"Das Lächeln tanzt"
Gedanken zu Subrisio saltat I. Seiltänze
Das Stück ist mit inniger Ironie vorzutragen. Nach Novalis ist innige Ironie "der Lichtpunkt des Schwebens zwischen Gegensätzen". Die Gegensätze Originalmelodie – Orchestration als autonome Körper anzunehmen, war mir ein Anliegen. Es geht darum, dass die Melodien der Originaltänze – dreißig Dreher – durch ein Zögern, ein Stocken, ein Verlagern, so verdreht werden, dass eine gewisse Irritation entsteht, die meines Erachtens Ironie im strengen Sinn erzeugt.
Es geht darum, ein Feld zu schaffen, in dem sich nicht nur der Komponist als das Subjekt sieht, sondern auch die möglichen Hörer sich frei bewegen können mittels aktivem Zuhören. Ich habe versucht, Musik zu schreiben, die vieles zulässt, nicht zu sehr das Original festschreibt, sondern durch Figurationen, die echohaft im Orchester auftauchen und verschwinden, verzweigte Felder zu schaffen. So wird die Originalmelodie, die festgeschriebene Struktur, aufgebrochen. Was ich anstrebe, ist ein loses Nebeneinander, Miteinander zwischen Solist und Orchester. Meine persönliche Aussage entzieht sich im gleichen Augenblick, in dem sie etwas andeuten will, wie ein stetes Pendeln meiner Nähe und Ferne zu den Originaltänzen selbst. Ich greife hier wieder die Auseinandersetzung mit der Landschaft meiner Kindheit auf, wie ich es bereits in Lokale Musik vor jetzt einem Vierteljahrhundert getan hatte.
Das Grundthema des Stücks: Annäherung, Entfernung, Distanz, Aufgehen, versucht dies bis in das kleinste Atom der Partitur zu realisieren, fern jeglichen programmatischen Wollens, aber mit der Überzeugung, dass das Material selber ab einem gewissen Punkt das einlösen kann, was Themen als Symbole sonst tun, die eben nur durch geschichtliche Konditionierung verstanden werden. Wichtig ist also, durch Distanz und Ironie der Musik Leichtigkeit zu geben, die den Hörer stets in einem Schwebezustand lässt zwischen Erkennen und Verkennen, Identifizieren und Verirren, im Grunde genommen ein Labyrinth einzurichten, in dem sich jeder aktiv bewegen und seinen eigenen Weg suchen kann. Mit meiner Musik möchte ich den Hörern Möglichkeiten geben hinzuhören und ihnen nicht, wie so oft, die ins Werk eingeschriebene, individuelle Leidenskurve eines Komponisten aufzwingen. Bis heute hat es die neue Musik nicht geschafft, diese Gängelei aufzulösen. Dies zu versuchen, ist mein kleiner Beitrag.
Seit etwa dreißig Jahren versuche ich, einen anderen Subjektbegriff in meiner Musik zu realisieren. Der alte Subjektbegriff beruht auf einem Genügen an dem historischen Selbstverständnis des Komponisten, dessen Umgang mit Klangmaterie sowohl kontrollierend als auch domestizierend ist und von daher eindimensional war und immer noch ist.
Als Gegenentwurf versuche ich die "innige Ironie" als einen möglichen Weg zu einem neuen Subjektbegriff zu formulieren, wo das Subjekt zurücksteht und einen Raum öffnet, in dem die Materialien ihre Autonomie selbst ohne Änderung ihrer Eigenkraft aufeinander projizieren und in ein mehrdeutiges Feld spiegeln. Wie gezeigt wurde, sind Original und Orchestration autonome Gebilde mit ganz eigenen Gesetzlichkeiten des Ent- und Verstehens. Die Originale als Vektoren einer Orchestration stehen quer zu dessen Verwerfungen und Schichten. Eine komplizierte Technik der Vektoriserung, die hier nicht weiter ausgebreitet werden soll, ermöglicht aus einer Einstimmigkeit einen vielstimmigen Orchestersatz herzustellen.
Der Komponist, der motiviert wird durch die Eigenkraft der Materialien, erzeugt paradoxerweise eine lmmaterialisierung, die Idee und Musik (Original und Orchestration) so aufeinander bezieht, dass man nicht die Autonomie beider durch rhetorisch dramaturgische Reglementierung zerstört. Dadurch entsteht – wenn man sich das Ganze von einem Feld umgeben denkt, das wie ein Spiegelkabinett beschaffen sein kann – ein Raum voller Spiegel, auf denen die Vektorstrahlen reflektiert werden wie auf Projektionsflächen, auf denen sich Facetten dieser Idee-Musik-Bezogenheit abbilden. Es gibt eine Vielheit von Punkten, die jeweils eine Möglichkeit dieser Projektion darstellen. Ein rezipierendes Subjekt ist also nicht mehr gezwungen, eindeutig zu diesem Gebilde Stellung zu beziehen. Es kann sich verschiedene Spiegelsituationen als Ausschnitt eines totalen Werkverständnisses erarbeiten. Dies fordert ein aktives, ganz anderes Erarbeiten, auch ein Mündigwerden des Subjekts. Es geht dann nicht mehr um das rhetorische Vermitteln einer subjektbesessenen Sicht, die immer eine ganz bestimmte Botschaft mit den suggerierten Emotionskurven verbinden möchte.
Einerseits versuche ich Raum zur Verfügung zu stellen, der mehrdeutig ist. Nur so kann Transzendenz entstehen: indem das Subjekt sich entzieht und im gleichen Augenblick etwas anderes zulässt, dadurch nicht das Ergebnis besetzt, sondern lediglich ein Spannungsfeld öffnet. Das Ergebnis ist etwas drittes, vielleicht mit dem "subrisio saltat" (das Lächeln tanzt) aus Rilkes fünfter Duineser Elegie beschreibbar. Den Ironiebegriff, wie er von F. Schlegel und Novalis formuliert wurde, als das Schweben zwischen Gegensätzen, unvermittelt auszuhalten, ermöglicht erst Poesie. Die Poesie ereignet sich jedoch im Rezipienten und wird nicht als ein Programm vorgegeben. Das ist ein grundlegender Ansatz in meiner gesamten Musik, aus dem sich die Verwendung von Folien und magischen Quadraten ableitet, die wie in einem Spiegelkabinett in verschiedenen Winkeln aufeinander gelegt werden. Auf diese Weise entsteht ein immer wieder vielschichtiges Feld, was auch mich überraschen kann.
Andererseits suche ich Begrenzungen, um nicht das im leeren Raum befindliche Objekt zu sein, das meint, Freiheit entstehe dann, wenn man sich keine Grenzen setzt. Ich suche mir bewusst ganz stringente Grenzen, die aber nicht künstlicher Natur sind, wie in einem Elfenbeinturm, d.h. ich "käfige" mich nicht ein. Die Schwierigkeit besteht darin, die Grenzen so zu bestimmen, dass sie durchlässig sind, durchlässig zu einem allgemeinen Verständnis hin. Deshalb benutze ich ein Tonquadrat allgemeinster Natur – aus Quintenzirkeln und den jeweiligen Obertonreihen -, benutze Proportionen der Periodizität, die aus Volkstänzen abgeleitet sind, die sich aber wiederum nicht so aufdrängen, dass ein lokales Couleur das Hören einengt, sondern es eher anonymisieren. Es werden Energien freigesetzt, die jenseits eines Parfüms, eines Ortes liegen, die versuchen, die Wände so durchlässig zu machen, dass kein abgeschlossener Raum entsteht. Man braucht Begrenzung, denn was für Mozart die Kadenz war, ist für uns als formbildende Kraft unwiederbringlich verloren gegangen. Wir versuchen uns deshalb unsere eigenen Kadenzen zu schaffen. Wir müssen unsere Felder schaffen, in denen wir uns bewegen. Wir brauchen die Begrenzung, um die Formulierung des Willens oder des Nicht-Wollens immer an einer Objektgrenze spiegeln zu lassen.
Dies schreibt auch Levi-Strauß in seinem Essay "Über das wilde Denken": "Das wilde Denken ist seinem Wesen nach zeitlos; es will die Welt zugleich als synchronische und diachronische Totalität erfassen und die Erkenntnis, die es daraus gewinnt, ähnelt derjenigen, wie sie Spiegel bieten, die an einander gegenüberliegenden Wänden hängen und sich gegenseitig (sowie die Gegenstände in dem Raum, der sie trennt) widerspiegeln. Unzählige Bilder entstehen gleichzeitig und keines ist dem anderen genau gleich; und folglich erbringt jedes von ihnen nur eine Teilkenntnis der Dekoration und des Mobiliars, deren Gruppierung durch unveränderliche, eine Wahrheit ausdrückende Eigentümlichkeiten charakterisiert ist. Das wilde Denken vertieft seine Erkenntnisse mit Hilfe von 'imagines mundi'."
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- Donaueschinger Musiktage 2003
- Themen in diesem Beitrag
- Walter Zimmermann, Subrisio saltat I Seiltänze für Violoncello und Orchester
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