live@school

Ein Tag - drei Perspektiven

Stand
Autor/in
Simon Rees

Mit dem Projekt live@school unterstützt die SWR Big Band seit 2010 Nachwuchsbands aus Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Durch das Zusammentreffen der Nachwuchsbands mit den Profimusikern der SWR Big Band sollen die Schüler motiviert und nachhaltig für die Musik begeistert werden.

Der erste Studioworkshop 2016

Am 25. Januar 2016 durfte die Big Band des Gymnasiums Ochsenhausen Studioluft schnuppern. Die Acht- bis Zwölftklässler nahmen gemeinsam mit Ihrem Lehrer an einem eintägigen Workshop teil. Wir haben Teilnehmerin Rosanna, Dozent Klaus-Peter Schöpfer und Lehrer Thomas Zimmermann zum Projekt, der Bedeutung von Musik für junge Menschen und den Unterschieden zum Musikunterricht in der Schule befragt und interessante Einblicke erhalten.

Die Sicht des Lehrers

Thomas Zimmermann arbeitet als Musik- und Mathematiklehrer am Gymnasium Ochsenhausen und leitet dort die Schüler-Bigband.

Welche Bedeutung hat Musik für junge Menschen?

"Für junge Menschen ist Musik oft ein Rückzugsort, der ihnen die Sicherheit gibt genau das auszuleben, was ihnen im Schulalltag aufgrund von äußeren Zwängen oft nicht möglich ist oder sogar unangenehm ist zu zeigen. Gerade hier gibt der Jazz die Möglichkeit, Musik als eine Form der Ausdrucksweise und individuellen Entfaltung wahrzunehmen. Eine Ästhetik, die heute nicht mehr alltäglich ist und die viele Schüler nicht mehr mitbringen. Sie bringt eine Form von Subjektivität und die Möglichkeit eigene Eindrücke, Gefühle oder Emotionen zu äußern, ohne Worte zu benutzen. Für mich selbst war und ist Musik heute immer noch ein Lebensgefühl. Wenn ich unterwegs bin, begleitet mich immer ein Groove, eine Melodie, die mich durch den Alltag bringt und mir ein Gefühl von Freiheit und Glück verschafft. Wenn ich es schaffe, dass Schüler nur ein kleines Stückchen dieses Lebensgefühls mit ins Wochenende, in den Schulalltag oder mit nach Hause nehmen, so habe ich eines meiner großen Ziele erreicht. Und sicherlich gewinnt diese Musik somit auch bei den Schülern an Bedeutung."

Wie ist der bisherige Gesamteindruck vom Workshop?

"Schon die ersten Minuten zeigen, dass nicht nur die Schüler, sondern auch ich hier sehr viel mitnehmen kann. Wir waren alle schon ganz heiß darauf, mal mit Profis in so einem tollen Studio zu arbeiten. Ich kenne viele Musiker aus anderen Bundesländern, die diese Möglichkeiten unter professioneller Anleitung im Tonstudio zu arbeiten nicht haben. Dies ist eine tolle Möglichkeit für Schüler-Bigbands, den eigenen Sound auf eine neue Art und Weise wahrzunehmen und daran zu arbeiten. Wir in Baden-Württemberg können auf diese Zusammenarbeit des SWR mit den Schulen vor Ort echt stolz sein. Da können sich andere Bundesländer, andere Funkhäuser, andere Bigbands eine Scheibe von abschneiden, gerade was die Jugendarbeit angeht. Und ich finde es wichtig im Jazzbereich in die Jugendarbeit zu investieren. Wie gesagt, wir sind alle restlos begeistert und hoffen natürlich auch auf eine tolle Aufnahme."

Wie unterscheidet sich der Workshop vom Musikunterricht?

"Der klassische Musikunterricht hat einfach nicht die Möglichkeit mit allen zusammen zu spielen oder so intensiv an einem Projekt oder einem Stück zu arbeiten. Hier hat man die Möglichkeit in der Jazz-/Bigband-Sparte intensiv zu arbeiten. Einen Bigband-Sound bekommt man im Unterricht nur über das Hören hin, indem man Beispiele von CD bringt, aber nie durch die eigene instrumentale Erfahrung."

Was ermöglicht die Arbeit mit der SWR Big Band den Schülern, was man als Lehrer nicht ermöglichen kann?

"Die Spezialisten der SWR Big Band können als Profis, die tagtäglich mit dieser Musik zu tun haben, viel tiefer ins Detail gehen. Als Schulmusiker hat man zwar ein breites Spektrum, aber man kratzt überall nur ein bisschen daran. Wir lernen hier viel über Stilistik. Ich kenne mich zwar in Stilistik auch gut aus, aber nicht wie ein Profi, der täglich mit einem top Jazzorchester unterwegs ist und ganz klare Vorstellungen davon hat, wie der Funk, wie die Passage klingen soll."

Lernt man auch als Lehrer etwas?

"Ich sehe mich immer noch selbst als Schüler, wenn ich auf solche Workshops mitgehe. Wie kann ich mit Schülern arbeiten? Auf was kann ich nochmal speziell hören und wie kann ich es schaffen zum Beispiel die Rhythmusgruppe stärker, besser und genauer übereinander zu bringen? Ich selbst bin Posaunist und Sänger, und gerade wenn Fragen aus der Rhythmusgruppe kommen, kann ich diese nicht immer so gut beantworten, dass es für mich zufriedenstellend ist. So bin ich sehr froh hier einen Dozenten bei der Arbeit zu beobachten, der als Gitarrist der SWR Big Band natürlich auf ein so großes Spektrum an Erfahrung zurückgreifen kann. Für mich ist es wie eine riesengroße Fundgrube an verschiedenen Techniken der Probenarbeit mit Bigbands, von denen bestimmt die ein oder andere in Zukunft in meinen Proben auftauchen wird."

Klaus-Peter Schöpfer: Die Sicht des Profi-Musikers

Klaus-Peter Schöpfer hat als Workshopleiter bereits viel Erfahrung bei live@school und ist auch nach Jahren noch mit großem Engagement bei der Sache. Im Interview erzählt er von seinen Erfahrungen und die Bedeutung, die er dem Projekt beimisst.

Was sind die Unterschiede des Workshops zur Arbeit mit Profis?

"Der Hauptunterschied ist natürlich: man kann nicht vom gleichen instrumentalen Könnensstand ausgehen. Man muss sich erst einmal auf das Niveau einstellen, muss erst einmal hören wie weit sind die Schüler. Das hört man relativ schnell. Dann geht es darum an Feinheiten wie Phrasierung und am Zusammenspiel zu arbeiten. Ich kann aber zum Beispiel keinem Saxophonisten, der seine Stimme nicht kann, erklären wie das geht. Zum einen weil ich selbst kein Saxophonist bin, zum anderen weil das vor so einem Workshop geschehen muss."

Gibt einem das Projekt einen persönlichen Mehrwert als Musiker?

"Erst einmal macht es mir wirklich Spaß mit jungen Leuten zu arbeiten. Es ist auch immer wieder eine Herausforderung, wenn man etwas erklärt und das Echo ist nicht direkt da. Dann muss man überlegen, wie kann ich es so erklären, dass das Echo kommt. Und schön ist dann, wenn man merkt, jetzt haben sie es begriffen und wenn es dann beim nächsten Spielen auch noch da ist. Außerdem muss man Sachverhalte, die einem selber ganz klar erscheinen, in Worte zu fassen, was man ja sonst nie macht. Man erklärt sich selbst ja nichts, sondern man macht es einfach. Hier muss ich jetzt versuchen, das in Worte zu fassen, was ich musikalisch meine. Und dabei lerne ich natürlich auch etwas."

Was sind die Vor- und Nachteile des Studioworkshops?

"Diese Form des Workshops mit Aufnahme hat den Vorteil, dass man den Schülern vorspielen kann, wie sie denn klingen. Normalerweise sage ich 'jetzt war es gut' oder 'jetzt war es nicht gut'. Vielleicht singe ich nach, wie sie es gemacht haben und kann das ein Stück weit simulieren. Aber das unverfälschte Ergebnis vom Band abzuhören, so wie es wirklich war, das gibt ein Aha-Erlebnis, das die Schüler normalerweise nicht haben. Später kann man dann herausarbeiten, wo es besser geworden ist. Das ist das wirklich wertvolle an diesem Workshop. Nachteile sehe ich an dieser Form des Workshops nicht. Ein Workshop ist generell etwas positives, weil man den Schülern ein Feedback gibt, man kann sie motivieren. Aber besonders motivierend ist natürlich, dass sie hier herkommen und sich selbst einmal anhören können."

Welche Motivation haben Sie als Workshopleiter?

"Ich möchte die Schüler motivieren für diese Musik, weil ich diese Musik natürlich selber gut finde. Daher bin ich der Meinung, dass die Bigband-Kultur erhalten bleiben muss. Außerdem habe ich auch selber Kinder, die Musik machen und arbeite gerne mit jungen Menschen. Aber hauptsächlich geht es darum, dass diese Tradition weitergetragen wird, weil ich finde dass sie ein ganz wichtiger Kulturaspekt ist."

Was waren bisher die schönsten und schwierigsten Erfahrungen bei live@school?

"Es gab eigentlich keine schwierigen Erfahrungen. Es war immer nett, es hat immer Spaß gemacht zu sehen wie auch die heutige Jugend auf Jazz abfährt. Das ist ja nicht selbstverständlich, die hören privat ja wahrscheinlich ganz andere Dinge. Es ist einfach schön, dass man Jugendlichen den Zugang zum Jazz auf diese Art vermitteln kann. Dass es eben keine altväterliche Musik ist und nicht irgendwie gestrig, sondern dass es einfach coole Musik ist, die Spaß machen kann. Gerade das improvisieren bei dieser Musik ist ein sehr kreativer Prozess. Das macht jedem jungen Menschen Spaß. Der will nicht nur nachspielen, sondern auch Improvisieren lernen."

Schülerin Rosanna: Die Sicht der Teilnehmerin

Rosanna ist 18 Jahre alt und macht gerade ihr Abitur. Sie spielt in der Bigband des Gymnasiums Ochsenhausen die erste Posaune und erzählt uns von ihren Eindrücken.

Workshopleiter, Schülerin, Lehrer bei live at school
Schülerin Rosanna (18) mit Klaus-Peter Schöpfer (links) und Lehrer Thomas Zimmermann.

Musik spielt eine wichtige Rolle in Rosannas Leben. Seit der dritten Klasse spielt sie Posaune, seit der neunten auch noch Gitarre. Musik macht sie nicht nur im örtlichen Verein, sondern auch in der Bigband des Gymnasium Ochsenhausens. Abwechslung ist ihr sowohl in der Musik als auch im gesamten Leben wichtig, erzählt sie. Deshalb macht sie auch gerne in der Bigband mit, weil hier viele jazzige Sachen gespielt werden. Außerdem genießt sie das Gemeinschaftsgefühl in der Gruppe.

Unterricht außerhalb der Schule

Den größten Unterschied zur Schule sieht sie beim Studioworkshop von live@school in einem deutlich höhere Niveau. Ihr macht das Spaß, denn es spornt sie an alles zu geben und zu zeigen "ich will hier mithalten".

Fachlich habe sie einiges im Workshop gelernt, zum Beispiel über die Abläufe in Profi-Bigbands oder bei den Aufnahmen im Studio. Darüber hinaus verstehe sie jetzt mehr, was hinter den musikalische Fachbegriffen steckt, die ihr vorher nicht geläufig waren. Vor allem aber habe ihr der Workshop ein Gefühl für das Zusammenspiel in einem Orchester gegeben. Dabei hätte sie gemerkt, wie wichtig es ist, nicht nur für sich zu spielen.

Der Beginn einer großen Karriere?

Als zukünftige Profi-Musikerin sieht sich die Schülerin allerdings nicht, vor allem nicht mit der Posaune. Eventuell könne sie es sich mit der Gitarre vorstellen, dafür müsste sie nach eigener Einschätzung allerdings noch um einiges besser werden. Es gäbe aber einige Gebiete auf denen sie stärker sei und auf die sie sich lieber konzentrieren wolle.

Am Ende hat Rosanna einen sehr guten Eindruck von live@school. Besonders die professionellen Aufnahmen und dass sie nicht nur von ihrem Lehrer, sondern auch vom Profi dirigiert wurden, hat ihr gut gefallen. Das einzige, was sie sich ein bisschen ausgeprägter gewünscht hätte, wäre der Blick hinter die Kulissen des Studios oder des SWR im Allgemeinen. Insgesamt sei der Workshop aber sehr interessant und habe viel Spaß gemacht.

Stand
Autor/in
Simon Rees