallischer Reibungen komponiert. Diese Klänge wurden granuliert, schrittweise geformt und stark verformt (durch spektrale und zeitliche Transposition, spektrale Komprimierung-Dekomprimierung, Brechung und Kreuzsynthese…). Sie wurden teilweise oder gänzlich resynthetisiert und anschließend mit sechs Spuren verräumlicht.

Die spielerischen Dehnungen, Entspannungen und ausgleichenden Haltemomente des Zeitflusses, wie in der von Chlebnikov erfundenen Sprache, bilden die architektonische Essenz des Stückes. Im Falle der "Abgrund-Momente" – polyphonische Zusammenbindungen verschiedener Klangformen und Zeitflüsse – wird die Spannung freier, um den tragischen Sinn der Einsamkeit der menschlichen Suche nach der Existenz anschaulich zu machen. Die flüchtige Zerbrechlichkeit des Sublimen existiert zugleich mit der heimtückischen Beständigkeit des Banalen… Durch das gebrochene Prisma unserer Wahrnehmung nähern sich die verschiedenen Klangereignisse an, manchmal plötzlich und abrupt, manchmal still dahinschwindend, um eine möglichst lebendige Erfahrung zu erzielen. In wenigen Sekunden treffen die verschiedenen polyphonisch ineinander verwobenen emotionalen Zustände aufeinander und koexistieren miteinander. Als Hörer sind wir daher gezwungen, jeden Moment in höchster Intensität und hochkonzentriert zu erleben. Dieser Vorgang sollte uns letztlich in die dynamische und magisch "mehrschichtige Ausdehnung" der Raumzeit hineinversetzen, in der unsere gedachte und musikalische Expressivität sich befreit bewegt und gestalten kann.

Zangezi: Ich, Schmetterling, der sich verflogen
ins Zimmer eines Menschenlebens
soll die Schrift meines Staubs
an den rauhen Fenstern lassen, als Unterschrift des Gefangenen,
auf den strengen Gläsern des Schicksals.
So langweilig und grau
Sind die Tapeten des Menschenlebens!
Der Fenster durchsichtiges "Nein"!
Schon habe ich meinen blauen Feuerschein verwischt, das Punktemuster,
meinen blauen Sturm des Flügels – die erste Frische,
der Blütenstaub ist abgetragen, die Flügel welk, durchsichtig, rauh sind sie geworden,
müde schlage ich ans Fenster des Menschen.
Ewige Zahlen klopfen von drüben
Den Ruf nach der Heimat, sie rufen die Zahl zurückzukehren zu den Zahlen.

2-ter Passant: Ein Schmetterling will er sein, schau dir den an!
3-ter Passant: Der und ein Schmetterling… Mein Beileid! Ein altes Weib ist er!

(Velimir Chlebnikov: "Zangezi", Ebene VI; deutsch von Peter Urban)

Stand
Autor/in
Hèctor Parra, aus dem Englischen: Bernd Künzig