Motörhead, Linkin Park & Co.: Das fragwürdige Geschäft mit toten Musikern boomt

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Autor/in
Samira Straub

Immer wieder erscheinen neue Alben von toten Stars und stürmen die Charts, die Erben und Vermarkter verdienen Millionen daran. Von Pietät keine Spur geht es hier meist nur um das Abkassieren.

Plötzlich sind Linkin Park wieder in aller Munde

Anfang Februar gerät die Musikwelt in Aufruhr: Ein neuer Song von Linkin Park mit dem 2017 verstorbenen Chester Bennington an den Vocals erscheint, ein unveröffentlichter Track aus der für Linkin Park besonders erfolgreichen Meteora-Zeit – dem Album, das gerade 20. Geburtstag feiert.

Chester Bennington, Frontmann von Linkin Park
Der bislang unveröffentlichte Song „Lost“, gesungen vom 2017 verstorbenen Frontmann Chester Bennington, wurde viel diskutiert, als er Anfang Februar auf den Markt kam.

Im Nu entsteht ein Hype um den Song und mit einem Satz ist die amerikanische Nu-Metal-Band plötzlich wieder in aller Munde.

Motörhead: Ein bisschen Bonusmaterial, ein unveröffentlichter Song

Auch im Hause Motörhead will man nach dem Tod von Frontmann und Rocklegende Lemmy Kilmister weiter verdienen. Ein „neues“ Album erscheint am 24.2., darauf zwei Songs mit bislang unveröffentlichtem Kilmister-Material.

Lemmy Kilmister bei einem Auftritt mit Motörhead
Lemmy Kilmister war bekannt dafür, seinen Bass wie eine Rhythmusgitarre zu spielen. Außerdem galt er als Verkörperung des Lifestyles „Sex, Drugs and Rock'n'Roll“, was ihn schon zu Lebzeiten zu einer glorifizierten Symbolfigur des Rock machte.

Es ist eine Neuauflage des letzten Studioalbums „Bad Magic“, das 2015 nur wenige Monate vor dem Tod des umjubelten Frontmanns erschien. Angereichert mit Bonusmaterial, vor allem soundtechnisch eher fragwürdigen Liveaufnahmen, versucht man nun wie mit der Erstauflage der Platte wieder Platz 1 der Charts zu erklimmen. Braucht es das wirklich oder verwässern posthume Erzeugnisse wie dieses am Ende gar die Diskographie?

SWR2 Redakteurin Giordana Marsilio ist dennoch angetan vom neuen Album:

Das Verkaufen von alten Kamellen in neuer Verpackung ist längst gängige Praxis in der Musikindustrie. Denn: Nach der großen Bestürzung über den Tod folgt das große Klingeln der Kassen.

Und dieser späte Erfolg der Verstorbenen beschränkt sich nicht nur auf die Zeit unmittelbar nach dem Tod, in der die Stars zunächst in aller Munde sind und Fans sich noch einmal die Lieblingsplatte sichern wollen: Längst gibt es ganze Marketing-Maschinen hinter den verstorbenen Acts, die auch Jahre nach deren Ableben noch mit den Stars abzukassieren versuchen.

Jeff Jampol weiß, wie man mit Toten Geld verdient

Einer der Strategen hinter der Vermarktung längst verstorbener Musiker ist Jeff Jampol, der sich explizit auf das Geschäft mit toten Künstler*innen spezialisiert hat. Zu seinen Klienten zählen namhafte Stars wie Janis Joplin, Rapper 2Pac oder die Doors, deren Erben und Nachlassverwalter Jampol mit der Vermarktung beauftragen.

Das Geheimnis von Jeff Jampol: Er konzentriert sich nicht auf die Menschen, die längst mit viel Herzblut Fans der Musikerinnen und Musiker sind. Er versucht mit dem „Backkatalog“ ganz neue Zielgruppen anzusprechen, was ihm mit großem Erfolg gelingt: Durch hochwertiges Merchandise, Sammler-Editionen, Dokumentationen und Autobiografien macht er die Stars von einst zu Legenden der Popkultur.

 Michael Jackson an der Spitze der toten Topverdiener

Fragmentartige Tonbänder, verworfene Mixtapes und längst vergessene Liveaufnahmen finden immer häufiger ihren Weg aus den verstaubten Kellerräumen der Tonstudios direkt auf den Plattenmarkt. Große Hits sind so gut wie nie darunter, verdienen lässt sich damit trotzdem gut.

Michael Jackson beispielsweise gilt als posthum erfolgreichster Künstler: Rund 700 Millionen Dollar haben die Erben des Musikers alleine im ersten Jahr nach seinem Tod eingenommen. Erreicht werden solche Summen durch ein buntes Potpourri an Neuaufnahmen, Remixen, Tribute-Shows und eher ungewöhnlichen Produkten wie Computerspielen.

Michael Jackson in einem silbernen Glitzer-Jackett
Nur wenige Monate nach seinem Tod schloss Sony Music mit den Nachlassverwaltern von Michael Jackson einen Rekordvertrag über geschätzte 200 Millionen US-Dollar ab.

Der Tod als Erfolgsbringer

Es gibt auch wenige Erfolgsbeispiele posthumer Vermarktung: Von Jimi Hendrix, dem Pionier an der E-Gitarre, etwa sind dank eines umfangreichen Archivs von Studio-Aufnahmen posthum viermal so viele Alben erschienen wie zu Lebzeiten. Auch von Prince, der 2017 verstarb, gibt es große Mengen unveröffentlichten Materials und bereits drei posthum veröffentlichte Studioalben.

Manchmal ist es auch der Tod selbst, der Alben erfolgreich werden lässt. Im Falle des „MTV Unplugged“ von Nirvana, das erst einige Monate nach dem Selbstmord von Kurt Cobain erschien, war es vor allem die tragische Szenerie mit dem Meer aus weißen Lilien, dass das Konzert im Zusammenspiel mit dem Tod Cobains zum Erfolg werden ließ. Eine der letzten Aufnahmen eines Mannes, der an der Musik kaputtging.

Doch diese voyeuristische Schaulust wirft auch Fragen auf.

Gerade bei Acts wie Amy Winehouse oder Chester Bennington, die am Ende an ihrem Erfolg zerbrachen, stellt sich die Frage, inwiefern das posthume Vermarkten von Werken in ihrem Sinne wäre. Zu Lebzeiten gab es gewiss triftige Gründe für die Künstler*innen, bestimmte Songs und Aufnahmen nicht zu veröffentlichen. Ist es nicht despektierlich und egoistisch, dies zu Ignorieren, nur um als Nachwelt weiterhin neuartige Musik der Verstorbenen genießen zu können? Etwas Fingerspitzengefühl vermisst man in dieser Causa jedenfalls schmerzlich.

Vor allem in der Rockmusik verdient man an den Toten

Das Geschäft mit toten Musiker*innen boomt, vor allem im Bereich der Rockmusik, wo die großen Stars immer weniger werden. Rockmusik ist längst nicht mehr so populär wie vor einigen Jahrzehnten und immer weniger Künstler*innen folgen den Legenden von einst auf den Rock-Olymp. Da scheint es einfacher, sich an den alten Helden der Branche abzuarbeiten, als den Neuen eine Etablierung zu ermöglichen.

Selbstredend, dass man die Legendenbildung rund um die alten Hasen auch nach dem Tode fortzusetzen versucht. Ob diese posthume Glorifizierung das Genre jedoch retten kann, bleibt fraglich.

Ebenso ob das Ausgraben längst vergessener Demo-Karteileichen wirklich im Sinne der Kunst ist – man beraubt die Verstorbenen nicht nur um ihr Mitspracherecht am eigenen Werk, sondern auch einer Chance auf Neuausrichtung. Nicht jeder Künstler würde heute noch die gleiche Musik machen, wie er es vielleicht noch vor 30 Jahren tat, auch wenn Fans das nicht gerne hören wollen.

Solange die Kassen bei Erben und Nachlassverwaltern klingeln, wird es an Neuveröffentlichungen und Bonus-Editionen nicht mangeln.

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Samira Straub