Donaueschinger Musiktage 2017 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2017: "White Butterflies"

Stand
AUTOR/IN
Bunita Marcus

"White Butterflies" wurde für die Flüchtlinge unseres Planeten geschrieben. Es ist ein Versuch, einen inneren sicheren Ort zu schaffen in einer Welt des Verlusts und der Hoffnungslosigkeit. Mit diesem Stück ziele ich auf die Chakren und die Aura der Hörer. Jeder Klang ist im "persönlichen Klangraum" eines jeden Hörers verankert und hallt in ihm wider. Dies folgt meinem fünfjährigen Studium des Nada Yoga, um die Chakren mit der eigenen Stimme zum Schwingen zu bringen.

Mein Interesse an den Chakren und der Aura des Hörers wurde geweckt, nachdem ich auf das Innenleben des Klaviers im Stück "… but to Fashion a Lullaby for You" hinarbeitete. Unser ganzer Körper hört und spürt die Schwingungen der Musik; es ist nicht allein unser Ohr und unser Verstand, der dies tut. Lange Zeit habe ich die winzigsten Elemente der Musik untersucht, die die Art und Weise verändern, wie wir fühlen. Ich habe die Subtexte betrachtet, die inneren Gefühle, die durch Musik hervorgerufen werden. Das alles wollte ich weiterführen, indem ich die Chakren und die Aura des Hörers in Betracht zog, wie ich es während meines Studiums des Nada Yoga tat. Danach verbrachte ich vier Monate damit, die Schwingungen und Empfindungen zu studieren, die durch alle Stilmittel und Perioden der westlichen Musik hervorgerufen werden.

Zunächst war klar, dass ich ein Streichorchester benötige. Streicher verfügen über den reinsten Klang und können mühelos die menschliche Stimme ersetzen. Aufgrund meiner Erfahrung, wie diese Klänge vokalisiert werden können, war klar, dass die durch die Zunge erzeugten Ton/Oberton-Aspekte der Blasinstrumente den Schwingungsprozess der Chakren und der Aura stören würden.

Als ich die Streichorchesterklänge hörte, wurde mir bewusst, dass ein wichtiges Moment fehlte: Es gab keinen "Kern" zu diesem Klang. Gleichzeitig wurde mir klar, dass es eine Posaune sein muss. Die Partie sollte mehr gefühlt als gehört werden – eine Qualität, die nur durch die Posaune übertroffen wird. Und die Windungen und der Umfang ihres einfachen Metalls sind das perfekte Mittel, um die Chakren des Körpers zum Schwingen zu bringen.

Sofort dachte ich dabei an Abbie Conant, eine Posaunistin, die ich seit meiner Jugend kenne, als wir zusammen in Interlochen musiziert haben. Der von ihr erzeugte Klang bringt die Chakren mühelos zum Schwingen. In der Tat praktizierte sie dies schon seit längerem und ich musste diesen Aspekt nur in den Vordergrund stellen.

In "White Butterflies" ist die Posaune Herz und Seele dieser Schwingungen. Sie erfüllt dabei keineswegs die traditionelle Solistenrolle. Die Posaune ist vielmehr die Basis, von der alle Veränderung ausgehen. Die Posaunistin ist aufgefordert, die eigenen Chakren zum Schwingen zu bringen und nicht den Klang direkt auf das Publikum zu richten im westlichen Konzert.

Die Posaune stimuliert das Chakra des Hörers. Die Streicher und letztlich auch das Schlagzeug unterstützen die Schwingung der Aura des Hörers. Ebenso empfand ich, dass ich den persönlichen Klangraum des Hörers sanft stimulieren müsste. Aus diesem Grund haben die höheren Streicher (erste und zweite Geigen, Bratsche und Violoncello) jeweils einen Solisten.

Die meisten Konzertstücke führen den Hörer in einen Konflikt, um ihn anschließend aufzulösen. "White Butterflies" beginnt mit diesem Konflikt und Verlust und geht weiter. Das Stück hat keine Introduktion.

Der Beginn war eine besondere Herausforderung, denn er musste alle negativen Elemente einschließen — diese seelenmordende Psychopathologie, die über unseren Planeten kriecht. Wir können kaum ihre Präsenz oder ihren Einfluss auf uns leugnen.

"White Butterflies" wurde während einer Phase komponiert, als ich nicht nach Hause konnte. Auch ich war ein Flüchtling. Ich sang den Solopart in mein iPhone, während ich ihn hörte. Nur selten benutzte ich ein Klavier, um diesen Vorgang zu überprüfen. Aber als ich es tat, wurde es offensichtlich, dass ich mit festen musikalischen Bildern arbeitete, die durch das gesamte Stück konstant bleiben. Diese Klangbilder variierten kaum im Laufe des Jahres – immer die gleichen Instrumente, gleichen Figuren und Tonhöhen. Mehr und mehr vertraute ich meinen Instinkten und begann vertiefter zu hören. Die Klangbilder fügten sich zusammen wie die Teile eines Puzzles.

Das Stück habe ich von hinten nach vorne komponiert. Es wäre unmöglich gewesen, der Entwicklung des Stücks durch einen linearen Prozess zu folgen. Der erste Abschnitt, den ich hörte, führte zu sechs Minuten im Stück, in denen die gesamte Orchestrierung klar dem Zauber des Chakra und der Schwingungen der Aura unterliegt. Danach begann ich die eröffnenden Streicher und die Posaune zu hören. Schließlich musste ich akzeptieren, dass ich in der Eröffnung auch die negativen Kräfte (Schlagzeug) zu hören hatte.

Die Kontinuität von "White Butterflies" ist nicht abhängig von der Erinnerung. Das Stück ist geschrieben, um gefühlt zu werden – eine Erfahrung, die nicht abhängig vom Gedächtnis ist. Da es nicht in einer linearen Art und Weise komponiert wurde, baut die Kontinuität auch nicht auf dem Einsatz des Bewusstseins auf. Demgegenüber habe ich mich auf die Gegenwart in der Art und Weise konzentriert, dass sie von jedem im Körper gefühlt werden kann – und das schließt auch Hörer ohne Gedächtnis oder Bewusstsein ein, diejenigen mit Gehirnschädigungen, Autismus, Demenz usw.

Die Hörer sollten ruhig und friedlich sitzen, langsam atmen, entspannt sein und die Klänge in sich schwingen lassen. Beobachte, wo Du die Schwingungen empfindest.

Ich danke den Musikern des SWR Symphonieorchesters, Abbie Conant und Pablo Rus Broseta für ihre Ermutigung und ihre Mitwirkung bei dieser Uraufführung.

"White Butterflies" was written for the refugees of our planet. It is an attempt to nurture a safe place inside, in a world of loss and hopelessness. In this work I target the chakras and aura of the listener. Each sound vibrates and anchors the listener's "personal acoustic space". This follows my 5-year study of Nada Yoga – vibrating the chakras with your voice.

I became interested in targeting the chakras and aura of the listener after earlier efforts to target the gut in the piano work "… but to Fashion a Lullaby for You". Our whole body hears and feels the vibrations of music; it is not just something the ear and mind does. For many years I have been investigating the tiniest elements in music that change the way we feel the most. I have been looking at the sub-text, the inner feelings evoked by music. I wanted to take this one step further and target the chakras and aura of the listener, just as I did in my studies in Nada Yoga. I then spent four months carefully researching the vibrations and sensations created by all styles and periods of Western Music.

First, it was clear I would need a string orchestra. The strings had the purist acoustic sound and could easily replace the human voice. From my experience of vocalizing these sounds, I felt the tonguing and the fixed-pitch/overtone aspects of wind instruments would interfere with the process of vibrating the chakras and aura.

As I began to hear the string-orchestra sound, I realized it was missing an important feature – there was no 'core' to the sound. Almost simultaneous with this thought was the realization it needed to be a trombone. The part needed to be more felt than heard – a quality the trombone excelled in. And its simple metal tubing and range made it the perfect match for vibrating the chakras of the human body.

Immediately I thought of Abbie Conant, a trombonist I knew from my youth when we had performed together at Interlochen. Her sound could easily vibrate the chakras. In fact, she was partially doing this already; I just needed her to bring this quality to the forefront.

In "White Butterflies" the trombone is the heart and soul of these vibrations. It is not in a traditional 'solo' role. Here the trombone is the basis from which all change happens. The trombonist is directed to vibrate their own chakras with their sound and to not direct the sound outward to the audience in Western concert style.

The trombone vibrations stimulate the chakra of the listener. The strings, and ultimately the percussion, all contribute to vibrating the listener's aura. I also found I had a need for a gentle stimulation of the listener's personal acoustic space. Because of this, each section of the upper strings (Vn I, Vn II, Va, Vc) has a soloist.

Most concert works lead the listener to a place of conflict; then take you out of it. "White Butterflies" begins in this place of conflict and loss, and moves forward. It has no introduction.

The opening itself was challenging because I needed to include the negative elements – that soul-murdering psychopathology which is creeping across our planet. We cannot deny its presence or its effects on all of us.

"White Butterflies" was composed during a period when I could not return home. I was a refugee too. As I heard the individual parts, I sang them into my iPhone. Rarely did I have a piano to double-check this process. But when I did, it became apparent that I was working with fixed musical images that stayed consistent throughout the work. These images never varied over the course of a year – always the same instruments, same figure, same pitch level. I grew to trust my instincts and listen profoundly. These images began to fit together like the pieces of a puzzle.

I wrote this work in reverse. I could not have followed the course of this work by proceeding in a linear fashion. The first section I heard ended up being six minutes into the work – where all orchestration was clearly under the spell of chakra and aura vibrations. After this, I began to hear the opening strings and trombone. Finally, I had to accept that I was hearing the negative forces (percussion) in the opening too.

The continuity of "White Butterflies" is not dependant on memory. It is written to be felt – an experience not necessarily reliant on memory. Because it was not composed in a linear fashion, the continuity does not rely on conscious engagement. Instead I focused on the present in such a way that it can be felt in the body by any living being – including those without memory or conscious awareness – those with brain injuries, autism, dementia etc.

Listeners are encouraged to sit calmly and peacefully, breathe slowly, relax and let the sounds vibrate within them. Observe where you feel these vibrations.

I want to thank the members of the SWR, Abbie Conant and Pablo Rus Broseta for all their encouragement and contributions to this premiere.

Stand
AUTOR/IN
Bunita Marcus