Donaueschinger Musiktage 2005 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2005: "Phase (Idyll 4)"

Stand
Autor/in
Wolfgang Suppan

Ia

Der Begriff "Phase" verweist auf die physikalische Beschreibung von Wellenformen und deren Amplitude. Als Analogie dazu verwandte ich in diesem Stück eine begrenzte Anzahl von Klängen, die in unterschiedlichen Abständen – von simultan bis weit auseinander liegend – erklingen. Vergleichbar mit tonalen Funktionsstufen – ein Akkord wird durch den Spannungsgrad zum nachfolgenden oder vorangegangenen Akkord definiert (Tonika/Dominante...) -, entsteht allein durch die Klangabfolge ein kognitives Phänomen, das für mich über dieses Stück hinaus zu einem zentralen Thema wurde.

Sehr kurze Klangereignisse haben für mich eine besondere Eigenschaft, da hier erst mit Hilfe der Erinnerung der Klang in all seinen Facetten erfasst werden kann – sozusagen "rückwärts" gehört wird. Anders als bei langen statischen Klängen, bei denen unsere Wahrnehmung das Gegenwärtige allmählich "ausblendet", wird bei sehr kurzen Klangeinheiten durch die Erinnerung Gegenwart suggeriert.

II

Die verwendete Elektronik – im Titel nicht extra erwähnt, da ich es mittlerweile als selbstverständlich erachte, die Elektronik als Teil des gängigen Instrumentariums zu sehen – wird auf zweierlei Weise in diesem Stück eingesetzt. Zum einen als Klangzuspielung: Leise Klangflächen bilden einen kontinuierlichen Hintergrund aus sich ständig überlappenden Sinusakkorden; des Weiteren in Form von zugespielten Samples, die die Charakteristika der Instrumentalklänge (Hüllkurve, Klangfarbe, Spektrum...) beeinflussen. So klingt zum Beispiel ein Streicherakkord, nahe dem Steg gestrichen – also mit wenig ausgeprägter Grundtonhöhe und großem Rauschanteil -, plötzlich ungewohnt hart.

Ib

Die 1998 begonnene Werkreihe Idyll ist eine fortlaufende Auseinandersetzung mit dem 1762 erschienenen Erziehungsroman Emile des Schweizer Philosophen und Musikers Jean-Jacques Rousseau. Ursprünglich als Stoff für eine Oper gedacht, wurde dieses Buch für mich zu einem Impulsgeber für eine Reihe von Instrumentalstücken, die in der Besetzung von Schlagzeug solo bis zu großem Sinfonieorchester reichen.

Dabei geht es mir nicht um konkrete philosophische Thesen, die Rousseau entwirft, vielmehr versuche ich die Herangehensweise, das Verhältnis zwischen Betrachtungsgegenstand und Betrachter, die Rousseau für die Veranschaulichung seiner Gedanken über Erziehung entwarf, auf das Metier des Komponierens zu übertragen. Seine Überlegungen über den Menschen und die Gesellschaft regten mich an, die Beziehung zwischen dem bewussten Gestalten musikalischer Objekte und freierer Strukturen – am Computer generierte Zufallsoperationen – auszuloten.

Stand
Autor/in
Wolfgang Suppan