Donaueschinger Musiktage 1999 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 1999: "Song’n Dance for Harry Partch"

Stand
Autor/in
James Tenney
Harry Partch
Lydia Jeschke
Lydia Jeschke

Vielleicht kann ich in dieser Arbeit endlich meine beträchtlichen Schulden bei Harry Partch begleichen, ohne seinen Unmut auf mich zu ziehen. Als ich 1959 für einige Monate sein Student und Assistent war, hatten wir ein nicht ganz unproblematisches Verhältnis zueinander – vermutlich vor allem deshalb, weil ich nicht willens war, der unterwürfige Schüler zu sein, den er benötigte (und auch verdiente, wenn denn überhaupt irgendjemand so etwas verdient). Heute jedoch, viele Jahre danach, muss ich zugeben, dass ich alles, was ich über die Theorie der reinen und mikrotonalen Stimmung weiß, von Partch selbst bzw. durch sein Buch Genesis of a Music gelernt habe.

Wie der Titel Song 'n 'Dance for Harry Partch suggeriert, besteht das Stück aus zwei Sätzen: einem "Song", der im Untertitel "My technique" heißt und für Partch' Adapted Viola komponiert wurde (und nun auf einer durch Carleen Hutchins gebautenTenor-Violine gespielt wird, die in letzter Zeit in Aufführungen von Partch' Musik die Adapted Viola ersetzt), und einem "Tanz" für die Diamond Marimba mit dem Untertitel "Mallets in the air", einem Ausdruck, der Partch' Ermahnung an alle späteren Spieler der Diamond Marimba entnommen ist: "Schwinge die Schlegel nicht durch die Luft, weder fein noch auf andere Weise."

Der Text im Song stammt aus einem Essay von Harry Partch: Manual: on the maintenance and repair of – and the musical and attitudinal techniques for – some putative musical instruments, der in seiner Originalfassung erst kürzlich durch Philip Blackburn in einem Buch mit dem Titel Enclosure 3: Harry Partch veröffentlich wurde. Der Song basiert vollständig auf bestimmten akustischen Eigenschaften der Worte in Partch' Text, obwohl diese nicht mit vokalen Mitteln aufgeführt werden. Die Klänge des Textes wurden in eine rein instrumentale Form überführt, indem die Grundfrequenz jedes Vokals der Adapted Viola (oder Tenor-Violine) übertragen wurde und harmonische Teiltöne, die den ersten beiden Formant-Spitzen des Vokals entstammen, durch die orchestralen Violine und Violas gespielt werden. Konsonanten werden zu Pizzicati in den Celli und Bässen (das gilt für g, d und b) und zu Klängen der Schlaginstrumente, wenn es sich um stimmlose Explosiva (k, t und p in der Diamond Marimba) und Reibelaute (s und sh in hängenden Becken; th, f und h mit Stahlbesen auf den drei Tom-Toms) handelt.

Partch' Musik verwendet einen reinen, mikrotonalen Tonvorrat von 43 verschiedenen Tonhöhen pro Oktave, der auf einem grundlegenden "obertonalen" Hexachord (mit den relativen Frequenzen 1:3:5:7:9:11) basiert, welcher selbst jeweils über den Tonhöhen eines "untertonalen" Hexachords (1/1:1/3:1/5:1/7:1/9:1:11) gebildet wird. Meine Komposition Song'n'Dance for Harry Partch benutzt dieselben harmonischen Beziehungen.

Der Text zum "Song” ist folgender:

If I were to use a single term to describe my technique [for the adapted viola], I would call it one-finger. There has been, throughout the history of the bowed string in the West, a flat denial of its intrinsic spiritual character, in the same way that there has been, for centuries, a flat denial of the capabilities and spiritual actuality of the human voice, in so-called serious music. Both have been obliged, through centuries of this discipline, to perform like pipe organs. Precise, discrete steps. Press a key -- there is the tone. Lift the key -- the tone ends...

My Adapted Viola looks little different from other bowed strings, but in the playing of it I am far closer to the spirit of the Indian vina (which is no pipe organ). The one-finger technique, strongly at the base of its use, has nothing in common with the pipe organ either...

In the one-finger idea there is the potentiality of a fine art. The finger may start slowly on its move, increase speed, and hit the next ratio exactly. It may move very fast away from the first ratio, and then slowly and insinuatingly into the next -- so slow, sometimes, that one is not sure as to the point where rest has been achieved. Or, all this may be reversed.

What the bow is doing meanwhile is supremely important. It may press down hard at the beginning of a one-finger glide, and move smoothly into a pianissimo, or do the reverse. Or, it may give a nuance, either a crescendo or a diminuendo, in the middle of a glide...

My final advice to bowed string players involved in my work: seize the concept, even though you donÕt understand it, contemplate, do yoga exercises, dream yourselves in the arms of dark lovers in rowboats on the Shalimar, and by the next day pipe organs will have receded to a perspective in the study of music appropriate to their inherent worth...

Regarding intonation: my viola has indications for stops, and it is impossible for a beginner to know these ratios without some comparative marks. I do not deny that the human ear can distinguish, and the human apparatus achieve, the desired tones without indications. I proclaim it. But such competence calls for daily discipline in the scale. It cannot be achieved simply by appearance once a week at full rehearsals.

Übersetzung:

Wenn ich einen einzigen Begriff für meine Technik [der Adapted Viola] verwenden würde, wäre es die Ein-Finger-Technik. Innerhalb der abendländischen Geschichte der gestrichenen Saiteninstrumente hat man ihren wesentlich spirituellen Charakter schlichtweg negiert, so wie man auch, über Jahrhunderte, in der sogenannten ernsten Musik die Möglichkeiten und die spirituelle Aktualität der menschlichen Stimme negiert hat. Beide mußten – über Jahrhunderte dieser Disziplin – wie Pfeifenorgeln ausgeführt werden. Präzise, diskrete Schritte. Drück eine Taste – da ist der Ton. Lass die Taste los – der Ton endet.(...)

Meine Adapted Viola unterscheidet sich optisch nur wenig von anderen Streichinstrumenten, aber in ihrem Spiel bin ich dem Geist der Indischen Wina viel näher (und die ist keine Pfeifenorgel). Die Ein-Finger-Technik hat, und das ist grundlegend für ihren Gebrauch, ebenfalls nicht mit der Pfeifenorgel gemein.(...)

In der Ein-Finger-Idee gibt es die Potentialität einer Kunst. Der Finger kann seine Bewegung langsam beginnen, die Geschwindigkeit erhöhen und den nächsten Wert exakt erreichen. Er kann sich sehr schnell vom ersten Wert wegbewegen und dann langsam und schmeichlerisch in den nächsten hineingleiten – so langsam bisweilen, dass man bis zu dem Punkt, an dem er zur Ruhe kommt, nicht sicher ist. All dies kann auch umgekehrt geschehen.

Was inzwischen mit dem Bogen passiert, ist von höchster Wichtigkeit. Er kann am Beginn des Ein-Finger-Gleitens stark auf die Saite gepresst werden und sich sanft in ein pianissimo bewegen oder umgekehrt. Oder es gibt eine Nuance, entweder ein crescendo oder ein diminuendo in der Mitte des Gleitens.(...)

Mein abschließender Rat an die Spieler von Streichinstrumenten, die in meiner Musik vorkommen: macht euch das Konzept zu eigen, selbst wenn ihr es nicht versteht, denkt nach, macht Yoga-Übungen, träumt euch in die Arme von dunklen Liebenden in Ruderbooten auf dem Shalimar – und am nächsten Tag werden Pfeifenorgeln für das Studium der Musik in eine Perspektive gerückt sein, die ihrem Wert entspricht.(...)

Was die Intonation angeht: für meine Viola gibt es Angaben zur Mensur, und es ist für einen Anfänger unmöglich, diese Werte ohne einige vergleichende Markierungen zu kennen. Ich leugne nicht, dass das menschliche Ohr die erwünschten Töne ohne Markierungen unterscheiden und dass der menschliche Bewegungsapparat sie ebenso erreichen kann. Ich proklamiere es. Aber solch eine Kompetenz verlangt tägliche Übung in der Mensur. Sie läßt sich nicht erreichen, indem man einmal pro Woche zu den Proben erscheint.