Nationalismus an Universitäten in Russland

Kaum noch internationaler Austausch – Wie Putins Krieg der Wissenschaft schadet

Stand
Autor/in
Philine Sauvageot

Putins Krieg gegen die Ukraine ist auch eine Katastrophe für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Die Verbindungen deutscher Forschungsinstitute nach Russland wurden gekappt – eine Tragödie für alle, erklärt Sandra Dahlke, Direktorin vom neuen „Netzwerk Osteuropa“, im Gespräch mit SWR2.

Seit Februar 2022 gibt es von deutscher Seite einen Kooperations-Stopp für wissenschaftliche Projekte mit Russland. Gleichzeitig verabschiedete sich Russlands Wissenschaftspolitik von den Bologna-Vereinbarungen für Studiengänge und gemeinsamen Standards für Qualitätssicherung.

Putin hat den Universitäten Themen wie „DNA Russlands“ befohlen

„Ein harter ideologischer Zugriff, der vor allem die Geisteswissenschaften betrifft“, urteilt die Osteuropahistorikerin Sandra Dahlke, die auch Direktorin vom neuen „Netzwerk Osteuropa“ zum Kurs Russlands in der Forschungspolitik. Es gebe für Studenten an den Hochschulen Russlands nun Programme wie „DNA Russlands“ oder „Die Grundlagen der russländischen Staatlichkeit“, an den Schulen seien neue Geschichtsbücher Basis für den Unterricht. „Patriotische Erziehung und Militarisierung der Gesellschaft", sagt Dahlke, die bis 2022 das Deutsche Historische Institut in Moskau leitete, über die Ziele dieser Strategie.

Wissenschaftler befürchten, als „ausländische Agenten“ eingestuft zu werden

Zu beobachten seien in der Folge bereits harte Repressionen. „Der Rahmen des Sagbaren des Erforschbaren, der verengt sich“, meint Dahlke. Die Geschichte Russlands des 20.Jahrhunderts könne man zurzeit in Russland nicht gefahrlos seriös erforschen.

Auch privater Austausch in Gefahr

Russische Wissenschaflter*Innen müssten befürchten, als „ausländische Agenten" eingestuft zu werden, wenn sie Kontakte mit dem Westen oder Geld von dort erhalten, berichtet die Expertin. Die meisten deutschen Forschungseinrichtungen hätten daher das Land verlassen. Allerdings gelte auch: „Individuelle Kontakte sind möglich“, so Dahlke. Man könne sich auf der Plattform Zoom oder per Telefon treffen: „Das ist auch sehr, sehr wichtig.“ Allerdings herrsche Skepsis, dass Russland die Überwachung des virtuellen Raums verstärkt und damit den Austausch der Wissenschaft weiter einschränkt.

Großteil der Wissenschaftselite im Exil

Das neue „Netzwerk Osteuropa“ der Max-Weber-Stiftung ist für Dahlke eine perspektivische Gründung, um Expertise und Kontakte nicht zu verlieren: „Wir müssen alle hoffen, dass dieser Krieg irgendwann mal zu Ende ist – da müssen wir auch wieder mit Russland sprechen.“ Der Krieg ist nach ihrer Ansicht eine gewaltige intellektuelle Tragödie. In Bereichen wie der Geschichts –, Sozial – und Geisteswissenschaft habe eine gewaltige Abwanderung russischer Forscher stattgefunden: „Ungefähr 50 Prozent derjenigen, mit denen wir eng kooperiert haben, haben das Land verlassen." Die meisten hielten sich in der Türkei, in Kasachstan oder Georgien auf. Es werde immer schwieriger, das Wissen über Russland und den gesamten postsowjetischen Raum zu bewahren. Das Grundproblem aber sei doch: „Dieses aggressive Russland wird ja nicht verschwinden.“

Sandra Dahlke hat Geschichte und Slawistik studiert und ist Direktorin des neuen „Netzwerks Osteuropa“ der Max-Weber-Stiftung zur Förderung deutscher geisteswissenschaftlicher Forschung im Ausland. Von 2013 bis 2022 war sie am Deutschen Historischen Institut in Moskau tätig, zuletzt als Direktorin.

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Philine Sauvageot