Mercurius, der Götterbote?
Schon der Künstlername fällt ins Auge: Mercury. Das meint im Englischen zum einen das chemische Element Quecksilber, zum anderen den Planeten Merkur, steht jedoch auch für die römische Gottheit Mercurius, den Götterboten. Welche der Bedeutungen hatte der als Farrokh Bulsara geborene Sänger im Sinn? Queen-Gitarrist Bryan May erklärt, dass ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Song „My Fairy King“ vom ersten Queen-Album besteht. Dort gibt es diese Zeile:
Auf die Frage eines Reporters, ob es sich bei der besungenen Mother Mercury um seine eigene Mutter handle, entgegnete Bulsara, der schon seit Schulzeiten den Rufnamen Freddie trug, damals nur: „Yes, and from now on, I will be Freddie Mercury“. Der ikonische Künstlername, mit dem Freddie Mercury endgültig in eine andere Haut schlüpfen konnte, war gefunden. „Für die Öffentlichkeit wollte er ein Gott sein“ sagte Bryan May einst – der Götterbote war nun bereit für seinen Siegeszug.
Freddie Mercury passt in keine Schublade
Freddie Mercury war nicht nur Leadsänger und Hauptkomponist von Queen, sondern auch mitverantwortlich für den Stil der Band – sowohl musikalisch als auch im Hinblick auf das Image. Im Verlaufe seiner Karriere erfindet sich Mercury immer wieder neu. Von wallender Mähne und Schlaghosen bis hin zum ikonischen Schnauzer mit Lederlook verhindert Mercury es gekonnt, sich in eine Schublade stecken zu lassen.
Eine gewisse Theatralik gehörte immer dazu, wenn Mercury eine Bühne betrat. Dazu gehörte auch eine entsprechende Garderobe. Seine Bühnenoutfits, die er gerne auch während eines Konzerts wechselte, verschafften ihm dabei schnell eine Ausnahmeposition innerhalb des damals optisch eher zurückhaltenden Rockgenres. Zur Inszenierung Mercurys gehörten auch ritualartige Showelemente, die bei Live-Performances von Queen umgesetzt wurden.
1974 veröffentlichten Queen eine Instrumentalversion von „God save the queen“, die von nun an das letzte Stück eines jeden Queen-Konzerts markieren sollte. In einen Hermelinmantel gehüllt und gekrönt verabschiedete sich Freddie Mercury so allabendlich von seinem Publikum. Ein Mann der großen Auftritte!
Mercury hegte eine tiefe Liebe zum Ballett
Integraler Bestandteil von Mercurys Performances war der Mikrofonständer, den er auf vielfältigste Weise in die Shows einband. Als bei einem frühen Auftritt der Band sein Mikrofonständer zerbrach, Mercury die Show aber deshalb nicht abbrechen wollte, machte er das beste aus der Situation und setzte die Show fort. An diesem Abend erkannte er, dass ein Mikrofonständer auch als Tambourstock oder Luftgitarre taugt und behielt den losen Ständer als festes Element seiner Performances bei.
Rhythmische Bewegungen, voller Körpereinsatz: Mercury setzte sich mit gekonnt auf die Musik abgestimmten Tanzschritten in Szene. Geprägt waren seine Performances schon früh von Mercurys Liebe zum Ballett, die deutlich sichtbar auch an seinem eigenen Tanzstil Spuren hinterließ.
Deutlich wird dies vor allem im Musikvideo zu „I want to break free“, das vorrangig wegen der als Frauen verkleideten Bandmitglieder Queens Bekanntheit erlangte. Doch der zweite Teil des Videos zeigt eine Aufführung, die in Zusammenarbeit von Freddie Mercury mit dem Royal Ballett entstand und in der Mercury einen Faun spielt, der einer Aufführung Nijinsky-Balletts aus 1912 nachempfunden ist.
Das erste Crossover-Projekt der Musikgeschichte: „Barcelona“ mit Montserrat Caballé
Freddie Mercury war von Anfang an geprägt von einer tiefen Offenheit gegenüber anderen Stilrichtungen und Künstler*innen. Diese Neugierde ist in der facettenreichen Diskographie genauso hörbar wie in den Solowerken des Künstlers. Nur schwer lässt sich das musikalische Schaffen von Mercury kategorisieren, auch hier lässt sich der Künstler nicht in eine Schublade stecken.
Auch wenn Queen heute als typische „Stadion-Rockband“ gelten, so wird ihnen dieser Stempel nicht gerecht. Zahlreiche Elemente aus Klassik, Funk, Gospel, Jazz und Oper bereichern die Diskographie der Band. Einflüsse, die maßgeblich von Mercurys Kreativität vorangetrieben wurden. Betrachtet man sich die Komposition von „Bohemian Rhapsody“, dem Opus magnum der Band, findet man all diese Genres und Einflüsse kombiniert in nur einem einzigen Song vor – in vieler Hinsicht also der perfekte Song, um den musikalischen Output Mercurys zusammenzufassen.
Als Mercury 1981 erstmals in einer Oper Montserrat Caballé singen hört, verliebt er sich in ihre Stimme. Als sie mit ihm arbeiten will, geht für den Fan Mercury ein langgehegter Traum in Erfüllung. Mercury und Caballé schließen einen zur damaligen Zeit unüberwindbar scheinenden Graben zwischen zwei Musikrichtungen und schaffen mit „Barcelona“ ein Album, das spielerisch Rock und Klassik vereint.
Freddie Mercury sprengte Grenzen auf und veränderte Live-Performances von Rockmusik für immer
Mercury liebte die Bühne und nutzte jeden Zentimeter, um seinen Gefühlen tänzerisch Ausdruck zu verleihen. Damit setzte er sich deutlich von den anderen Frontmännern der damaligen Rockbands ab, die sich weit weniger schillernd inszenierten und bei denen an Tanz kaum zu denken war. Leadsänger wie Robert Plant, Roger Waters oder Pete Townshend hatten zwar alle auf ihre eigene Art den Charme, der einen guten Frontmann auszeichnet, wirkten jedoch im Kontrast zu Paradiesvogel Mercury, als seien sie an ihre Mikrofone gefesselt.
Mercury sprengte mit seinem Songwriting nicht nur die musikalischen Grenzen des Rockgenres immer wieder, er war auch der erste, der den so ernst wirkenden Rockshows einen schillernden Anstrich verlieh. Dieser Schein von Glamour und Prunk, der damals von eingefleischten Rockfans oft als Kitsch abgestempelt wurde, schimmert noch heute in großen Rockproduktionen durch und war richtungsweisend.
Ohne Frage war Freddie Mercury ein musikalisches Ausnahmetalent: Seine vielseitigen Kompositionen sind mit der gesanglichen Durchschlagskraft bis heute beispielhaft im Hinblick auf Authenzität und Zeitlosigkeit. In Kombination mit seinen imposanten Bühnenoutfits und seinen auf die Musik abgestimmten Bewegungen war er ein Revoluzzer, dessen Einflüsse die folgenden Jahrzehnte der Livemusik bis heute maßgebend prägen sollten.