"Sounds lasting and leaving from different points and forming a sounding sculpture which lasts." Auf dieser Idee Marcel Duchamps basiert John Cages Musik-Konzept, das von Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe dreizehn des Fürstenberg-Gymnasiums Donaueschingen (Christof M Löser / Desiree Wittkowski) und des Hochrhein-Gymnasiums Waldshut (Thomas Christ/Matthias Handschick) gemeinsam mit dem Ensemble Aventure aus Freiburg realisiert wird.
Die "Partitur" John Cages besteht lediglich aus einem kurzen Absatz geschriebenen Textes. Dieser fordert die Ausstellung von Klangskulpturen, "one at a time, beginning and ending 'hard-edge' with respect to the surrounding 'silence', each sculpture within the same space the audience is." Die weiteren Bestimmungen der Klangskulpturen werfen jedoch Fragen auf: Wie lässt sich eine Musik erfinden, in der es "no repetition, no variation" gibt? Wie lässt sich der Eindruck bewusst gestalteter Entwicklungen vermeiden? Offenbar schwebte Cage eine Klangwelt vor, die, von jeglichem individuellen Ausdruck befreit, das Hören zu sich selbst kommen lassen kann.
Eine Möglichkeit, bewusst gestaltete Entwicklungen zu vermeiden, besteht darin, bestimmte Parameter dem Zufall zu überlassen. So wurde beispielsweise die Anzahl der Skulpturen dem Zufall überlassen, ebenso deren Einsatzzeitpunkte und Dauern. Zu den Überraschungen, die es während des Kompositionsprozesses gab, werden sich in der Aufführung weitere gesellen, denn einige Skulpturen wurden von verschiedenen Gruppen unabhängig voneinander entworfen und werden nun gleichzeitig erklingen. Es scheint also verschiedene Arten von Zufall zu geben und wie sich zeigte, ist der konkrete Ausfall zufälliger Werte stark abhängig von der jeweiligen Methode, mit der der Zufall erzeugt wird. Auch hinter Musik mit zufälligen Komponenten steht also eine Fülle ästhetischer Entscheidungen; und Aleatorik – in vielen Schulbüchern nur sinnentleertes Schlagwort, unter dem John Cage mit spöttischem Augenzwinkern abgehandelt wird – führt nicht automatisch zu Beliebigkeit und Belanglosigkeit, sondern kann Präzision und Konzentration erzeugen und somit zu einer Musik führen, die "den Blick auf die eigene Struktur und auf die Strukturhaftigkeit des Klingenden schlechthin zum Erlebnis der Selbsterfahrung für die Wahrnehmung macht" (Helmut Lachenmann). Musik als "Selbsterfahrung der Wahrnehmung", ohne dass ein Komponist seine dabei persönlichen Befindlichkeiten zum Ausdruck bringt – ist denn das hörenswert? "Ich glaube, der Begriff 'hörenswert´ hängt vom Zuhörer ab", sagte John Cage einmal. "Meiner Meinung nach kann man sich alle Töne, gleichgültig welche, anhören. Ich habe bis jetzt noch keine Töne gehört, die mir nicht gefallen hätten, außer wenn sie allzu 'musikalisch´ werden. Ich glaube, ich habe Probleme damit, wenn Musik versucht, mich in eine Richtung zu steuern."
Proben und Aufführung
Die Erich-Kästner-Halle am Sonntag, 16. Oktober, 12 Uhr in Donaueschingen. Rund dreißig Schülerinnen aus Donaueschingen und Waldshut haben gerade zusammen mit den Musikern des Freiburger Ensembels Aventure die Generalprobe ihres Cages-Projektes "Sculptures Musicales" bestanden.
Christoph Löser, der mithilfe einer Funkuhr die Einsätze zu den Klangskulpturen gegeben hat, macht letzte Verbesserungsvorschläge. Eine ganze Stunde lang die Konzentration aufrecht zu halten, ist nicht leicht, daher sein Appell an die Schülerinnen und Schüler, sich bei jedem Einsatz neu zu motivieren.
Um 15 Uhr werden sie sie ihre Interpretation der "Sculptures Musicales" zur Uraufführung bringen. Bleibt noch etwas Zeit, Matthias Handschick, Waldshuter Musiklehrer und Initiator des Projekts, Wolfgang Rüdiger vom Ensemble Aventure und mitwirkende Schüler über das in Donaueschingen einmalige Projekt zu befragen.
Seit rund eineinhalb Jahren arbeiten die Schülerinnen zweier Musik-Grundkurse des Fürstenberg-Gymnasiums Donaueschingen, die Schülerinnen der AG Klangbaustelle des Hochrhein-Gymnasiums Waldshut und die Musiker vom Ensemble Aventure an dem gemeinsamen Cage-Projekt.
Für Matthias Handschick ist dies jedoch nicht das erste Projekt, in dem Schüler sich mit Neuer Musik beschäftigen. In seiner AG Klangbaustelle sammeln interessierte Schüler bereits seit drei Jahren Erfahrungen mit Neuer Musik – sogar einen Wettbewerb des Verbandes Deutscher Schulmusiker haben sie schon gewonnen. Erstaunlich ist für Handschick, dass sich vor allem die musikalische Elite unter den Schülern seines Gymnasiums an der AG beteiligt, denn besondere Vorkenntnisse setzt er eigentlich nicht voraus.
Arbeitsgrundlage der "Sculpture Musicales" waren die eher spärlichen Anweisungen von John Cage aus dem Jahr 1989: "One at a time, beginning and ending 'hard-edge' with respect to the surrounding 'silence', each sculpture within the same space the audience is."
Weiter untersagt Cage den Gebrauch von Wiederholungen oder Variationen, legt darüber hinaus jedoch sehr wenig fest. Die Schülerinnen mussten daher immer wieder über ihre Interpretationen der Cage-Anweisungen diskutieren: Wie kann man überhaupt Wiederholungen vermeiden, wie kann man überhaupt "hard-edged" - scharfkantig spielen?
Diese Diskussionen sind für Matthias Handschick ein wesentlicher Bestandteil des Projektes: "Es ist nicht nur so, dass sehr interessante Musik zustande gekommen ist, sondern auch die Diskussionen vorher, die im Unterricht und bei unseren Proben statt gefunden haben, haben schon einen Wert an sich." Die Wahrnehmung von Musik und Geräuschen habe sich bei den Schülern grundlegend geändert, dazu habe nicht zuletzt auch die Zusammenarbeit mit dem Ensemble Aventure beigetragen. Das Ensemble hatte beide Schülergruppen für einen Abend in ihren Freiburger Gewölbekeller zu gemeinsamen Proben geladen – ein Aha-Erlebnis für die Schüler. Hier konnten sie erfahren, mit welchem Ernst sich Profimusiker Neuer Musik widmen, wie viel man aus ein paar Zeilen auf einem Blatt Papier machen kann.
Die Schülerinnen aus Donaueschingen konzentrierte sich anschließend eher auf das Entdecken und Zusammenstellen von Alltagsgeräuschen und unkonventionellen Klangerzeugern für ihre "Sculptures Musicales". Jeder Schüler erstellte sich daraus ein eigenes kleines Ensemble. Die Schülerinnen aus Waldshut und das Ensemble Aventure wählten dagegen vorwiegend ihren klassischen Instrumente als Klangquelle.
Für Wolfgang Rüdiger vom Ensemble Aventure macht gerade "dies Gegeneinander und das Gegenüber der dadaistsich, fluxusartigen Klangformen und der mehr puritanischen Klänge der Waldshuter und des Ensembles Aventure" den Reiz des Projektes aus: "Das gibt ein ganz tolles Miteinander!"
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